f bait publicity still h 2019Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Oktober 2019, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im bunten Strauß der viel zu vielen Filme, ist BAIT ein schwarzweißes Juwel, das ein phantasievoller Individualist in Großbritannien im Jahr 2018 auf einem 16-mm-Schwarzweißfilm gedreht hat und das er, der Debütant von Hand verarbeitet hat, er ist für alles verantwortlich, einschließlich Schnitt und Musik: Mark Jenkins.

Es geht um nichts weniger, als uns die Gefühle zu vermitteln, die die ersten Tonfilme auf die Menschen, die noch nichts von den sprechenden Leinwänden wußten, empfanden. Nicht die Stummfilme, aber doch so ähnlich, denn dieser mit Absicht auf die frühen Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts getrimmte Film hätte auch als Stummfilm ‚funktioniert‘. Und wenn wir ‚getrimmt‘ schreiben, meinen wir damit nichts künstliches, sondern eher das Gegen-den-Strich-Gedrehte, denn es werden im Verlauf des Films immer wieder die ‚Fehler‘, bzw. das ‚Abgenudelte‘ einer älteren Leinwand projiziert, mit Absicht also „auf alt“. Doch der Inhalt ist brandneu, was aber auch nur für die gegenwärtige Form des Gentrifizierens gilt, denn der Vorgang, das etwas, was eigentlich gut und schön war, aus übergeordneten Gründen ausgelöscht wird, gab es immer. Nur sind wir alle Kinder und Enkel der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, die genau solche Vorgänge als individuelles, als Dorf-, als Stadtschicksal ebenfalls hatten. Nur hieß das noch anders, aber im Umgangston immer auch Entlassung aus der angestammten Arbeit, Arbeitslosigkeit, die, war man älter, Lebensschicksal wurde, Unfähigkeit, den alten Lebensstandard, den Lebenszuschnitt zu bewahren, sozialer Abstieg und die Hoffnung, daß es die Kinder einmal besser haben.

So auch in Cornwall. Wenn gesagt wird, dieser Film in Schwarzweiß kann nur dort spielen, stimmt dies nur fast, denn er könnte auch weiter oben an der Küste von Wales spielen, wobei man dort die geschichtliche Sagengestalt des König Arthur mit seiner Tafelrunde noch für sich hätte. Aber die Grundlage ist dieselbe, eine sehr sperrige, karge, ja geradezu störrische Menschennatur. Daran sieht man schon, daß es sein Gutes hat, daß der wunderbare John le Carré, dem die Worte nur so aus dem Munde fließen, wie es keinem aus CORNWALL gelinge mit bürgerlichem Namen CORNWELL heißt. Gut getan, während der Wall eben nichts Gutes verheißt.

Im kleinen Fischerdörfchen an der Küste, wo bislang Martin Ward (Edward Rowe) als Fischer mehr stumm auf dem Wasser lebte, als gesprächig zu Hause, soll es das Zuhause nicht mehr lange geben. Zum einen bringt die kleine private Fischerei nicht mehr das, was er zum Leben braucht, zum anderen sind diese pittoresken Fischerdörfer an der Küste, wie gemalt oder auch wie Postkartenmotive, genau das, was die hauptstadtmüden reichen Londoner am Wochenende zur Erholung brauchen – oder, um zu investieren, damit andere dort kaufen und Urlaub machen. Gentrifizierung nennt man das, was es zwar immer gab, was aber keine Entschuldigung dafür ist, daß dies heutzutage generalstabsmäßig geschieht. Nicht nur in Cornwall, aber auch.

Daß für Martin der Zug abgefahren ist, hat eben auch mit Bruder Steven (Giles King) zu tun. Denn Martin war einer der Fischer ohne eigenes Boot, der bisher gut zurechtkam mit ‚der Flotte‘ seines Bruders, die dieser nun, weil es mehr bringt, für die Ausflügler unter den Neureichen an der Küste aufs Wasser. Auch das Cottage haben sie verkauft – aber für ein eigenes Boot, auf das er spart, reicht der Erlös trotzdem nicht? - und der Parkplatz an der Küste ist jetzt der Nebenkriegsschauplatz, der zur Hauptsache wird. Man muß bei dem Arrangement der Figuren und der Gegenstände – Nahaufnahmen von Fischen und Hummern, von Netzen und Gummistiefeln, von Fangkörben und Messern in Schwarzweiß – nicht nur an die alten Filme denken, sondern Jenkin knüpft bei anderer Optik/Ästhetik von der Thematik her an die sozialrealistische Tradition im britischen Kino eines Ken Loach (der auch mit seinem neuen Film " Sorry, we miss you" bald Furore machen wird) an.

Arbeitslosigkeit, Elend, Verarmung, das hört sich alles düster an. Noch dazu ist der Film in Schwarzweiß und bringt mit Absicht auch eine schwarzweiße Thematik. Doch das führt nicht ins Negative, der Film sieht trotzdem nicht Schwarz, sondern läßt das Leben unter schwierigen Bedingungen lebendig erscheinen. Der ästhetische Genuß kommt dazu, so daß man hier auf eine perfekte Übereinstimmung von Thematik und Form trifft. Englischen Humor, der ja kein lauter, aber dezidiert wehtuender ist, also den Kern trifft, gibt es auch. Der Brexit wird angesprochen, aber mehr davon hätte den Film zum Drama gemacht, ein Drama, der dem ganzen aberwitzigen Spektakel in Großbritannien derzeit anhaftet, wobei der Brexit für etwas steht und etwas verändern soll, was sich in der tiefen Spaltung von Arm und Reich in dem Land abspielt, wo einmal die Industrialisierung ihren Anfang nahm, Reichtum anhäufte, von dem auch Arbeiter etwas hatten, weil Großbritannien jahrzehntelang seine Kolonien derart ausbeutete, daß die in England lebende Bevölkerung etwas abbekam, womit Schluß ist.

So trifft sich im Schicksal vom Fischer Martin in Cornwall die große Weltpolitik wieder. Die Machart des Films aber ist ganz individuell, weil einer sich traute, die Filmgeschichte von vorne zu beginnen.

P.S. Ach so, der Filmtitel. Der heißt übersetzt so was wie KÖDER. Das kann man jetzt frei flotierend anwenden, Köder für was, für wen. Und welcher Beschaffenheit ist der Köder? Ein Wurm oder ein Fischercottage?

Foto:
© Verleih

Info:
Bait
Oktober 2019 / 1 Std. 27 Min. / Drama, Tragikomödie
Von Mark Jenkin
Mit Edward Rowe, Simon Shepherd, Mary Woodvine