f malerin3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. Oktober 2019, Teil 10

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Sie haben zum ersten Mal mit Céline Sciamma zusammengearbeitet. Was zeichnet sie aus? Welche Erfahrungen haben Sie mit ihr gemacht?

Céline ist eine Regisseurin, die uns wirklich einbezogen hat: was die Suche nach Aufrichtigkeit anbetrifft, die Entscheidung, was man zeigt oder nicht. Das war sehr aufregend und ganz anders als bei anderen Filmarbeiten. Sie hat eine ganz besondere Art, an einem Film zu arbeiten. Vor der Kamera waren wir alle gleichberechtigt. Es herrschte echte Fairness. Das war erfüllend, intensiv und angenehm. Céline teilt mit einem mehr als nur den Dreh, sie teilt eine Vision, sie ist unsere Begleiterin. Durch sie lernt man sich kennen, erfährt, was es heißt, eine Frau und Künstlerin zu sein. Man lernt zuzuhören und zusammenzuarbeiten.


Sie sind Schauspielerin, Künstlerin. In PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN spielen Sie eine Künstlerin, die ihre eigene Stimme findet. Half Ihnen die Rolle dabei, etwas über sich selbst als Schauspielerin zu erfahren?

Marianne ist neugierig und willensstark. Sie will von Anfang an alles richtig machen und sich an die Regeln halten. Das rührt sicherlich auch daher, dass sie – im Gegensatz zu Héloïse – die Freiheit hat, sich nicht verheiraten lassen zu müssen. Sie darf ihre Leidenschaft ausleben. Trotzdem nimmt sie die Aufgabe ernst, die Regeln der Kunst zu respektieren. Durch die Beziehung zu Héloïse lernt sie loszulassen und kommt so der Wahrheit ihres Gemäldes näher, findet zu sich als Künstlerin. Sie nähert sich der Künstlerin in sich zumindest an. Héloïse und Marianne sind ein eingeschworenes Paar.

Ich würde sagen, dass ich wie Marianne auch willensstark und neugierig bin. Aber es fällt mir viel schwerer, auf meine innere Stimme zu hören. Ich verhalte mich eher nach den vorgegebenen Regeln. Durch die Rolle habe ich gelernt, aus dem starren Rahmen auszubrechen. Die Rahmen und Grenzen hinter mir zu lassen, die wir uns auferlegen, obwohl sie nicht unbedingt von uns stammen.


Wenn man eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert erzählt, erzählt man auch immer etwas über das Hier und Heute. Was zeichnet PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN als Kunstwerk des 21. Jahrhunderts aus? Was erzählt es über unsere heutige Zeit?

PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN erzählt die Geschichte einer möglichen Liebe. Es ist ein Frauenfilm, von Frauen gemacht, mit Frauen vor der Kamera. Das zeugt von der engen weiblichen Verbindung, einer Schwesternschaft. Bei der Arbeit, bei der Freundschaft, bei der Liebe unter Frauen. Wenn man sie experimentieren lässt, wenn man ihnen den Raum zum Atmen gibt, kann so etwas entstehen. Eine Verbindung voller Sanftmut, voller Wohlwollen, und des gegenseitigen Beistands. Ein Beisammensein auf Augenhöhe, das ihnen hilft, Fortschritte zu machen, sich zu finden, zu leben. Sobald sie sich allein wähnen, wagen sie es, zu leben, zu lachen, zu sprechen, zu rennen. Es ist modern und essenziell, heute über Frauen und ihre Intimität zu sprechen. Dass es kontinuierlich und seit jeher Fortschritte gab oder fortschrittliche Leute, die den Frauen mehr Freiheiten eingeräumt haben, und dass gleichzeitig leider diese Freiheiten oft von Neuem in Gefahr geraten. Das dürfen wir nicht vergessen, wir müssen vorwärts gehen, nicht rückwärts. Der Film erzählt zudem von der Beziehung zwischen Maler und Muse, dem Künstler und dessen Model. Die beiden verbindet eine starke gemeinsame Kraft. Sie sind voll und ganz an der Erschaffung eines Werks beteiligt.


Wie haben Sie sich der Rolle genähert? Wie haben Sie sich in das Denken einer jungen Frau im Jahr 1770 hineinversetzt? Wie hat das Ihre Bewegungen, Ihre Art zu sprechen bestimmt?

Das Kostüm macht viel aus, das Korsett, das Gewicht des Kleides. Auch die Taschen an den Kleidern, die zur damaligen Zeit existierten und später wieder verschwanden. Das Kostüm sorgt bereits für eine gewisse Haltung. Darüber hinaus habe ich mit Hélène Delmaire die Gesten einer Malerin einstudiert, vor allem den Blick einer Malerin. Es ist ein durchdringender, aber gleichzeitig auch losgelöster Blick, ein Blick, der durch etwas hindurchschaut. Bei meiner Art zu sprechen, war es mir wichtig, eine Stimme zu finden, die etwas ernster ist. Wir hatten unfassbar gut geschriebene Dialoge, die ich mir ohne etwas zu ändern aneignen konnte. Eine Art und Weise zu finden, diese Texte zu sprechen und sich damit gleichzeitig an die bestimmte Epoche anzunähern, erfolgte ganz natürlich, aufrichtig und lebendig. Das ist nicht immer so. Aber das ist wie beim Kostüm: Wenn es ganz exakt sitzt, wenn es gut geschneidert ist, folgt alles auf sehr natürliche Weise. Man muss einfach mit ganz viel Freude an die Ausformung gehen, die Form erkennen, die man den Worten geben will. Im Grunde genommen habe ich mir Marianne als Frau von heute erarbeitet.


PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN erzählt die Geschichte hauptsächlich durch Blicke, durch die Art und Weise, wie sich die Figuren anschauen und sich gegenseitig wahrnehmen. Finden Sie, dass es sich dabei um einen „weiblichen Blick“ handelt? Wie sind Sie hier vorgegangen?

Es handelt sich hier absolut um den Blick einer Frau. Einen horizontalen Blick, einen Blick auf Augenhöhe. Vor der Kamera gab es dieses „Spiel der Blicke“ zwischen Adèle und mir, das wir für uns entdeckten. Wir haben uns köstlich amüsiert, indem wir uns unterschiedliche Blicke zugeworfen haben, oft auch, um den anderen zu überraschen. Wir haben uns wie Kuriositätenstücke betrachtet, als wollten wir den anderen zähmen. Darüber hinaus hatten wir ein „Blicke-Dreieck“ mit Céline. Ich habe gesehen, wie Céline uns anschaut. Ich habe mich von diesem Blick auf sie sehr inspirieren lassen. Er war so intensiv und sanft zugleich! Man meinte, sie wüsste alle Antworten, und gleichzeitig kam es mir so vor, als suchte sie die Antworten in uns anderen.

Gibt es für Sie eine Schlüsselszene im Film?

Die Szene, in der Marianne es durch den Blick von Héloïse endlich schafft, ihr Gemälde zu finden. Das Gemälde ist fertig, die Geschichte kommt ebenfalls zu einem Ende – aber trotzdem wird alles auf immer und ewig weiterleben. „Wie weiß man eigentlich, wann man fertig ist? Man hört einfach irgendwann auf.“ Die beiden Frauen bewundern gemeinsam das Porträt, vollendet, wie ihre Geschichte.

Foto:
© Verleih

Info:
Ein Film von Céline Sciamma Mit Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, Valeria Golino

Nachdruck aus dem Presseheft