Bildschirmfoto 2019 10 22 um 20.31.5330. Hessischer Film- und Kinopreis 2019 in der Alten Oper am 18. Oktober, Teil 2

Cordula Passow

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Um das noch einmal richtig einordnen zu können, wiederholen wir das zweigeteilte Prozedere der Hessischen Film- und Fernsehpreise. Der Ehrenpreis und der Nachkömmling- oder auch Nachwuchspreis - übrigens welche schöne Worte auf Deutsch - werden beide im vorhinein vergeben, schon deshalb, damit die Geehrten anwesend sein können. Alle anderen Preise sind von den Jurys aus den Einreichungen ausgewählt worden, die im Zwischenschritt auf die letzten Drei (manchmal Fünf) eingeengt werden und am Abend a la Oscars mittels Umschlag bekannt werden.
 
Der Sonderpreis der Jury geht an:
DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT, 110 Min., Regie: Caroline Link

„Wenne wat wills, dann machet einfach und kümmer dich nich drum, wat die Leute sagen", sagt Omma Änne zum neunjährigen Hans-Peter Kerkeling aus Recklinghausen. Vielleicht ist auch Caroline Link so an die Verfilmung der Autobiografie „Der Junge muss an die frische Luft“ von Hape Kerkeling gegangen. Die Regisseurin stellt sich der Herausforderung, Trauer und Freude, Lachen und Weinen in die richtige Balance zu bringen – so gelang ihr die bewegendste Tragikomödie seit Langem.

Den Darsteller des jungen Hape Kerkeling, den außergewöhnlichen Julius Weckauf, führt Caroline Link zu einer hervorragenden schauspielerischen Leistung in einem liebevollen Setting des Ruhrpotts der 70er Jahre. Die Regisseurin blickt in berührender Nostalgie, die aber nie kitschig ist, auf diese Ära. Die in Bad Nauheim geborene Caroline Link zeigt wieder einmal, warum sie zu den bedeutendsten deutschen Regisseurinnen zählt, die schon auf viele Auszeichnungen, u.a. eine Oscar-Prämierung, zurückblicken kann.



Der Drehbuchpreis geht an:
AM ENDE DES SOMMERS, Autorin: Frauke Lodders

Bildschirmfoto 2019 10 22 um 20.31.06Die Geschwister Hannah und Timotheus stehen vor einem Scheideweg: Beide wachsen in einer streng gläubigen Familie auf, die Rückhalt, bedingungslose Liebe und ein geschütztes Umfeld verspricht. Das familiäre Leben scheint perfekt. Doch der Schein trügt. Während Hannah Interessen außerhalb der Gemeinschaft entwickelt, wird Timotheus mit seiner Homosexualität konfrontiert. Nun stellt sich für die Geschwister die Frage, wie weit sie gehen müssen, um frei und unbestimmt erwachsen zu werden, auch wenn das bedeutet, sich gegen den Willen ihrer eigenen Familie zu stellen.

Für ihr Spielfilmdebüt entwickelt Frauke Lodders mit „Am Ende des Sommers“ eine ergreifende Geschichte von zwei jungen Menschen mit emotionaler Zugkraft. Durch eine abgestimmte Mischung aus gelungener Dramaturgie, starken Figuren und einfühlsamen realistischen Dialogen eröffnet die Autorin einen aktuellen Blick auf eine hochgradig packende Parallelwelt. Das Abbild der von Machtstrukturen durchzogenen Familie liefert die ideale Grundlage für ein aufwühlendes Kinoerlebnis.

Den Preis überreichte an Frauke Lodders Jackie Thomae, die auch in der Jury saß. Sehr eigenartig war, daß sie nicht weiter vorgestellt wurde, denn sie hatte in den vergangenen Wochen immer wieder in Frankfurt zu tun, angefangen am 5. September, als sie in der Deutschen Bank die sogenannte Blind-Date-Veranstaltung ausfüllte, wo einer der letzten sechs Finalisten zum Deutschen Buchpreis auftritt. Ihr Roman BRÜDER ist ausgezeichnet und hätte verdient, auch in Filmkreisen bekannter zu werden. Es ist eigentlich nicht hinnehmbar, daß die Bereiche Film und Literatur so getrennt sind. Sie sind es aber. Genauso wie die Abtrennung von der Musik festgeschrieben scheint.



Der Hochschulfilmpreis geht an:
PECH UND SCHWEFEL, 33 Min., Regie: Joschua Keßler

Max und Ben sind seit Jahren beste Freunde. Doch als Ben nach einem Unfall im Krankenhaus liegt, wird die Freundschaft der beiden auf die Probe gestellt. Nach der anfänglichen Überforderung wird der Unfall für Max zur Chance, seine freundschaftliche Beziehung zu Ben auf eine neue, vertrautere Ebene zu bringen.

„Pech und Schwefel“ ist ein visuell hochwertiger Film, der mit glaubhaften und größtenteils sympathischen Charakteren und deren interessanten Beziehungen zueinander glänzt. Lobenswert ist auch der gute Einsatz von Rückblenden. Diese sind unterhaltsam, stellen die Charaktere und ihre Beziehungen vor und werden in die Handlung eingebunden. Musik wird zwar nur sparsam, aber dafür umso effektiver eingesetzt.

Joschua Keßler gelingt es, das Zusammenspiel seiner Darsteller gekonnt zu führen und zeigt mit seinem Abschlussfilm, dass auch an den hessischen Filmhochschulen, hier die Hochschule Darmstadt, talentierte Nachwuchsfilmemacher ausgebildet und zu herausragenden Leistungen geführt werden.



Der Preis in der Kategorie Spielfilm geht an:
BRUDER SCHWESTER HERZ, 105 Min., Regie: Tom Sommerlatte

„Bruder Schwester Herz“ ist der zweite Film von Tom Sommerlatte und er macht Lust auf mehr. Sensibel und atmosphärisch dicht erzählt der Regisseur ein komplexes und intensives Geschwisterverhältnis, das sich seine eigene Idylle auf dem Land geschaffen hat, bis diese plötzlich gestört wird: ein Western im Setting der deutschen Provinz.

Lilly, wunderbar gespielt von Karin Hanczewski, will mehr von ihrem Leben, als nur eine Rinderfarm zu betreiben, stößt bei ihrem Bruder Franz (Sebastian Fräsdorf) aber auf wenig Zuspruch. Er will nichts in seinem Leben verändern und so ist es für den charismatischen Musiker Chris (Godehard Giese) ein Leichtes, Lilly davon zu überzeugen, mit ihm zu gehen. Als sie zurückkommt, sind die beiden Geschwister sich fremder als je zuvor.

Tom Sommerlatte gelingt es, sein hervorragendes Cast, das bis in die Nebenrollen – u. a. mit Jenny Schily – gut besetzt ist, und das großartig gewählte Setting gekonnt und stimmungsvoll in eine erfrischende und wunderbare Symbiose zu bringen.

Nominiert waren außerdem:

CRESCENDO, 105 Min., Regie: Dror Zahavi
„Crescendo“ ist ein großes Filmprojekt: Die Gründung eines israelischpalästinensischen Jugendorchesters soll ein Zeichen für eine friedliche Annäherung im Nahostkonflikt setzen; Musik als einigende Kraft, um Ignoranz, Hass und Vorurteile zwischen jungen Menschen verschiedenster Religionen und Nationalitäten zu überbrücken.

In der romantischen Idylle der Südtiroler Berge finden die Orchesterproben statt, die für die eigentlich verfeindeten Jugendlichen eine große Herausforderung bedeuten. Die Konfrontation des Dirigenten mit seiner Vergangenheit wird dabei zum Katalysator der langsamen Annäherung der Parteien.

Der erfahrene Regisseur Dror Zahavi führt das internationale und mehrsprachige Ensemble mit israelischen und palästinensischen Laiendarstellern großartig und lässt seinem Hauptcast, allen voran Peter Simonischek und Sabrina Amali, genug Raum, ihre Figuren zu interpretieren.


OSTWIND – ARIS ANKUNFT, 106 Min., Regie: Theresa van Eltz
Die impulsive 12-jährige Ari hat im neuen Ostwind-Abenteuer an der Seite von Mika und Ostwind große Aufgaben zu meistern. Sie muss nicht nur Gut Kaltenbach vor der feindlichen Übernahme durch die intrigante neue Pferdepflegerin, sondern auch Ostwind vor dem brutalen Pferdetrainer retten.

Theresa van Eltz übernahm die Regie im vierten Teil der erfolgreichen Ostwind-Reihe, eine Herausforderung, die sie wunderbar meistert. Die Einführung der neuen Protagonistin Ari, gespielt von einer sehr starken Luna Paiano, gelingt ihr ebenso gut wie das vertraute Setting mit neuen Akzenten zu ergänzen.

Mit einer hervorragenden emotionalen Dramaturgie und einem gewohnt stark besetzten Cast gelingt es der Regisseurin, dass nicht nur Fans der beliebten Pferdeabenteuer auf ihre Kosten kommen.

FORTSETZUNG FOLGT

Fotos:
Titel: Caroline Link bedankt sich per Video, im Hintergrund ihr sagenhafter junger Hauptdarsteller
Text: 
© Redaktion

Info:
Einige Filme sind schon angelaufen, zu denen dann in Weltexpresso eine Filmkritik erschienen ist. Bitte im Suchfeld auf dem Titel nachforschen, finden und lesen.