Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Dezember 2019, Teil 11
Redaktion
New York (Weltexpresso) – CLARA (Zoe Kazan): Nur wenige Menschen kennen Clara. Ihre Ausbildung an einer katholischen Schule brach sie ab und verließ schon früh ihr Elternhaus. Sie geriet in Schwierigkeiten und wäre fast von einem jungen Polizeibeamten namens Richard verhaftet worden. Stattdessen hat Richard sie geheiratet. Sie war noch sehr jung, als sie ihre beiden Söhne bekam. Sie benannte sie nach zwei Heiligen, nach Antonius und Judas, den Schutzpatronen für die verlorene Hoffnung und für ausweglose Situationen.
Clara hat keine traditionelle schulische Bildung, aber einen Sinn für Ästhetik und Stil. Ihre innere Stärke ging fast völlig verloren im Laufe einer Ehe, die von Anfang an eine falsche Entscheidung war und die mit den Jahren immer schlimmer wurde. Sie hätte Richard schon vor Jahren verlassen, wenn er seine Söhne nicht so geliebt und sie gewusst
hätte, wohin sie hätten gehen sollen. Je mehr sich die Söhne aber von ihrem Vater zurückzogen, desto öfter misshandelte er Clara und sie fühlte sich schuldig.
Als sehr junge Frau war sie unsicher und vertraute dem moralischen Urteil ihres Mannes. Sie fand sich mit seinen Misshandlungen ab, doch als sie erfuhr, wie grausam er auch zu Jude gewesen war, nahm sie ihre Söhne und verließ ihn sofort. Jetzt will sie bei ihren Söhnen alles wiedergutmachen, nur das Beste sollen sie von nun an bekommen.
Die Liebe zu finden, gehört sicher nicht zu ihrem Lebensplan.
ALICE (Andrea Riseborough)
Alice arbeitet als Krankenschwester in einer Notaufnahme, ist so etwas wie eine moderne Heilige. Sie ist immer bereit, das Wohl anderer über ihr eigenes zu stellen, doch nicht immer kann sie das in die Tat umsetzen. Im Lebenskampf ist sie ein Turm, doch ihr Fundament beginnt zu bröckeln.
Mit der Zeit ist sie zu empfindsam und fragil für ihren Beruf geworden. Sie ist geschockt darüber, wie stark sie auf all das Leid reagiert, mit dem sie so oft konfrontiert wird.
Alice ist das einzige Kind von überbesorgten Eltern, die schon etwas älter waren, als sie geboren wurde. Sie wuchs in einer tiefreligiösen christlichen Gemeinde auf und bekam als Erste in ihrer Familie überhaupt eine richtige Ausbildung. Als ihre Eltern nacheinander schwer krank wurden und schließlich starben, ließ sie sich vom Dienst freistellen, um sich um Vater oder Mutter zu kümmern. Als diese Leidenszeit vorüber war, war auch die Beziehung zu ihrem Freund beendet.
Alice verkaufte schließlich ihr Elternhaus und zog nach New York. Dort begann sie, in der Notaufnahme eines Krankenhauses zu arbeiten, widmete sich daneben der Wohltätigkeitsarbeit in der Kirche ihres Viertels. Dort fühlt sie sich in New York am ehesten zu Hause, dort verbringt sie ihre ganze Freizeit oder hilft in Suppenküchen in der Nähe aus.
Alice hat eine Gruppe ins Leben gerufen, die sich dem christlichen Prinzip der Vergebung verschrieben hat. Am Anfang traf sich die Gruppe in der Kirchenküche, mittlerweile ist daraus eine stark besuchte Gruppe geworden, die sich wöchentlich zusammenfindet. Jedes Jahr hilft Alice mit dieser Gruppe
unzähligen Menschen. Wer aber hilft eigentlich Alice?
MARC (Tahar Rahim)
Marc ist Ex-Gastronom, Ex-Ehemann und Ex-Häftling. Fast vier Jahre saß er unschuldig hinter Gittern. Dann erwirkte Anwalt John Peter seine Entlassung. Tatsächlich hatte sein mittlerweile verstorbener drogensüchtiger Bruder das Verbrechen begangen, aber Marc war für ihn ins Gefängnis gegangen.
Am Tag seiner Haftentlassung lud Marc John Peter in sein Lieblingsrestaurant ein. Am Ende trank er die ganze Nacht mit den russischen Besitzern des Lokals, die ihm schließlich den Posten des Restaurantleiters anboten. Seitdem arbeitet er nahezu ohne Pause.
Nachtschichten und verträumte geheimnisvolle Veranstaltungsräume fühlen sich für ihn besser an als Tageslicht und die Aussicht auf ein ganz normales bürgerliches Leben. Marc hat gelernt, seinen Zorn zu kontrollieren, aber nach all den Jahren im Gefängnis und dem Verlust von allen, die er liebte, hat er seelische Wunden. Marc meidet seine Verwandten und seine alten Freunde, die sich von ihm abwandten, als er im Gefängnis saß. Genau genommen geht er eigentlich jedem aus dem Weg.
Trotzdem besteht Anwalt John Peter darauf, dass Marc mit ihm eine Therapiegruppe mit dem Motto „Vergebung“ besucht. Obwohl er dort kein Wort sagt, kommt er durch diese Gruppe in seiner unvollständigen und vergänglichen Existenz etwas bisher Unerreichbarem näher als irgendwo sonst: nämlich Intimität und Vertrauen in andere.
JEFF (Caleb Landry Jones)
Jeff hat nur wenige Talente, allein letztes Jahr verlor er acht Jobs. Er ist liebenswürdig, aber langsam. Er macht das, was andere ihm sagen und hat wenig Hoffnung, einmal Einfluss auf irgendetwas haben zu können – nicht einmal auf sein eigenes Leben. Er ist ein guter Schläfer, aber kein guter Redner. Tatsächlich mag er eigentlich jeden und erwartet von jedem auch immer das Beste. Wenn er dann enttäuscht wird, ist er jedes Mal überrascht, aber ervergibt dann auch schnell. Er ist oft enttäuscht worden, sogar von sich selbst.
Seine große Einsamkeit verbirgt er vor anderen. Er ist fast unsichtbar, doch es gibt Hunderttausende, die so sind wie er. Er braucht einfach jemanden, der ihn sieht und wahrnimmt.
JOHN PETER (Jay Baruchel)
John Peter ist kein herausragender Anwalt, aber einer, der sich durch harte Arbeit auszeichnet. Er folgt hohen moralischen Standards, verliert aber häufig seine Fälle. Er gehört einem Proletariat von Anwälten an, die ein System verteidigen, an das keiner von ihnen mit voller Überzeugung glaubt.
Erwartungen von Frauen wird er nie gerecht. Er hat einfach viel zu viel zu tun, um Begeisterung dafür aufzubringen, wenn Frauen unbedingt etwas tun wollen, was er als überflüssig empfindet. Etwas, was ihnen im Feuilleton der New York Times empfohlen wurde.
TIMOFEY (Bill Nighy)
Timofey Konstantin erbte den New York Winter Palace 1990 – am Abend vor dem endgültigen Zerfall der Sowjetunion. Sein Vater hatte das Lokal von Timofeys russischem Großvater übernommen, der nach dem 1. Weltkrieg, in den frühen Tagen der Russischen Revolution, von St. Petersburg nach Amerika ausgewandert war.
Timofey wuchs in diesem Restaurant auf und konnte dabei zusehen, wie es Jahr für Jahr mehr von seiner imperialen Schönheit verlor. In seiner Kindheit liebte er die verschiedenen Bands, die hier auftraten. Von ihnen lernte er das Klavierspielen.
Timofeys Vater war Kommunist und nutzte sein Lokal für revolutionäre Treffen. Er und auch sein Sohn hatten überhaupt kein Interesse an einem Restaurant. Aber mit dem Lokal war das Erbe eines kleinen Vermögens verbunden, sofern das Lokal von ihnen weitergeführt werden würde.
Timofey liebt den New York Winter Palace mehr, als ihm bewusst ist. Er ist ein New Yorker Exzentriker, der immer sehr hart gearbeitet hat, obwohl er das eigentlich nicht nötig hatte.
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Info:
The Kindness of Strangers - Kleine Wunder unter Fremden (Dänemark / Kanada / Schweden / Deutschland / Frankreich 2019)
Originaltitel: The Kindness of Strangers
Filmlänge: 112 Min.
Drehbuch und Regie: Lone Scherfig
Darsteller: Zoe Kazan, Andrea Riseborough, Tahar Rahim, Caleb Landry Jones, Jay Baruchel, Bill Nighy u.a.
Verleih: Alamode Filmverleih
Abdruck aus dem Presseheft