Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Dezember 2019, Teil 9
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist immer eine besondere, auch eine schwierige Situation, wenn man die Verfilmung eines Romans schon gesehen hat, und nachträglich das Buch liest. Irgendwie ist es umgekehrt leichter. Leichter auch, zu entscheiden, was besser ist, wobei meist der Roman siegt. Punktum: es gibt nur wenige Verfilmungen, die besser sind als die Romanvorlage!
Aber, wie gesagt, das ist leichter gesagt, wenn man das Buch schon kennt, ein Gefühl für die Personen gewonnen hat, die Handlung im Film schon deshalb gut kennt, weil normalerweise der Film der Handlung im Roman folgt und man einfach beim Filmegucken das Buchgefühl wieder erlebt, etwas ganz anderes sieht oder enttäuscht ist.
Jetzt beim Danachlesen, ist das etwas komisch. Weil einem sofort auffällt, daß der Film den ganzen Roman dramaturgisch zerlegt hat. Das kann man dann in der Filmbesprechung nachlesen. Für die Buchbesprechung gilt als allererstes, das wir einen veränderten Filmtitel vorfinden!! Denn der Roman trägt „den Roman“ gar nicht im Titel, wie es der Film DER GEHEIME ROMAN DES MONSIEUR PICK tut. Interessant. Worin der Unterschied liegt, wird bald ziemlich klar. Denn der Roman beginnt literarisch, indem Richard Brautigan beschworen wird. Dieser amerikanische Schriftsteller ist in Deutschland seltsamerweise ziemlich unbekannt. Wir lesen, daß er 1971 den Roman DIE ABTREIBUNG veröffentlicht hat, wo es um die Liebesgeschichte eines Bibliothekars geht mit „einer sagenhaft schönen jungen Frau. Diese wird in gewisser Weise Opfer ihrer eigenen Schönheit, als gäbe es einen Fluch der Schönheit. Wegen ihr, erzählt sie, sei ein Autofahrer tödlich verunglückt...“
Ist das nicht ein starker Anfang. Schon hat er uns, der Herr David Foenkinos, der die Geschichte der Schönen ausschmückt und dann fortfährt: „Eigentlich gilt unser Interesse hier jedoch mehr dem Bibliothekar...“ Und läßt die Katze aus dem Sack, die im Film erst später als der Ort der Erkenntnis erscheint.
„Denn das Spezielle an diesem Buch (es handelt sich um Brautigans Buch. CS), daß der Held in einer Bibliothek arbeitet, die von Verlagen abgelehnte Manuskripte annimmt. Wir begegnen etwas einem Mann, der sein Buch nach über vierhundert Ablehnungen dort abgibt.
Wo diese Bibliothek der abgelehnten Manuskripte steht, weiß man erst mal nicht, erfährt aber alles über das Prozedere. Man darf nämlich nichts mit der Post schicken, sondern muß sein vielfach abgelehntes Manuskript persönlich vorbeibringen. Sinn der Sache ist nämlich, daß man dann in den teils abenteuerlichen Titeln der Mitbrüder und -schwestern etwas rumwühlt, sich vielleicht festliest, damit vor der eigenen Einsortierung in diese Bibliothek der abgelehnten Manuskripte, zu denen wir ruhig abgelehnte Bücher oder abgelehnte Romane sagen dürfen, für den verschmähten Autor klar ist, daß er durch die Abgabe und Einsortierung seines Textes einen symbolischen Akt bekundet, „daß man jegliche Hoffnung auf eine Veröffentlichung hat fahren lassen.“
Aber noch sind wir im fiktiven Bereich. Doch in Wirklichkeit nahm sich der Schriftsteller Brautigan 1984 das Leben. Ein Aficionado machte als Hommage an Brautigan eine Bibliothek der abgelehnten Manuskripte zur Wirklichkeit. „In den Vereinigten Staaten entstand die Brautigan Library, deren Ziel es ist, verwaiste Texte zu beherbergen. Sie befindet sich in Vancouver im Bundesstaat Washington.“ Darüber berichtete die Presse weltweit, was einen Bibliothekar in der bretonischen Gemeinde Crozon so begeisterte, daß er im November 92 eine nämliche Bibliothek gründete.
Der Autor hat uns so in die Geschichte eingeführt, die er flüssig fortsetzt. Und wieder kommt er uns literarisch, in dem er seinen Bibliothekar Jean-Pierre Gourvec über den Eingang seiner Bibliothek ein Schild anbringen läßt, „PARIS ist der ideale Ort, um im Leben zu scheitern.“ Doch erst einmal ist diese Bibliothek die allgemeine Gemeindebibliothek, in deren hintersten Winkel er dann die abgelehnten Manuskripte beherbergt. Er ist der ideale Buchverkäufer, denn er fühlt beim Anblick eines potentiellen Käufers, welches Buch genau für diesen geeignet ist. Und hat immer Recht, weshalb die Bibliothek angesichts zufriedener Leser blüht.
Aber so ging es durchs Weitersagen auch mit den abgelehnten Manuskripten, die auf über tausend Exemplare angewachsen war, als dieser erfolgreiche Bibliothekar starb und vorher seiner Assistentin das Versprechen abnahm, sich um die abgelehnten Manuskripte in besonderer Weise zu kümmern.
Und erst im zweiten Teil auf Seite 25 des 329 starken Romans taucht Delphine Despero auf, Tochter einer bretonischen Französischlehrerin, von der sie lernt, auf sprachliche Fehler in Texten zu achten, was sie zu einer begnadeten Lektorin im Verlag Grasset macht, die sie derzeit in Paris ist. Leider kann sie nur korrigieren, nicht Texte erschaffen.“Nie würde sie den Schauer vergessen, der sie überlaufen hatte, als sie zum ersten Mal Michel Houellebecq begegnet war.“ Sie wird bekannt, als sie ein unverlangt eingesandtes Manuskript HHHhH- HIMMLERS HIRN HEIßT HEYDRICH zum erfolgreichsten Buch veröffentlicht, für das es den Prix Goncourt gab.
Dann findet sie wie ein Trüffelschwein DIE BADEWANNE von Fréderic Koskas, in dem sie das Genie wittert. „Eine Kleinigkeit muß man allerdings dazu sagen: Sie war dem Charme des Autors von DIE BADEWANNE sofort erlegen.“
Jetzt müssen wir die Handlung gar nicht weiter wiedergeben. Denn erst hier fängt der Film an! Im Roman kommt zudem Madame Pick und ihrer Tochter eine noch größere Rolle zu als im Film.
Bitte also die Filmbesprechung lesen.
Foto:
Cover
Info:
David Foenkinos, Das geheime Leben des Monsieur Pick, DVA 2017
www.thebrautiganlibrary.org
Zum Film
Info:
Besetzung
Jean-Michel Rouche Fabrice Luchini
Joséphine Pick Camille Cottin
Daphné Despero Alice Isaaz
Frédéric Koska . Bastien Bouillon
Ludmila Blavitsky Hanna Schygulla
Madeleine Pick Josiane Stoléru
Inès de Crécy Astrid Whettnall
Jean-Pierre Gourvec Marc Fraize
Magali Roze Marie-Christine Orry
Brigitte Rouche Florence Muller
Gérard Despero Vincent Winterhalter
Bénédicte Le Floch Annie Mercier