Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Mai 2013, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Warum diesmal so viele neu anlaufenden Filme länger besprochen werden, hat mit dem Zufall zu tun. Bei der vorliegenden Verfilmung eines Romans wurden gleich mehrere Dinge verändert. Der Schauplatz des Romans von Elsa Lewins „Solo für Klarinette“ ist nun London und die Hauptdarstellerin ist älter geworden.
I, ANNA
Diese Anna, die die doch eigentlich wunderbare Charlotte Rampling wie in einem anderen Leben spielt, so fremd und unbeteiligt scheint sie, ist die Mutter des Regisseurs. Eigentlich teilt man die Verwandtschaftsbeziehungen von Regisseur und Darstellern der Hierarchie wegen in anderer Reihenfolge mit: Also, Barnaby Southcombe ist der Sohn der Charlotte Rampling und filmt mit seiner Mutter einen als film noir gedachten, elegischen und hintersinnig gemeinten Film, den wir als merkwürdig leer, will sagen sinnentleert und mehr Schein als Sein empfanden, weil zwar viel Oberfläche: London bei Nacht und auch des Tags grau, regnerisch und als Unort vorkommt, aber der Gehalt der Filmkonstruktion auf der Strecke bleibt.
Fast ist es, wie das Bonmot, das den Surrealismus kennzeichnet, als das zufällige Zusammentreffen von einem Regenschirm und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch, wenn man die Anfangsszene schildert, die uns die Hauptdarsteller vorstellt, beim zufälligen Zusammentreffen von Bernie und Anna an einem Fahrstuhl im Eingang eines Hochhauses, wo ein Mord passiert ist. Davon weiß diese Anna nichts, wie sie später sagt und Bernie, wie salopp der ermittelnde Polizist Bernie Reid genannt wird, dem Gabriel Byrne ein durch und durch trauriges Gesicht und melancholisches Wesen gibt, glaubt ihr das auf Anhieb und lange. Beim zufälligen Zusammentreffen holt Anna aus dem Aufzug einen orangefarbenen Schirm, den sie stehen gelassen hat, sagt sie, aber dann läßt sie ihn wieder auf dem Parkplatz stehen und wir wissen, hier passiert etwas Wichtiges, hier will der Film uns etwas sagen, noch dazu spielt das Ganze in den frühen Morgenstunden.
Der Detective ist also – nach einer schlaflosen Nacht – als Erster am Tatort und Anna, wie sie ebenso salopp genannt wird, kehrt aus dem Nirgendwo nach Hause zurück, wo sie mit einem Gespenst lebt. Dazu noch mehr. Dieses Gefühl von Bedeutsamkeit verläßt uns nicht, wenn nun erst einmal Annas Leben zwischen Wohnung und Etablissements geschildert wird, wo alleinstehende ältere Frauen auf ältere Herren treffen – ja, das ist Absicht, den Männern das Merkmal 'alleinstehend' zu verweigern, da der eine und andere durchaus eine abgelebte Frau zu Hause hat. Anna trifft dort auf Männer, was man Speed Dating nennt und läßt sich abschleppen. Allerdings wirkt sie auch dabei unbeteiligt und freudlos.
In ihrer Wohnung ist Anna sehr geschäftig, sie muß Termine wahrnehmen und dann sind immer wieder die Einschübe mit ihrer Tochter und dem Enkelkind, die beide in einem einzigen Zimmer derzeit bei ihr wohnen. Drei Geschichten vermischen sich hier. Da ist die Einsamkeit und Verlorenheit des Polizisten, der sein Tun angesichts der Verbrechen als vergeblich ansieht, was auf sein ganzes Leben überschwappt, weil er den Beruf für das Leben nahm. Seine Frau hat ihn gerade verlassen. Das Zweite ist diese rätselhafte Anna, die für den Zuschauer aus dem Nichts kommend, Dinge tut, bei denen man ihr die Mühe und nicht die Freude ansieht – auf solche Singlespartys zu gehen beispielsweise – und das Dritte ist der Großstadtmoloch London, den wir in Gestalt des Barbican Centre kennenlernen. Das ist dieser Riesenkomplex zwischen zwei Undergroundstationen, in dem als Gebäude der Zukunft Museen mit Restaurants, Geschäfte und Bürokolosse, verbunden mit Wohnungen, eine Einheit aus Zement eingehen. Wie eine autarke Burg, nur sehr viel häßlicher.
Das alles läßt Regisseur Southcombe hauptsächlich des Nachts oder bei Regen in kühlen Farben mit vielen Reflexionslichtern filmisch auf die Leinwand bannen, die den Film über vor sich hinsagt: „Hier geschieht etwas Bedeutendes. Sieh genau hin.“ Das tun wir, aber außer, daß sich ein gewollter Anfangsverdacht, wer den Herrn im Hochhaus so blutig zum Tode brachte, bewahrheitet und gleichzeitig eine völlig unverdächtige familiäre Begebenheit von Anna zum eigentlichen Plot wird, passiert nichts, wenn man davon absieht, daß wir Bernie zusehen, wie er um Anna wirbt, wie er ihretwegen in den Club geht, wo sie verkehrt, wo Männer auf Frauen treffen und umgekehrt. Daß er als Polizist auf ihren Spuren ist, bemerkt er kaum. Oder ist das auch berufliches Interesse, daß er wie ein Insektenforscher ein ihn berührendes Insekt erblickt, erforscht, aber dann vernichten muß?
Das alles wird gerade durch die Strategie des Nichtbedeutsamen so überaus auf bedeutsam inszeniert, daß einem die Handlung aufgebauscht und die Geschichte künstlich vorkommt. Ein wirklicher Film noir aber müßte durch die Atmosphäre wirken, ohne daß der Zuschauer unentwegt denkt: hier soll ich Atmosphäre empfinden. Bleiben die Schauspieler. Zum einen ist Charlotte Rampling keine Frau über 50, die noch einmal einen Partner sucht. Sie ist für die Rolle entweder zu alt oder zu intelligent. Sie ist so Oberfläche und erscheint sowohl leer als auch zwangsneurotisch, was ja das Gegenteil wäre, so daß wir uns - schon aus Tradition – nicht vom Blick auf ihr Gesicht/Ihre Gestalt ließen. Voller Erwartung, daß noch etwas passiere.
Es passiert auch etwas, aber da wissen wir schon, daß Bernie, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, als er diese erst einmal entwirren kann, weiterhin einsam sein wird. Schade drum. Auf diesen Film hatte wir uns richtig gefreut.