Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. September 2019, Teil 3
Redaktion
London (Weltexpresso) - Produzent Paul Kewley über die Besonderheiten von Stop-Motion-Animation und darüber, was Shaun und Chuck Norris gemeinsam haben: Nachdem er seinen Plan, Arzt zu werden, mit 18 Jahren aufgab („Zweifellos sind dadurch viele Menschenleben gerettet worden“, merkt er trocken an), begann Produzent Paul Kewley eine Karriere in der Unterhaltungsindustrie – und ist seit knapp zehn Jahren bei Aardman tätig.
Seine Aufgabe ist es, das große Kreativteam zusammenzuhalten – so ist es wohl auch kein Wunder, dass Kewleys Lieblingsfigur die des autoritären Hofhundes Bitzer ist. Aber während Bitzer dafür bekannt ist, sich selbst immer etwas zu wichtig zu nehmen, nimmt Kewley eine etwas andere Haltung ein und mischt den Ernst gern mit etwas Albernheit. Er selbst sagt: „Wenn man eine Position hat, in der man Entscheidungen treffen muss, dann sollte man die Entscheidungen schnell und folgerichtig treffen, und wenn sich später herausstellt, dass man falsch lag, sollte man die Entscheidung auch schnell wieder zurücknehmen und es beim nächsten Mal besser machen...“
Kurz vor dem Kinostart wirken bei Aardman alle Beteiligten ziemlich entspannt – sollte hier nicht mehr Hektik herrschen?
Das liegt daran, dass wir alle mit unserem Schicksal abgeschlossen haben.... (lacht) Tatsächlich ist es immer ein Wettlauf mit der Uhr, wenn man diese Art von Film macht. Mark Burton beschreibt es als einen Autounfall im Schneckentempo, und ich kann da nur zustimmen! Bei einem Realfilm geht alles sehr schnell und sehr viel passiert gleichzeitig. Hier kann man Probleme schon von weitem kommen sehen, aber es dauert auch lang, um das Schiff um sie herumzusteuern. Wenn man auf der Suche nach einer Lösung ist, muss man sie erst am Storyboard testen, um zu schauen, ob sie auch wirklich funktioniert, und das kann ein paar Tage dauern. Und manchmal haben solche Entscheidungen auch weitreichende Folgen für alles weitere.
Ist das gemeinsame Finden von Ideen ihre Lieblingsarbeit?
Ich liebe es, wenn man die Geschichte schließlich in Form gebracht hat und wenn man die große Idee, die hinter allem steht, festgenagelt hat. Aber es kann auch sehr viel Frust bereiten. Man spricht tagelang immer wieder über bestimmte Dinge, und dann kommt plötzlich jemand an und sagt: Hört mal zu, wie wär’s hiermit? – und die ursprüngliche Idee fällt in sich zusammen. Es geht ums Bauen und ums Wiederaufbauen. Wir sind ständig damit beschäftigt, ein gutes Fundament für die Story zu legen. Diesen Teil des kreativen Prozesses liebe ich.
Wie laufen die Testvorführungen ab?
Das sind immer sehr aufregende Momente, aber mit den Jahren lernt man, sich darauf einzustellen und zu sagen: Was immer auch geschieht...! Man kann sich vorher Sorgen machen und die Nägel abkauen, aber davon hat auch niemand etwas. Eigentlich ist es ja auch ein absolut faszinierender Vorgang, wenn man zugucken kann, wie die Leute darauf reagieren. Bei der Produktion hat jeder eine Meinung dazu, was am Film stimmt und was nicht; das kann man nicht einfach so abbügeln. Aber wenn man den Film mit Publikum anschaut, muss man die Reaktion so nehmen, wie sie ist – da hilft auch kein Argumentieren. Ich liebe es, aber ich fürchte es auch.
Auf wessen Reaktionen kommt es Ihnen besonders an – die der Kinder oder die der Erwachsenen?
Auf beides – denn unser Film soll ja für alle funktionieren. Mit 48 möchte ich nicht mit meinem siebenjährigen Sohn in einen Film gehen und zu Tode gelangweilt sein, sondern ich will genauso viel Spaß haben wie er! Wir wollen beide Altersgruppen bedienen, und genau das hat Aardman immer ganz großartig hinbekommen.
Hat ihre Erfahrung als Vater ihre Sicht auf das Filmemachen verändert?
Man bekommt auf jeden Fall besser mit, womit sich Kinder beschäftigen. Ich war schon immer ein großer an von Familienunterhaltung und habe mich damit auch beschäftigt, als ich in den USA studiert habe. Ich liebe die Filme von Amblin, diese großen Popcorn-Filme für die ganze Familie. Animation ist immer mehr in diesen Bereich gegangen. Ich bin nicht auf Animation fixiert, aber was ich daran liebe: dass man damit Geschichten auf ganz andere Art und Weise erzählen kann. Wenn man Kinder hat, wird man ständig
daran erinnert. Meine Söhne sind sieben und 21 Jahre alt, es liegt also eine ganze Generation dazwischen. In den vergangenen 20 Jahren habe ich miterlebt, wie sich Animationsfilme verändert haben und wie die Kinder auf sie reagieren.
Ist es Ihre Aufgabe als Produzent zu entscheiden, was gemacht werden kann und was nicht?
Genau – ich bin viel damit beschäftigt, Ressourcen zu verteilen. Ich sorge dafür, dass alle in die gleiche Richtung segeln, um am Ende den Hafen zu erreichen. Ich habe dafür zu sorgen, dass alle Bälle in der Luft bleiben, dass die Entscheidungen schnell getroffen werden – und dass es hoffentlich die richtigen Entscheidungen sind. Eine sehr wichtige Sache habe ich schon früh im Studium von einem meiner Professoren, der auch selbst Produzent war, gelernt. Er sagte: Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Es kommt darauf an, schnell und konsistent zu entscheiden, und auch darauf, sich zu korrigieren, wenn sich später eine Idee als schlecht herausstellt, und daraus zu lernen. Wenn man Entscheidungen herauszögert, wird nie ein Film daraus.
Aardman ist bekannt dafür, wie viel Arbeit in die Charaktere gesteckt wird. Haben alle Filmfiguren eine Backstory?
Ja, alle. Weil es sehr wichtig ist, dass alle Beteiligten die Figur richtig verstehen. Wenn 20 Animatoren an derselben Figur arbeiten, müssen sie dieselbe Vorstellung von der Figur teilen. Daher halten wir die Figuren auch so konkret wie möglich und durchbrechen das nur ganz selten, wenn sich daraus ein komischer Effekt ergibt. Die Leute verstehen die Figuren ja auch genau. Wenn man mit Kindern spricht, können sie einem genau erklären, was Shaun für ein Charakter ist, und genauso ist es bei Bitzer und dem Bauern. Wenn man das grundsätzlich veränderte, würden einem die Zuschauer aufs Dach steigen.
Weshalb ist Shauns Erfolg so langlebig?
Nick Park hat damals die perfekte Figur geschaffen. Und Richard Starzak hat, als er die Serie entwickelt hat, die Figur immer weiter ausgearbeitet zu einem Charakter, den jeder versteht. Shaun ist einfach nicht brav. Ich würde auch nicht wollen, dass mein siebenjähriger Sohn ständig artig ist. Er soll auch mal gegen Sachen angehen. Shaun ist immer derjenige, der Alarm macht, aber er weiß auch, wenn er zu weit gegangen ist. Deshalb können wir uns alle so gut mit ihm identifizieren.
Ist es gerade der klar erkennbare typische Aardman-Stil, der Shaun so erfolgreich gemacht hat?
Ganz genau. Aardman-Filme sind nicht an Ländergrenzen gebunden; ähnlich wie eine Figur wie Mr. Bean mit seinem universell verständlichen Slapstick. In Deutschland wird Shaun wie eine einheimische Produktion gesehen, und in Japan oder dem Nahen Osten genauso. Shaun ist wie Chuck Norris: Dessen Filme werden auch auf der ganzen Welt geliebt.
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Info:
Shaun das Schaf - Der Film: UFO-Alarm (Großbritannien 2019)
Originaltitel: Shaun the Sheep Movie: Farmageddon
Abdruck aus dem Presseheft