f skin2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Oktober 2019, Teil 15

Redaktion

Los Angeles (Weltexpresso) - Wie sind sie auf die Story gestoßen?

Jamie Ray Newman, meine jetzige Frau und Produktionspartnerin, und ich waren damals verlobt und führten eine Fernbeziehung. Ich stand 2012 kurz vor dem Umzug in die Staaten und war auf der Suche nach einem Stoff für meinen ersten amerikanischen Film. Ich saß in einem Coffee Shop in Tel Aviv und las eine Zeitung, in der Fotos von Bryon Widner abgedruckt waren – jenem verrückten, faszinierenden Ex-Neonazi, dessen Gesicht einst von Tätowierungen übersät war, die er sich in einem langen, schmerzhaften Prozess hatte entfernen lassen. So hat er sich äußerlich und innerlich, physisch und emotional, von seiner Vergangenheit gelöst. Als Enkel von vier Holocaust-Überlebenden wollte ich sofort mehr über ihn erfahren. Ich zeigte den Artikel meinem Großvater und er ermutigte mich, die Geschichte weiter zu verfolgen.



Wie ging es dann weiter?

Jaime und ich machten uns auf die Suche nach Bryon. Das stellte sich natürlich als große Herausforderung dar, denn er hielt sich versteckt. Doch es gelang uns, Kontakt aufzunehmen und er bot mir ein Treffen in einem Diner an einer Schnellstraße an. Ich flog also von Israel in die Staaten, war mir aber nicht sicher, ob Bryon auftauchen würde. Aber er kam – und wir saßen dann ganze vier Tage lang zusammen. Wir freundeten uns sogar an. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit einem Ex-Neonazi so gut auskommen würde.



SKIN ist ihr erster US-Spielfilm. Warum erzählen sie diese Geschichte jetzt?

Wir leben in verrückten Zeiten. Die Menschen haben die Hoffnung verloren. Worte wie „Friede” und „Liebe” sind zu Floskeln verkommen. 24 Stunden, sieben Tage die Woche sehen wir uns mit Gewalt und Hass konfrontiert. Als ich Bryons Geschichte 2012 las, waren die Vereinigten Staaten noch anders, aber die kommende Katastrophe war schon spürbar. Ich hatte das Gefühl, dass ich diese außergewöhnliche Geschichte von diesem innerlich wie äußerlich schwer verletzten Mann, der es geschafft hatte, sich grundlegend zu ändern, einfach erzählen musste. Manche Leute verdienen einfach eine zweite Chance. Es gibt Möglichkeiten, sich von der Vergangenheit zu befreien. Ich wollte das Publikum mit dieser Tatsache konfrontieren, die Zuschauer sollen in sich hineinschauen, vergeben, Hilfe anbieten. So wie es Daryle Lemont Jenkins getan hat, als er sich mit Bryon anfreundete und ihn letztendlich gerettet hat.



Das klingt sehr einfach...

Ist es aber nicht. Im Gegenteil, es ist sogar sehr kompliziert. Ist Gewalt in unserer DNA angelegt? Können wir uns ändern, können wir uns davon lösen, wie wir erzogen wurden? Unser Film erforscht einen sehr komplizierten, vielschichtigen Mann. Ich will seinen schwierigen Weg nicht simplifizieren, ich will ihn nicht als unschuldiges Opfer zeigen, ich will ihn nicht schönreden. An seiner Metamorphose ist nichts einfach. 


Wie sind sie in Sache Recherche und Drehbuch an das Projekt herangegangen?

Bryon Widner und Daryle Lemont Jenkins haben mir beim Skript extrem geholfen. Wir haben uns mehrfach persönlich getroffen und ausgetauscht, haben im Verlauf von vier Jahren ewige Stunden telefoniert oder uns via Skype unterhalten. Ich habe obendrein mit Schlüsselpersonen des Southern Poverty Law Center gesprochen, die maßgeblich geholfen haben, Bryon zu retten. Nicht zu vergessen Bill Brummells fantastische MSNBC-Dokumentation "Erasing Hate" von 2011. Sie war für mich unbezahlbar. Brummell lebte während der zwei Jahre, in denen Bryon sich seine Tattoos entfernen ließ, immer wieder mit ihm und seiner Familie zusammen. Als ich mich ans Skript setzte, hatte man Obama gerade für seine zweite Amtszeit gewählt. Viele Menschen glaubten, dass es in den USA kaum Faschisten und White-Power-Extremistengäbe. Leider ergaben meine Recherchen das Gegenteil. Im Hinterland der Vereinigten Staaten gibt es jede Menge Rassismus und Gewalt. Seit Trumps Wahl ist das ganz offensichtlich, aber im Zuge meiner Vorarbeit zum Film ist mir das schon viel früher klargeworden.



Können sie beschreiben, wie sie beim Casting vorgegangen sind? Hatten sie schon bestimmte Schauspieler im Kopf, als sie das Drehbuch schrieben?

Eigentlich nicht. Es war ein langer Prozess, bis wir den richtigen „Bryon” fanden. Die unglaubliche Laura Rosenthal und ihr talentiertes Team waren maßgeblich daran beteiligt, die passenden Schauspieler für SKIN zu finden. Mit der wunderschönen und begabten Danielle Macdonald hatte ich schon bei meinem Kurzfilm „Skin” zusammengearbeitet, ihr Spiel in PATTI CAKE$ hatte mich begeistert. Ich bot ihr also die Rolle der Julie an. Nachdem Danielle zugesagt hatte, hatte mein Produzent Oren Moverman die brillante Idee, Jamie Bell als Bryon zu engagieren. Ich habe Jamies Arbeit immer schon bewundert – sein Talent und seine Intelligenz. Um herauszufinden, ob er in der Lage war, diesen gnadenlosen, harten und schwer verletzten Mann zu spielen, fuhr ich nach Virginia, wo er gerade für die Fernsehserie „TURN – Washington’s Spies“ vor der Kamera stand. Wir unterhielten uns lange und ich erkannte in ihm einen reifen, reflektierten Mann, der die Tiefe, den Charme und die nötige Physis besaß, um Bryon zu verkörpern.



Wie ging es dann weiter?

Wir machten uns an die Besetzung der Nebenrollen. Ich verabredete mich via Skype mit Vera (Farmiga), die ich seit Langem bewundere und unsere Chemie stimmte sofort. Es war mir wichtig, dass alle Charaktere echt und glaubwürdig wirkten – sie mussten zusammenpassen. Und das traf bei Bill (Camp), seiner Film-Ehefrau Vera und Louisa Krause), die als April zu sehen ist, absolut zu. Nicht zu vergessen Mike Colter, der in die Rolle von Daryle Lamont Jenkins geschlüpft ist, auch da hätte ich mir niemanden besseren vorstellen können.


Können sie ein wenig auf Jamie Bells Transformation eingehen und erläutern, wie die Zusammenarbeit mit ihm war?

Jamie hat Bryon fesselnd und erschütternd porträtiert, ist in seiner schwierigen Rolle voll aufgegangen und hat für den Part innerhalb kürzester Zeit rund zehn Kilo zugenommen. Er hat sich mit Bryon Widner getroffen, sich mit ihm ausgiebig ausgetauscht, dessen Körpersprache und Mimik studiert. Er ist das Herz des Films, instinktiv und explosiv. Sein Spiel ist unglaublich nuanciert und komplex, er hat es perfekt verstanden, diesen zerrissenen, oft gewalttätigen Mann einzufangen. Ich habe Jamie viel Raum zum Improvisieren eingeräumt, er sollte sich in der Rolle wiederfinden. Ich habe ihm diesbezüglich voll vertraut. Er hat ausgiebig recherchiert, sich einschlägige Dokumentarfilme angesehen und auf diversen Websites mit den verschiedenen faschistoiden Gruppierungen befasst. Es hat jeden Tag dreieinhalb Stunden gedauert, bis er sich in Bryon verwandelt hatte – Tätowierungen, falsche Zähne, eine kleine Nasenprothese, Kontaktlinsen... Manchmal hat er seine Tätowierungen über Nacht
behalten, um am nächsten Morgen Zeit zu sparen. Dann lief er voll tätowiert in der Gegend herum – die Leute haben ihn nicht angesehen, es war ihnen peinlich. Als ich ihn erstmals als Bryon sah, liefen mir Angstschauer über den Rücken.

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Bryon Widner                Jamie Bell
Julie Price                     Danielle Macdonald
Fred "Hammer" Krager Bill Camp
Shareen Krager             Vera Farmiga
Daryle Jenkins               Mike Colter
Slayer .                           Daniel Henshall

Abdruck aus dem Presseheft