Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Mai 2013, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der DER GROSSE GATSBY bringt auf den Punkt, worin das Problem technisch höchst ambitionierter Filme liegt, die gleichwohl den Inhalt eigentlich ernstnehmen, aber in der Konsequenz dann doch dort landen, wo sie nicht unbedingt wollten: Überwältigungskino.

 

DER GROSSE GATSBY

 

Zu diesem Film des australischen Regisseurs Baz Luhrmann kann man also verschiedene Meinungen haben und sogar mehr als zwei, weil es gar nicht darum geht, die Alternative 'gut' oder 'schlecht' zu favorisieren, sondern zu überlegen, welche Folgerungen sich für einen Film ergeben, wenn man sich für eine bestimmte Struktur entschieden hat: hier 3 D. Selten konnte man dies selbst beim Zuschauen so nachempfinden, nachfühlen, nachsehen wie im GROSSEN GATSBY.

 

Zuvor der Inhalt dieses kleinen Romans von F. Scott Fitzgerald, der zusammen mit seiner Frau Zelda eine der Berühmtheiten der Zwanziger Jahren in New York war, dessen literarischer und mondäner Ruhm aber kurz war und auch der 1925 erschienene GATSBY wurde ein Mißerfolg. Das änderte sich erst nach 1974, er selbst war 1940 gestorben, als die dritte Verfilmung – 1926, 1949, 1974 – mit Robert Redford als Gatsby und Mia Farrow als Daisy das Buch erneut auf den Markt schwemmte und zu einem wirklichen Welterfolg führte. Das Geheimnis des Buches ist eben auch, daß es unsere heutigen Phantasien der Verrückten Zwanziger Jahre vollendet bedient, wo der Lebensstil: auf höchstem Niveau feiern, Sekt trinken, Jazz hören, in privaten Clubs zu den wichtigen öffentlichen Personen zu gehören, die Quintessenz des Lebens schien, was so lange gut ging, bis die Weltwirtschaftskrise 1929 diesem Treiben auf immer ein Ende machte.

 

Auf diesem Hintergrund entwickelt Fitzgerald eine leise, melancholische Liebesgeschichte. Schon das paßt kaum zusammen, denkt man, ist aber im Buch der Motor, der erst die große Welt herbeiführt. Denn der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Gatsby (Leonardo DiCaprio), der Daisy (Carey Mulligan)so liebte wie sie ihn, muß in den Krieg, aus dem er 5 Jahre nicht zurückkommt und die Geliebte als Frau eines anderen vorfindet. Einen Sporthelden, Tom Buchanan ( Joel Edgerton), der aus einer angestammt reichen Familie stammt und mit dem sie das damalige mondäne Leben führt.

 

Gatsby hat nur ein Lebensziel, Daisy wiederzugewinnen. Der Roman setzt ein, als aus dem armen Kriegsheimkehrer auf wunderliche Weise, typisch für die Nachkriegszeit in Amerika, wo Wirtschaftskriminalität mit dazu gehörte, ein steinreicher Mann geworden ist, der in der Bucht genau gegenüber dem Buchanan-Familienstammsitz ein noch gewaltigeres Anwesen erbaut hat, einem normannischen Rathaus nachempfunden, absolut Protz und Prunk. Dort feiert er sagenhafte Feste, wo halb New York dabei ist und jeder vom GATSBY spricht, aber kaum jemand ihn sieht, denn das Ganze dient nur, auch Daisy anzulocken.

 

Da kommt Nick (Toby Maguire) ins Spiel. Der ist Nachbar des Gatsby und Cousin der Daisy, was ihn in Gatsbys Augen zum idealen Postillon d'Amour macht. Das Buch erzählt aus seiner Perspektive das Folgende, wozu der Film dann eine Rahmenhandlung braucht mit einem Psychiater, der dem verwirrten Nick empfiehlt, das alles niederzuschreiben, was also immer wieder zu Rückblenden ins Gestern führt. Es geht übel aus, das wissen wir von Anfang an und der Film nimmt uns mit, in das erneute Treffen von Gatsby und Daisy, in die erneute Faszination, die Daisy verspürt, von der sie und Gatsby glauben, daß es Liebe ist. Das ist eine Schwachstelle oder sogar dessen Gegenteil, daß wir Daisy nur als reagierende Puppe erleben, die je nach Situation dem einen Mann oder dem anderen zufällt, obwohl jeder weiß, daß Gatsby sie liebt und ihr Mann sie als seinen Besitz betrachtet.

 

Daraus erwächst auch die tragische Situation, in der Daisy, die mit Gatsby wegwollte, in seinem Auto eine Frau überfährt, die noch dazu die Geliebte ihres Mannes ist. Das Auto wird identifiziert, Gatsby nimmt die Schuld auf sich und wird deshalb umgebracht, während Daisy weiterhin bei ihrem Mann bleibt. Kein Wunder, daß Nick einen Psychiater brauchte, aber, wie gesagt, nur im Film. An diesem gibt es nun auch eine Tragik zu konstatieren: je doller die filmischen Ergüsse sind, die von der Leinwand in 3 D die Champangerseligkeit vorführen, in der rauschhaft eine unglaubliche Choreographie von halbnackten Leibern tanzt und ein Sündenbabel des Körperkults und der Trinkfestigkeit stattfindet, je doller also dies die Leinwand füllt, desto stärker gehen die Gefühle verloren, um die aber alles kreist, was als zwischenmenschliches Kammerspiel von zwei Männern und einer Frau angelegt ist.

 

Entschädigen kann einen ein anrührender Leonard DiCaprio, der sein Motiv: Liebe durchgängig und glaubwürdig verkörpert und gleichzeitig den rätselhaften Weltmann in perfektem Dandyaussehen und -gehabe gibt. Sein zwielichtiges Lächeln, mit dem er der Welt begegnet, hat etwas absolut Verführerisches, so daß wir während des Zuschauens immer wieder an Orson Welles denken mußten und sein Lächeln im Dritten Mann, wo er – übrigens in ähnlichen widersprüchlichen Nachkriegszeiten – den zum Verbrecher gewordenen geliebten Freund darstellt. Beiden ist bei erst einmal braven Bubengesichtern etwas Abgründiges mimisch möglich.Aber hier wird ja aus Gatsby kein Verbrecher, was er wahrscheinlich beim Erwerb seines Riesenvermögens war, sondern er wird zum großen Liebenden. Deshalb kann man Daisy, die perfekt gestylt durch den Film stöckelt, auch nicht verstehen, denn ihr Tom gibt eben doch genau den von sich selbst überzeugten und kulturlosen Amerikaner, den wir eh nicht mögen.

 

 

P.S.: Der Film startet heute in den deutschen und französischen Kinos, nachdem mit ihm gestern abend die Filmfestspiele von Cannes eröffnet wurden mit einer Party im Stil des Film. Aber es war keine, wie üblich, Uraufführung, denn der GROSSE GATSBY wurde schon vor zwei Wochen in den USA seine Weltpremiere und spielt seit Tagen dort auch in den Kinos – mit Riesenerfolg.

 

Natürlich hatten wir zuvor den Roman wiedergelesen und die beiden Hörspielfassungen uns angehört. Darauf gehen wir noch gesondert ein.