Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. August 2019, Teil 19
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man sollte nicht in die Falle tappen, die sich auftut, wenn eine ziemlich uralte weißhaarige, leicht exzentrische Dame, die vielleicht mal ein Hippie war, gleich zu Filmanfang sagt: „Ich möchte sterben!“
In die Falle nämlich, diesen Film von Anatol Schuster für einen Dokumentarfilm zu halten. Obwohl man um den Spielfilmcharakter weiß, kommt doch die Darstellung der Frau Stern durch die Nichtschauspielerin Ahuva Sommerfeld so wirklichkeitsnah rüber, daß man sich, auch wenn der Kopf anderes sagt, dennoch nicht dem Sog, einer ganz persönlichen Geschichte zu lauschen , entziehen kann. Und man liegt auch nicht so ganz falsch damit, wenn man Übereinstimmungen im Leben der beiden Frauen, der echten Ahuva Sommerfeld und der fiktiven der Frau Stern konstatieren kann. Diese Übereinstimmungen ergeben sich bei fast allen Frauen über 80 Jahren, die als Jüdinnen im Nazireich verfolgt, gedemütigt, für den Tod vorgesehen zu sein. Das heißt, überlebt zu haben, ist schon mal das Gemeinsame.
Man kann nicht nachempfinden, man kann nur glauben, wenn Überlebende sagen, daß das Leben angesichts solcher Schrecken und Gefahren ein anderes wird. Manche ertragen es nicht, überlebt zu haben, während die Familie ausgelöscht ist, deshalb sind Selbstmorde häufig. Aber manche entwickeln auch eine Gelassenheit, die eine Wurstigkeit zur Folge hat, über die man sich, die wir doch alles so überaus wichtig nehmen, nur wundern kann.
Stellen wir erst einmal Frau Stern vor, die sich im übrigen wie eine echte Schauspielerin ganz schön vielseitig verwandeln kann. Sie ist die lässige Alte, die – geraucht wird immer!!! - in Hosen oder dem Hemdchenkleid keine Scheu hat, ungekämmt zum Kiosk ihrer Zigaretten wegen zu laufen. Oder, dann staunen wir, wenn sie eine richtige Garderobe trägt, fein aussieht und hübsch wird. Diese Frau Stern hat ein heftiges Leben gehabt. Männer auch. Aber sie hat sie alle überlebt, nicht nur ihre Vernichtung durch die Nazis. Sie ist eine Überlebenskünstlerin, denn sie ist schon Ende 80.
Aber nun will sie nicht mehr. Genug ist genug. So werden wir Zeugen ihrer vergeblichen Selbstmordversuche, die wirklich komisch sind. Ausrechnet ein Einbrecherpärchen, die sie so zuvorkommend ausgefragt hatten, woraufhin sie ihnen erklärte, wie sie eindringen können, ausgerechnet diese zwei finden sie in der Badewanne vor und retten sie. Auch das noch. Und nicht mal in Ruhe auf die Schienen kann sie sich legen, damit der Zug ihr ein Ende bereitet. Da kommt ein Spaziergänger des Wegs und hilft ihr auf. Gegen ihren Willen. Aber was soll man machen, dann kann man einfach nicht sagen: „Lassen Sie mich liegen, ich will überfahren werden.“. Das ist auch Frau Stern klar.
Deshalb wendet sie sich an ihre Enkelin Elli (Kara Schröder), sie solle ihr eine Waffe besorgen. Denn vom Erschießen kann sie dann keiner abhalten. Und mit Elli betritt nun die Person die Bühne, die kongenial mit der Alten das Leben lebenswert macht. Tolle Idee, die Regisseur und Drehbuchschreiber Anatol Schuster mit dieser FRAU STERN hatte. Und wir haben zweimal hingeschaut, denn den Namen Anatol Schuster wollten wir nie wieder vergessen, nachdem wir den sagenhaften Film LICHT gesehen hatten, der unserer Meinung nach in Deutschland viel zu wenig beachtet wurde und ein Kunststück ist. Völlig anders ist auch dieser Film ein Schmuckstück und ein Plädoyer für ein intensives Leben. Denn, wenn man intensiv gelebt hat, eigentlich also im Wortsinn gelebt hat, und nicht nur die Tage bürokratisch hat verstreichen lassen, dann kann man auch irgendwann darauf verzichten. Ans Leben klammern sich nur die, die nie zum Leben gekommen sind. Schon merkwürdige Gedanken, die einem da durch den Kopf gehen.
Surreales mischt sich mit Alltag. Ein herrlicher, ein warmherziger, unkonventioneller Film, der doch noch eine traurige Botschaft hat. Im Film spielt die achtzigjährige Ahuva Sommerfeld die Greisin Ende Achtzig. Und das nimmt man ihr auch ohne Problem ab. Sie sieht verlebt aus, hat gesundheitliche Probleme. Aber man erlebt im Film auch, wie vielseitig diese Frau Sommerfeld sein kann. Und dann wieder ganz jung wird. Wenn sie mit den Jungen Karaoke singt und tanzt. Sie hat zusammen mit ihrer Filmenkelin Kara Schröder die Preise nur so abgeräumt. Und dann ist sie einfach gestorben.
Da hat das Leben den Film eingeholt. Und das macht traurig. Aber dann muß man einfach noch einmal Revue passieren lassen, was uns Ahuva Sommerfeld als FRAU STERN im Film erzählt hat und dann wissen wir: es ist gut.
Anatol hat einen kleinen feinen wahren Film gemacht, dessen Anschauen Mut gibt. Auch Mut zum Älter- und Gelassenwerden. Denn zur Gelassenheit gehört auch, extrem aus der Haut zu fahren, wenn die Situation danach schreit. Denn die eigentliche Botschaft ist, man selbst zu sein, ohne den anderen übermäßig zu schaden.
gt sie. Jeder Einstellung in FRAU STERN ist die Liebe für seine Protagonistin, grandios gespielt von Ahuva Sommerfeld, eingeschrieben, und auch der Mut und die Lust an Überzeichnung und Unterhaltung. Warmes, geistvolles Kino aus Deutschland ist FRAU STERN, zutiefst einfühlsam und absolut bereichernd.