Bildschirmfoto 2019 10 17 um 04.41.14Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Oktober 2019, Teil

Jacqueline Schwarz

Berlin (Weltexpresso) - Jakob (Simon Frühwirth) leidet an Angstattacken und Halluzinationen. In einem Wiener Schlachthaus, in dem er tagsüber aufgehängte Schweine säubert, ist der 17-Jährige  umgeben von abgestumpften, grobschlächtigen Kerlen. Bei seinem kranken Opa (Wolfgang Hübsch) und seinem einsilbigen, empathielosen Vater (Josef Hader) findet er keinen Halt. Einzig auf schwulen Sex-Seiten im Internet entflieht der junge Mann nachts seiner Isolation und Einsamkeit. Im Videochat lernt er Kristjan (Paul Forman) kennen, einen Künstler aus England, der in Wien studiert.


Jakob sehnt sich nach Zärtlichkeit und einem freien Leben abseits der Monotonie. Mit Kristjan betritt er eine neue fremde Welt der schönen Künste und Museen. Doch plötzlich bricht er zusammen und damit beginnt ein furchteinflößender Trip in das Unterbewusstsein

Mit „Nevrland“ empfiehlt sich Georg Schmidinger als ein ambitionierter Debütant, der sein Coming-of-Age-Drama allemal reizvoll mit Elementen des Sozialdramas, Psychothrillers und Horrorfilms verbindet. Mit radikalen Bildern in kalten Farben, harten Schnitten und dröhnenden Techno-Beats kreiert er eine grenzüberschreitende Reise in die menschliche Seele, die zum Ende hin zunehmend surrealer anmutet.

Die Geschichte wirkt allerdings zu wenig auslaboriert und damit verschenkt der Film spannendes Potenzial. Schmidinger zieht einen zwar immer wieder in die Innenwelt des gequälten Protagonisten hinein, doch wirft er damit nur Köder aus: Kaum haben Szenen das Interesse an dem Helden erhöht, lösen sie sich schon wieder auf.  In einer Auseinandersetzung mit dem Vater werden beispielsweise unausgesprochene Spannungen spürbar. Aber diese Sequenz ist viel zu kurz, um daraus ableiten zu können, ob und inwiefern der Vater, der in diesem Moment einmal aufbraust und im weiteren Verlauf gar nicht mehr auftritt, an Jakobs Angststörungen die Schuld trägt. Für die bescheidene, unausgegorene, kleine Rolle ist ein so trefflicher Schauspieler wie Josef Hader mithin auch überqualifiziert. Das Drehbuch eröffnet ihm keine Spielräume, mehr über die zwischenmenschlichen Konflikte und etwaige Traumata  einzubringen. Ähnlich verhält es sich mit einer Szene beim Psychotherapeuten, wo Jakob seine Angst personalisieren soll. Es geht ungemein düster los und hat den Anschein, als würden endlich die Gründe für die Wahnvorstellungen ergründet. Aber dann folgt wieder mal ein harter Schnitt, und die Neugier wird abermals enttäuscht.

Beliebig bleibt auch Jakobs Homosexualität. Schmidinger taucht nicht tiefer ein in die queere Welt. Die Sehnsucht nach Geborgenheit nimmt zunächst mehr Raum ein als die Beziehung zwischen Jakob und Kristjan, am Ende mündet alles in einen finsteren, unwirklich anmutenden Trip im Drogenrausch.

Trotz solcher Brüche gelingt es dem Regisseur, seine Zuschauer bei der Stange zu halten, dies auch dank permanent unerwarteter Wendungen und Szenen von atmosphärischer Dichte, die Ausnahmezustände erfahrbar machen. In ihren besten Momenten erinnern sie an Hans Weingartners preisgekröntes Drama „Das weiße Rauschen“.

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