Jan Bonny
Berlin (Weltexpresso) - Vor etwa anderthalb Jahren habe ich den NSU-Prozess in München besucht. Es wird über den NSU zumeist journalistisch berichtet. Und wenn er künstlerisch reflektiert wird, dann oft vorsichtig, erklärend, vom sicheren Standpunkt aus. Es sind Erzählungen über die ,Anderen‘, gescheiterte Existenzen werden erklärt, die Unterschiede zwischen gelungenen und misslungenen Leben werden beleuchtet. Fast immer wird die eigene moralische Position, die Sicherheit des eigenen Urteils bestätigt. Wir haben darüber gesprochen, also haben wir es im Griff.
Ich bin mir da nicht so sicher. Den NSU haben wir nicht im Griff. Die großspurige Buchstabenkombination behauptet historische Nähe im gleichen Maße zur NSDAP wie zur RAF. Das suggeriert Ideologie und Festigkeit dieser Ideologie, aber das Erschütternde ist doch eben auch das Private, das Einfache an diesen drei Menschen aus dem deutschen Untergrund, der grenzenlose Narzissmus, die Selbstversicherung und Selbstaufwertung durch die Allmachtsphantasie der Gewaltausübung. Das gefällte Urteil im NSU Prozess löst dabei nicht die gegenwärtigen Probleme.
Bewusst erzählen wir von drei Figuren, die es zu entdecken gilt, die in einem billigen zähen Rausch leben, in dem das Tun und das Töten die einzigen Versicherungen eines eigenen Werts sind. Dies ist ein Film über die Frage nach der Banalität des Bösen. Becky, Maik und Tommi sind drei Menschen, die miteinander, aneinander, gegeneinander agieren. Nicht für etwas, nur gegen etwas, wenn überhaupt, dann für sich.
Das „Wintermärchen“ soll eine Zumutung sein für den Zuschauer, ein Rausch, ein Blick in den Abgrund, den wir uns immer versuchen zu ersparen. Der Film soll machen, was nur ein Film kann: durch Körperlichkeit eine Erfahrung vermitteln, sinnlich und auf Augenhöhe mit den Figuren sein, wo wir uns doch lieber Distanz und Überlegenheit wünschen würden. Ich möchte, dass wir uns als Zuschauer nach dem Film gegen den Film wehren müssen, dass wir ihn nicht abhaken können, dass er uns in die Auseinandersetzung zwingt. Es gibt kein Licht in diesem Film, keine Lehre, es kann nur unser eigenes Denken und Handeln sein, das den Unterschied macht. Die entscheidende Frage ist nicht, wie konnten die drei so werden wie sie sind, was ist der soziale Hintergrund der ,Anderen‘, sondern warum kann das einfach so einfach sein.
„Wintermärchen“ verweist als Titel zum einen auf Heinrich Heine, dessen Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt wurden, als eine Erinnerung an sein „Wintermärchen“. »Im traurigen Monat November war’s, / Die Tage wurden trüber / Der Wind riss von den Bäumen das Laub, / Da reist ich nach Deutschland hinüber.« Zum anderen ist „Wintermärchen“ ein Verweis auf das blödsinnige ,Sommermärchen‘, die WM 2006 in Deutschland, die uns das Fahnenschwenken und die verkrampfte neue nationale Entspanntheit der Deutschen gebracht hat. Die Frage ist erlaubt, ob das alles so unschuldig war und ist. In diesem Sinne ist „Wintermärchen“ ein dunkles Märchen, eine schmutzige Fantasie.
Foto:
©
Info:
Darsteller
Tommi Thomas Schubert
Becky Ricarda Seifried
Maik Jean-Luc Bubert
Mutter Victoria Trauttmansdorff
Watzek Lars Eidinger
©
Info:
Darsteller
Tommi Thomas Schubert
Becky Ricarda Seifried
Maik Jean-Luc Bubert
Mutter Victoria Trauttmansdorff
Watzek Lars Eidinger
Drehbuch Jan Eichberg und Jan Bonny
Regie Jan Bonny
Kamera Benjamin Loeb
Info:
„Wintermärchen“ ist eine Produktion der Heimatfilm, gefördert durch Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und Film- und Medienstiftung NRW. Im Verleih von W-film Distribution.
Nach dem Cannes-Beitrag „Gegenüber“ begeisterte der zweite Kinofilm des Kölner Regisseurs als einziger deutscher Beitrag im Internationalen Wettbewerb auf dem Locarno Festival 2018.
Regie Jan Bonny
Kamera Benjamin Loeb
Info:
„Wintermärchen“ ist eine Produktion der Heimatfilm, gefördert durch Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und Film- und Medienstiftung NRW. Im Verleih von W-film Distribution.
Nach dem Cannes-Beitrag „Gegenüber“ begeisterte der zweite Kinofilm des Kölner Regisseurs als einziger deutscher Beitrag im Internationalen Wettbewerb auf dem Locarno Festival 2018.