Bildschirmfoto 2019 10 22 um 20.30.2030. Hessischer Film- und Kinopreis 2019 in der Alten Oper am 18. Oktober, Teil 3

Hanno Lustig

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - An anderer Stelle wollen wir gerne diskutieren, womit man einem Nachwuchstalent eine größere Freude, aber auch sinnvollere Ehre erweist, wenn der Newcomerpreis dem Talent im selben Jahr verliehen wird, wo auch ein Film sich  um einen Preis bewirbt. Beides, sowohl gut dotierten Nachwuchspreis wie auch den entsprechenden Filmpreis zu ergattern, wäre einfach zu viel. Was aber nützt dem Talent mehr? Wir dächten ja, der Filmpreis. Dann hätte man ja im nächsten Jahr, wo kein Film ansteht, erst recht den Newcomerpreis verleihen können. Aber irgendwie haben's die Hessen nicht mit der Strategie. Der Taktik erst recht nicht.

Der Preis in der Kategorie Dokumentarfilm geht an:
WHY ARE WE CREATIVE?, 79 Min., Regie: Hermann Vaske

Bildschirmfoto 2019 10 22 um 20.31.37Der Regisseur Hermann Vaske beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Frage „Why are we creative?“ Dieses in all seinen Werken immer wiederkehrende Thema hat er nun in einem 90-minütigen Roadmovie gebündelt, um die Facetten und die Grundfrage der Kreativität von bekannten Künstlern, Politikern und Wissenschaftlern aufzuzeigen. Er befragt seine Interviewpartner in zum Teil konstruierten, schwierigen Situationen, z.B. auf der Straße, per Telefon, in gediegener Hotelatmosphäre oder auf dem Weg zur Bühne, um sie ad hoc zu nicht vorbereiteten Statements zu
bewegen. Sie können dabei nur reden oder auch zeichnen.

Seine Herangehensweise und Annäherung an dieses komplexe Thema ist intellektuell, philosophisch und – trotz der Spontanität – fast wissenschaftlich – mit Sicherheit sind die Antworten für den Zuschauer sehr unterhaltsam und zur Selbsthinterfragung anregend.

Wo aber sind die Schauspielerpreise geblieben, die für das Publikum mit am spannendsten sind. Hier rechts im Bild Uwe Ochsenknecht in einer Dankes-Video-Botschaft, denn er hat gewonnen.
 
 
Nominiert waren außerdem:
ADELHEID, KORNELIUS UND DIE TÖDE, 91 Min., Regie: Kirstin Schmitt

„Adelheid, Kornelius und die Töde“ dreht sich um ein exzentrisches Ehepaar um die 80, das seit 53 Jahren verheiratet ist und eine symbiotische Beziehung führt. Kornelius‘ Krebsdiagnose führt jäh die Zerbrechlichkeit des Lebens vor Augen. Kirstin Schmitt schafft es mit sanftmütiger Geduld, ein Portrait dieses Lebens jahrzehntelanger Zweisamkeit zu zeichnen, dem man sich nicht entziehen kann.

Während Adelheid in stoischer Ruhe und stets mit viel Humor den großen Obst- und Gemüsegarten bestellt, widmet sich Kornelius der körperlichen Ertüchtigung und nimmt seine Diagnose zum Anlass, den Fokus auf die schönen Dinge des Lebens zu richten. Gemeinsam begegnet dieses außergewöhnliche Paar der Welt mit einem faszinierenden Optimismus, der den Zuschauer nahezu demütig stimmt. Nüchtern und rational bereitet sich Adelheid auf ein Leben ohne Kornelius vor.

Die Kameraführung ist zurückhaltend und niemals kommentierend. Man wird Zeuge einer großen Vertrautheit und eines langsamen und liebevollen Abschieds. Ein Film, der bewegt, an die eigene Menschlichkeit appelliert und lange im Gedächtnis bleibt.
 
 
BORN IN EVIN, 92 Min., Regie: Maryam Zaree

„Born in Evin“ erzählt die Geschichte von Regisseurin und Schauspielerin Maryam Zaree, die sich auf die Suche nach den gewaltvollen Umständen ihrer Geburt in einem der berüchtigtsten Gefängnisse im Iran macht. „Unsere Tränen sind politisch“, sagt Zaree. Ihr Regiedebüt ist viel mehr als die Aufarbeitung eines persönlichen Traumas. Mit berührender Ehrlichkeit und beeindruckendem Mut legt Maryam Zaree den Finger in eine noch immer offene Wunde.

Man folgt Zaree auf verschlungenen Pfaden auf eine Reise in die Vergangenheit. Zärtlich, ehrlich und nah gewährt sie uns Einblick in ihre persönliche Geschichte, ohne Angst, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Eine Geschichte, die ihren Anfang unter bis heute kaum aufgearbeiteten Menschenrechtsverletzungen nimmt. Am Ende dieser Reise sucht die Regisseurin nicht mehr nach Worten für das Unausgesprochene, findet stattdessen den Mut ihre Stimme zu erheben und eigene unbequeme Fragen zu stellen. Ein starkes Debüt und ein wichtiger Beitrag für das
kollektive Gedächtnis.
 


Der Preis in der Kategorie Kurzfilm geht an:
SEE DER FREUDE, 30 Min, Regie: Aliaksei Paluyan

Ein junges, kleines Mädchen reist, um seinen Vater zu suchen, durch Weißrussland - um ihn dann selbstbewusst, aber enttäuscht wieder zu verlassen. Diese in vielen kleinen, wunderschönen Momenten erzählte Geschichte wird von Regisseur Aliaksei Paluyan zu einem wunderbaren Kurzfilm geformt. Die subtile Kameraführung zeigt in liebevoller, dezenter Handschrift die eindrucksvollen Schauspieler – allen voran die
Hauptdarstellerin – und Landschaften – verbindet sie zu einer Einheit von Hoffnung, Liebe und Verlust und zeigt gleichzeitig die Schönheit von Natur und Mensch.

Nominiert waren außerdem:

REA, 23 Min., Regie: Joanna Bielinski

Die Regisseurin Joanna Bielinski hat mit ihrem Film „Rea“ ein Familiendrama mit Real Suspense-Elementen vorgelegt, das auf subtile und erschreckende Weise aufzeigt, wie häusliche Gewalt das Familienglück zerstört. Eindrucksvoll demonstriert sie aus der Sicht des Ehemanns, wie die Tabuisierung der Gewalt das Opfer ohnmächtig und hilflos in eine ausweglose Position drängt.

Die Visualisierung, der Schnitt und die Ausstattung sind vorbildlich. Die Regisseurin hat eine glaubhafte Stimmung inszeniert und diese ebenso für den Betrachter umgesetzt. Die Kameraarbeit ist in den Situationen der Gewalt handwerklich eindrucksvoll.
 
 
DER KLEINE ACHILL, 28 Min., Regie: Sebastian Jansen

Alex bekommt sein Fahrrad vom stadtbekannten Raufbold Georg geklaut. Seinem Zorn über diesen Verlust begegnet sein Vater mit einer epischen Gute-Nacht-Geschichte. In sehr guter Bildsprache versucht er mit einer immersiv vorgetragenen Adaption der Sage über den Kampf um Troja, seinen Sohn über den Verlust hinweg zu trösten. Dem Regisseur Sebastian Jansen gelingt dies in einer für Kinder einfach zu verstehenden Form: Der Sohn schlüpft in die Rolle des antiken Helden Achill.

Dies wird vom Regisseur sehr glaubhaft und spannend umgesetzt. Die Ausstattung, Kameraarbeit und Dramaturgie sind beeindruckend. Die zahlreichen Visual-FX sind gut in die Erzähl-Ästhetik eingebunden.
 
FORTSETZUNG FOLGT

Fotos:
© Redaktion

Info:
Einige Filme sind schon angelaufen, zu denen dann in Weltexpresso eine Filmkritik erschienen ist. Bitte im Suchfeld auf dem Titel nachforschen