f maraSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. September 2019, Teil  17

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Fußballer? Das auch, denkt man sich bei diesem so langen wie intensiven Dokumentarfilm, Biopic genannt, der doch von dem Regisseur Asif Kapadia, der auch den so beeindruckenden Film AMY über Amy Winehouse schuf, wie eine griechische Tragödie den Aufstieg und Fall eines Jungen aus den Slums von Argentinien inszeniert.

Das Besondere daran ist, daß das Inszenieren das Leben des Diego Maradona nur an der richtigen Stelle packen mußte, daß also der Filmemacher nur klug, sehr klug den Einstieg wählen mußte, den Transfer vom FC Barcelona, dem berühmten Barça , zum eher schmuddeligen SSC Napoli und ihrem Stadion San Paolo, zwar in der höchsten Liga des Landes, aber von den reichen, eleganten Traditionsvereinen im Norden, Mailand und Turin, verachtet und als „Afrikaner“ verhöhnt.

Dieser Einstieg ist der 5. Juli 1984, das Eintreffen und Auflaufen vom 25jährigen hübschen und eher verträumt wirkenden, den Jubel genießenden Maradona im Stadion von Napoli. Von ihm aus schaut der Film rückwärts in Kindheit und Jugend in Argentinien und kaum mehr nach vorne, als sieben Jahre später ein geschlagener Maradona 1991 Italien verläßt, gedemütigt von Skandalen wie heimlicher Vaterschaft und vor allem dem Prozeß um seine Kokainsucht und sein Verbandeltsein mit der heimischen Camorra. Aber – und das ist der Trick – natürlich bleibt auch der Fußball im Bild, denn mit dem Aufstieg und Fall des Maradona ist parabelhaft auch das Wetterwendische der Leidenschaft um den Ball charakterisiert, der für eingeschworene Fans von Vereinen den Platz in der Liga wichtiger macht als das eigene Leben. Echt.

Für den Regisseur war wichtig, daß er nach zwei Filmen, die früh verstorbenen Stars galten (neben dem oscarprämierten AMY auch über den Rennfahrer SENNA), nun mit dem Star seines Films auch über dessen Leben sprechen konnte – und von diesem tatsächlich alles Material aus dem familieneigenen Maradonaarchiv erhielt! Wir sehen also – anders als diejenigen, die bei MARADONA abwinken und sagen, kenne ich doch alles aus den bisherigen Filmen, glauben – Bilder aus der Jugend und aus den Kabinen, die noch nie zu sehen waren – und treffend das zeigen, was wir authentisch nennen.

Was wir heute als den Kauf und Verkauf von Menschenfleisch im Fußball kennen, fing ja damals erst an und nachdem sich Maradona nach seiner Ankunft zwei Jahre zuvor in Europa in Barcelona nicht als die beabsichtigte Kanone herausgestellt hatte, mit gebrochenem Fuß und Verletzungen die Erwartungen enttäuscht hatte, war nun Neapel mit seinen Millionen für beide eine Hochzeit, wo die Braut sich in die höhere Etage italienischen Fußballs einheiraten wollte und der Bräutigam endlich seine Klasse auf dem Platz beweisen wollte. Beides klappte. 1987 wurde Napoli italienischer Meister. Der Höhepunkt für seine Beliebtheit, die sieben Jahre lang anhielt. Erneut wie im Leben, wo ja das ‚Verflixte Siebte Jahr‘ gilt, daß im Schnitt nach sieben Ehejahren für viele Schluß ist.

Mit elf Jahren hatte Diego bei Argentinos Juniors begonnen, einem Verein der Ersten Liga Argentiniens, im Viertel La Paternal in Buenos Aires zu Hause. Der Verein bezahlte ihm, als er mit 15 Jahren zum Ernährer der Familie wurde, eine Wohnung (später ein Haus), in die er mit acht Familienmitglieder einzog. Wir sehen einen hübschen, aufgeweckten Kerl, der spielerischen Fußball spielt – und blitzschnell umschaltet und die Gegner ausschaltet. Doch, wer Fußball liebt, kommt schon auf seine Kosten in diesem Film, der die Fußballbilder als Erklärung für den Hype um seinen Hauptdarsteller und dessen Fähigkeit, die Gegner auszudribbeln weidlich nutzt. Es ist aber auch einfach herrlich, wenn man sieht, wie Maradona einen um den anderen links und rechts ins Leere laufen läßt, während er mit dem Ball Richtung Tor tanzt - dann dieses auch noch schießt.

Ja, die entscheidenden Fußballszenen im Leben des Fußballgottes Diego kommen alle vor. Auch die berühmte Hand Gottes, als die Maradona seine Fußballerbeine bezeichnete, die im rechten Moment den Ball Richtung Tor lenkten, das war zur WM 1986 gegen England. Aber es war tatsächlichseine Hand gewesen, mit der er den Ball ins Tor lenkte, was schon damals die Bilder zeigten, und heute durch Videobeweise geahndet würden. Später hat er es zugegeben, wie er viele Vergehen später zugab. Aber er bleibt der Ausnahmefußballspieler, wie man heute sagt, beispielsweise r das Tor, das er im Weltmeisterschaftskampf gegen Deutschland erzielte, als er aus dem 2:2 das siegreiche dritte Tor für Argentinien schoß. Herrliche Fußballbilder.

Der Film zeigt auch vieles von dem, was unsereiner gar nicht wissen möchte, aber für die Regenbogenpresse gefundenes Fressen war: Bilder von der Freundschaft mit Claudia, seiner späteren Frau, die 15 war, als der Sechzehnjährige sie kennenlernte und die mit den zwei Mädchen sehr lange seine Frau blieb. Dann die, auch ihm heute unverständliche Verleugnung der Vaterschaft eines Diego Jr. aus Neapel, den er erst als Erwachsenen treffen und anerkennen wird. Viel Stoff also auch im Persönlichen.

Und dann ganz wesentlich seine Kokainsucht – eigentlich von Anfang an. Bis Mittwoch gab er sich ihr hin, dann schwitzte er das Zeugs aus, trainierte heftig, bis er am Wochenende spielte...wie im Hamsterrad. Durch das Kokain geriet er in die Fänge der Camorra, 
 der Bella Società Riformata, Società dell’Umirtà, Onorata Società oder Il Sistema. Anders als andere Mafiastrukturen ist diese eine städtische Verbindung, die durch einzelne Familienclans zusammengehalten bis heute Neapel und Umland im Griff hat. Auch hier waren es die persönlichen Beziehungen zu einer dieser Familien, die er verschleierte und als Freundschaft abtat. Das kam beim großen Prozeß alles ans Licht. Schadete aber der Camorra nicht. Nur Diego Maradona..

Mit DIEGO MARADONA legen das Oscar®- und BAFTA-preisgekrönte Team von SENNA (2010) und AMY: THE GIRL BEHIND THE NAME (2015) und Produzent Paul Martin ihren dritten gemeinsamen Film vor, bei dem sie nicht nur auf 500 Stunden nie gezeigten Materials aus Maradonas Privat- archiv zugreifen konnten, sondern auch die volle Unterstützung ihres Titelhelden hatten.

Foto:
Diego Maradona
© Alfredo Capozzi/DCM

Info:
Hauptfigur: DIEGO ARMANDO MARADONA
mit Interviews von
SALVATORE BIAZZO • CARLOS BILARDO GUILLERMO BLANCO • JAVIER BLANCO BELVISI CLAUDIO BOTTI JIMMY BURNS• ARNALDO CAPEZZUTO • SALVATORE CARMANDO ANDREA CARNEVALE MIMMO CARRATELLI GABRIELA COCIFFI • GUILLERMO COPPOLA OSVALDO DALLA BUONA ARNALDO DELEHAYE FRANCO ESPOSITO • EGLIS GIOVANELLI • JUAN CARLOS LABURU
DR. NESTOR LENTINI • ANA ESTELA MARADONA • CLAUDIA MARADONA (CALI)
ELSA LUCIA MARADONA (LILI) • JANA MARADONA RITA MABEL MARADONA (KITTY) GABRIELE MARCOTTI PIERPAOLO MARINO • FRANCESCO MAROLDA CÉSAR LUIS MENOTTI LUCIANO MOGGI EZEQUIEL FERNÁNDEZ MOORES • MARCELA MORA Y ARAUJO
GIANNI MURA JULIO OLARTICOECHEA • OSCAR NICOLAUS ALICIA DUJOVNE ORTIZ • ADRIÁN PAENZA CECILIA PAGNI • PAOLO PAOLETTI • ANGELO ROSSI • ANGELO RUSSO RUSSELLI • ISAIA SALES NICOLA SPINOSA • ENRICO TUCCILLO • TIM VICKERY • LEANDRO ZANONI • ENRIQUE MOLTONI