f nobadiDas Toronto Filmfestival vom 5.- 16. September, Teil 2/2

Kirsten Liese

Toronto (Weltexpresso) - Weniger überzeugend unter den in Toronto gezeigten Weltpremieren wirkten dagegen trotz Starbesetzung zwei Politsatiren:  Laundromat mit Meryl Streep, in Toronto ausgezeichnet mit dem Ehrenpreis Actor Award, nimmt Steuerhinterziehung und Korruption in den USA am Beispiel der Panama Papers aufs Korn, dies aber leider  flach und mit einem Humor für schlichte Gemüter. Ebenso klischeereich und simpel mokiert sich die Komödie  JoJo Rabbit in der Scarlett Johansson eine Mutter im Widerstand spielt, über Adolf Hitler und die Nazis. 
Schon erstaunlich, dass das Publikum just diese Klamotte mit dem begehrten Audience Award auszeichnete, die nicht annährend an die Meisterschaft von Chaplins  großartiger Hitler-Satire Der große Diktator heranreicht.

Als einziger deutscher Beitrag kam – neben zahlreichen Koproduktionen mit deutschen Schauspielern- nur Ina Weisses Drama Das Vorspiel zur Weltpremiere in Toronto. Es ist nach Der Klavierspieler vom Gar du Nord und Prélude ein weiterer Film, in dem eine allzu strenge, garstige Musikpädagogin ihre Schüler gnadenlos malträtiert. Mag das auch ein Zufall sein, so fragt man sich doch, warum sich das Kino gerade an solch einer Figur festbeißt.

Dass Weisses Film sich gleichwohl von den genannten Produktionen positiv stark abhebt, verdankt er der grandiosen Hauptdarstellerin: Nach längerer Abwesenheit kehrt Nina Hoss auf die Leinwand zurück. Mit ihrem nuanciert-minimalistischem Spiel weckt sie Interesse an ihrer Figur, Anna, eine zerrissene Geigenlehrerin um die 40.

Gegen den Rat von Kollegen (darunter Sophie Rois als eine weitere höchst unangenehme Lehrerin) nimmt sie am Konservatorium ein junges Talent unter ihre Fittiche. Aber damit werden die Probleme, die sie in ihrem Leben ohnehin schon hat, noch schlimmer: Den eigenen Sohn, der bei einer Kollegin Geigenunterricht hat und zunehmend eifersüchtiger auf den neuen Schüler wird, vernachlässigt sie. Als dann der Schüler, in den sie Hoffnungen gesteckt hat, sie mit seinen Fortschritten nicht zufrieden stellt, wird aus der anfänglich geduldigen Pädagogin eine fiese, die mit ihren Methoden Grenzen überschreitet.

Ina Weisse erzählt ihre Geschichte mit Leerstellen, die mal unheimlich anmuten, mal aber auch beliebig. So gibt zum Beispiel Hanns Zischler Hoss’ Filmvater als eine Figur mit sadistischen Anflügen. Und dann gibt es noch einen Cellisten, der Anna für sein Streichquartett engagiert. Mit ihm hat die Geigerin auch ein Verhältnis, aber wozu sie dieses neben ihrer doch recht harmonisch wirkenden Ehe mit einem Geigenbauer braucht, erschließt sich nicht.

Mit der französisch-deutschen Koproduktion  My Zoe zeigte Toronto einen Film, der große moralische Fragen diskutiert. July Delpy führt Regie und spielt eine Mutter, die hilflos ansehen muss, wie ihre sechsjährige Tochter einen Hirntod erleidet. Von Beruf Genforscherin, entschließt sie sich in ihrer Verzweiflung, ihre Tochter klonen zu lassen und begibt sich dazu nach Russland. Daniel Brühl, eine erfahrene Kapazität auf dem Gebiet, soll ihr dabei helfen, lehnt das erst aus ethischen Gründen und im Hinblick auf eine geringe Aussicht kategorisch ab, macht es dann aber doch. Der Film bringt alle Aspekte ein, die dagegen sprechen, und weckt doch – ganz fokussiert auf die spezielle Situation der Mutter- Verständnis für ihre Entscheidung.

Ein weiteres packendes, wenngleich auch schwer verdauliches Drama bescherte Toronto schließlich das ebenfalls in Weltpremiere zu erlebende jüngste Werk des Österreichers Karl Markovics: Nobadi erzählt von der Begegnung zwischen einem über 90-jährigen ehemaligen SS-Mann (Heinrich Trixner) und einem afghanischen Flüchtling (Borhanulddin Hassan Zadeh), der ihm seine Dienste anbietet. Obwohl der geizige Alte, Heinrich Senft, dem verletzten, humpelnden Mann viel zu wenig Geld anbietet, lässt der sich darauf ein und gräbt im Schweiße seines Angesichts mit Spitzhacke ein großes Loch im Schrebergarten seines Auftraggebers, in dem dessen verstorbener Hund begraben werden soll. Als er fertig ist und der Alte sein Geld nicht findet, beschuldigt er den Migranten noch des Diebstahls und nötigt ihn, sich bis auf die Unterhose nackt auszuziehen, bis ihm einfällt, wo er sein Geld versteckt hat. Als Senft den Migranten wenig später an einer Bushaltestelle wiederfindet, kann der vor Schmerzen nicht mehr laufen. Senft will einen Notarzt holen, aber aus Angst, abgeschoben zu werden, verweigert der Illegale jegliche ärztliche Behandlung. Unerwartet weckt er gleichwohl das Mitgefühl des alten schroffen Geizkragens, der, einst Sanitäter in einem Konzentrationslager, allerlei Versuche unternimmt, dem Schwerverwundeten zu helfen. Am Ende zwingt Markovics ungeachtet aller Brutalität zum Hinsehen einer Amputation. So kennen und schätzen wir das österreichische Kino: bitterböse, grotesk und abgründig.

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