Bildschirmfoto 2019 09 26 um 00.11.57Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. September 2019, Teil 6

Redaktion

Paris (Weltexpresso) -  Wie kam es zu der erneuten Zusammenarbeit mit François Ozon?

François gehört zu den großen Regisseuren seiner Generation. Und er ist ein Freund. Es war ein Glücksfall für mich, dass er wieder mit mir arbeiten wollte, insbesondere bei diesem Film, der, so hoffe ich zumindest, viele Menschen bewegen und aufrütteln wird.

Wir trafen uns zum Mittagessen, und er erzählte mir von dem Projekt. Als wir uns verabschiedeten, fragte ich ihn, wie denn der Titel des Films sein soll. Und er sagte nur noch: GELOBT SEI GOTT. Dann lief ich allein durch die Straßen, ziemlich aufgewühlt von diesem kraftvollen Titel. Zu dem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass Kardinal Barbarin diese Worte tatsächlich so gesagt hat.

Während der Vorbereitungszeit für den Dreh zeigte François mir Casting-Proben, ließ mich Szenen lesen, stellte mir Fragen. Ohne konkret für irgendetwas verantwortlich zu sein, fühlte ich mich in den ganzen Prozess eingebunden, und das fand ich großartig.


GELOBT SEI GOTT hat manchmal fast dokumentarische Züge, wenn der Fall Barbarin und die Gründung des Vereins La Parole Liberée dargestellt werden.

Wir hatten alle von Preynat und Barbarin in der Presse oder im Fernsehen gehört und wissen, dass es zahlreiche Fälle von Pädophilie in der Kirche gibt. Die Medien haben Zahlen veröffentlicht, die intensiv über Twitter kommentiert werden ... Aber was den Film so stark macht, ist die Tatsache, dass er uns die Geschichte von innen erleben lässt. Wir sind ganz bei den Menschen, die das durchgemacht haben. Wir werden uns bewusst, welche Schäden diese Missbräuche angerichtet haben und denken darüber nach, wie die Auswirkungen auf ihr Leben sind. Die pädophilen Taten sind somit in zweierlei Hinsicht ein Verbrechen – nicht nur die sexuellen Belästigungen an sich, sondern auch die daraus resultierenden psychischen Störungen.


Wie haben Sie sich Ihrer Figur genähert? Haben Sie sich von einer realen Person inspirieren lassen?

Natürlich habe ich mir viele Interviews mit dem echten François angeschaut. Ich habe versucht, einige Ausdrucksweisen von ihm zu übernehmen, wollte aber nicht übertreiben. François (Ozon) und die Kostümbildnerin Pascaline Chavanne hatten mehr oder weniger François’ Kleidungsstil im Kopf, aber ich wollte nicht nur ein Copy-and-paste machen, keine Imitation sein. Es hätte nichts gebracht, wenn ich zu einer Karikatur geworden wäre.

Am Ende habe ich mich hauptsächlich vom Thema leiten lassen, das mich persönlich sehr berührt hat. Ich bin ganz in die Geschichte eingetaucht, habe mein ganzes Mitgefühl eingebracht und daran gedacht, was es bedeutet, als Kind sexuell missbraucht zu werden. Wenn man sich umhört, wird man sich bewusst, wie viele Menschen ähnlich traumatische Erfahrungen in ihrer Kindheit gemacht haben.


Aber den echten François haben Sie doch getroffen?

Ich bin in ihn hineingerannt. Wir drehten in seinem Haus, und er wohnte im selben Hotel wie wir. Aber ich wollte nicht mit ihm sprechen, weil ich mitten im Dreh war. Sonst hätte ich vielleicht das Gefühl bekommen, nicht am richtigen Platz zu sein, irgendetwas falsch zu machen. Ich wollte in der Energie bleiben, mit der ich mich der Figur genähert hatte, übertrug meine menschlichen Empfindungen auf seine Geschichte. Dabei habe ich immer den echten François im Kopf gehabt, voller Bewunderung für das, was er getan hat.


Abgesehen von den Dokumenten im Zusammenhang mit der Preynat-Affaire, haben Sie sich bestimmte Filme angeschaut, um sich in Ihre Figur hineinzuversetzen?

Ich habe viele Dokumentationen über Pfadfinder gesehen und sie mit meinem Handy aufgezeichnet. Wenn ich dann am Set die Unschuld der Kinder, die in den Wäldern spielten, erneut hörte, kehrte sofort meine rebellische Energie zurück, die in der Hektik am Set verloren zu gehen drohte – speziell bei einem Dreh mit Ozon, wo alles mit Tempo abläuft! Dann habe ich meine Kopfhörer aufgesetzt, und diese Stimmen haben mir, wie die Feder bei Dumbo, geholfen, mich zu zentrieren – und mich zu erinnern, warum ich diesen Film mache.


Sie verkörpern mit François die kämpferischste Figur von allen Mitgliedern des Opfervereins, die am wenigsten geneigt ist zu verzeihen.

Ja, er ist eine Kämpfernatur. Er legt sich mit jedem an, will wirklich etwas bewegen. Für ihn ist es undenkbar, die Ausreden von Preynat durchgehen zu lassen und zu verzeihen. Aber François geht es weniger um Rache oder die Ausrottung des Bösen. Sein Ziel ist es, den Missbrauch und die gravierenden Auswirkungen im Leben der Opfer ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen und die schweigende Mittäterschaft der Kirche und ihrer Amtsträger anzuprangern.


Als Kind konnte François seinen Eltern erzählen, was passiert war, und sie haben ihm zugehört. Aber er hatte Angst davor, für Preynats Inhaftierung verantwortlich zu sein.

Ja, und auch Angst davor, dass er und seine Familie von den Nachbarn und ihrem katholischen, stark von der Kirche geprägten Umfeld stigmatisiert werden. Deshalb haben sie sich dazu entschlossen, an die Kirchenhierarchie zu schreiben, damit sie Preynat aus seinem Wirkungskreis entfernen und er keinen Schaden mehr anrichten kann. Und sie dachten, dass sie damit Erfolg hätten, denn die Antwort der Institution lautete: „Selbstverständlich, wir werden ihn versetzen.“ Preynat wurde tatsächlich versetzt ... aber er hatte immer noch Kontakt zu Kindern. Menschen, die Kinder sexuell missbrauchen, nennt man „Pädophile“, aber wie nennt man Menschen, die vor diesem Missbrauch die Augen verschließen und den Pädophilen lediglich an einen anderen Ort, zu anderen Kindern bringen? Es gibt kein Wort, das diese Sorte Verbrecher definiert. Es wird Zeit, eines zu finden!


Der Film lässt viel Raum für Empörung, aber er ist nicht antiklerikal.

Definitiv nicht, und das ist gut so. Den Leuten ist ihr Glaube wertvoll, die Messe zu besuchen, eine ethische Verhaltensrichtschnur zu haben, eine Art von Leben in Liebe zu führen. Glaube steht für Güte und Mitgefühl, all jene wunderbaren Wertvorstellungen, die auch den Kern der Kirchenlehre ausmachen. GELOBT SEI GOTT ist kein Film gegen die Kirche, sondern will, dass die Kirche aufhört, die Augen vor diesen Verbrechen zu verschließen und reinen Tisch macht für einen Neuanfang. Und vielleicht Priestern, ob Heteros oder Homos, eine eigene Sexualität und ein eigenes Leben erlaubt, so wie es allen Menschen erlaubt sein sollte, und zwar von Kindesbeinen an.


Auf der Pressekonferenz hält sich Ihre Figur an die Fakten und legt dabei die erbarmungslose Entschlossenheit eines US-Filmhelden an den Tag.

Das ist genau das, was dem Film Kraft verleiht: Er hält sich an die Fakten, ohne jemanden zu beschuldigen. François wollte, dass ich in der Szene mit der Pressekonferenz einfach und sachlich bleibe. Es war auch gar nicht nötig, drastisch zu werden, denn die Schärfe meiner Einlassungen ergab sich ganz natürlich aus dem Ton meiner Stimme.

Die reinen Fakten im Skript wirken noch beunruhigender, sobald die Schauspieler in ihre Rollen schlüpfen und den Figuren schlagartig Menschlichkeit einhauchen, wodurch der Zuschauer mitgenommen wird. Irgendwann während des Drehs beobachtete ich Swann und Josiane von weitem zusammen, wie sie miteinander redeten, und mir dämmerte, dass diese Geschichte, die ich meinte, auswendig zu kennen, noch facettenreicher wurde. Josiane ist einfach toll. Sie sagt drei Sätze und haut alle um. Melvil habe ich nie besser gesehen. Und Swann ist wie eine Stradivari.

Foto:
© Verleih

Info:
DARSTELLER
Alexandre Guérin .        Melvil Poupaud
François Debord           Denis Ménochet
Emmanuel Thomassin  Swann Arlaud
Gilles Perret                  Éric Caravaca
Cardinal Barbarin          François Marthouret
Bernard Preynat            Bernard Verley
Irène, Mutter von Emanuelle         Josiane Balasko

Abdruck aus dem Presseheft