Bildschirmfoto 2020 01 23 um 08.03.48Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Januar 2020, Teil 11

Redaktion

München (Weltexpresso) -  Sie sind nicht unbedingt der Regisseur, den man erwartet, wenn es um die Verfilmung eines Sachbuchs geht...  

Ich mache beobachtende, erzählende Dokumentarfilme. Ich bin seit 20 Jahren Dokumentarfilmer und sehe mich bei dieser Arbeit eher als Purist. Ich beobachte nur, inszeniere nichts und begleite für meine Filme Menschen über lange Strecken und Zeiträume. Ich versuche, das Leben filmisch zu begleiten, während es sich entfaltet. Ich drehe ins Offene. Als ich den Anruf von Produzent Friederich Oetker erhielt, ob ich mir vorstellen könnte, Regie bei Das geheime Leben der Bäume zu führen, war das genau mein erster Gedanke: Ein Sachbuch verfilmen? Ehrlich? Wie soll das denn gehen? Also trafen wir uns erst einmal, und er sagte mir, dass er sich schon etwas dabei gedacht hätte, mich anzusprechen – weil ich einfach anders auf die Dinge draufschaue und nicht das mache, was alle erwarten würden. Eines unserer erklärten Vorbilder war „More Than Honey“, der ebenfalls den Bogen hinbekommt, die Mittel des Dokumentarfilms auf der einen Seite und die großen, überirdisch schönen Bilder des Naturfilms auf der anderen Seite zusammenzubringen.


Was hat Sie überzeugt, dass es ein Filmstoff für Sie ist?  

Bildschirmfoto 2020 01 23 um 08.04.03Den Menschen Peter Wohlleben fand ich sehr spannend. Das war die Hauptmotivation für mich, der Moment als ich ihn getroffen habe. Ich fand ihn so einnehmend und mitreißend, dass mir in diesem Moment klar wurde: Dieser Film muss mehr als nur eine Buchverfilmung werden. Peter Wohlleben ist ein so faszinierender Mensch, dass er den dokumentarischen Teil des Films mühelos trägt. Man kann sich mit ihm auch auf neue Pfade begeben. Von Anfang an stand diese Kombination: Zunächst einmal ist Das geheime Leben der Bäume die Verfilmung eines Bestsellers im Rahmen eines Naturfilms. Aber gleichzeitig schwebte dem Produzenten Friederich Oetker und mir auch ein dokumentarischer Blick auf das Leben von Peter Wohlleben vor. Der Kniff war es, diese beiden Ansätze in eine Verbindung zu bringen, die neu und spannend ist. Das Treffen mit Peter Wohlleben machte mir sofort klar, dass er das als Mensch nicht nur trägt. Er hatte Lust genau darauf. Er ist offen, authentisch, unverstellt. Neugierig auf alles. Nicht einfach nur zufrieden mit dem, was er schon erreicht hat, sondern aktivistisch und immer unterwegs.


Das war dann Ihr Ansatz?  

Mir gefiel die Idee, einen Film über einen Aktivisten zu machen, der zufällig gerade einen Bestseller geschrieben hat. Es ist ein langer Weg, der ihn dahingeführt hat, dass dieses Buch erscheint. „Das geheime Leben der Bäume“ ist ja bereits sein sechzehntes Buch! Das sechzehnte Buch wird der Bestseller. Und er macht weiter. Er hat Pläne. Und er ist Förster. Das lässt sich doch erzählen, dachte ich mir, indem man Kernkapitel aus dem Buch nimmt und diese dann einbindet in Übergänge mit dokumentarischen Szenen. In der Montage war es später schwierig, die richtige Gewichtung zu finden. Man durfte den dokumentarischen Kern nicht verlieren, aber gleichzeitig auch den Schauwerten der Naturaufnahmen den nötigen Raum geben, damit sie wirklich wirken können. Ein sehr ungewöhnlicher Film, ein Experiment, möchte ich fast sagen. Interessant ist, dass der Film am Ende ziemlich genau so geworden ist, wie wir ihn uns vorgestellt hatten, als wir das Treatment geschrieben haben. Aber es war ein langer Weg mit vielen Schnittfassungen, bis wir dahin kamen. Die dokumentarischen Bilder, die naturgemäß schlichter sind, setzen Kontraste zu den Naturbildern. Wenn ich mir bestimmte Naturfilme ansehe, habe ich oft das Gefühl von einem Zuckerschock nach zehn Minuten, weil ich schon zu viele tolle Bilder gesehen habe. Mir fehlt das Leben, das Echte. Meine Intention war es, einen Film zu machen, der dem Naturfilm mehr Leben einhaucht. Und Peter erwies sich dabei einfach als der ideale Protagonist, ein sehr angenehmer Zeitgenosse, mit dem man gerne viel Zeit verbringt.


Das haben Sie bei den Dreharbeiten auch getan...  

Wir hatten im Verlauf von etwa eineinhalb Jahren insgesamt 50 gemeinsame Drehtage, dazu kommen noch die entsprechenden Reisetage. Wir haben sehr viel mehr gedreht, als wir im Film unterbringen konnten. Viel musste zwangsweise auf dem Boden des Schneideraums landen. Das ist immer schmerzhaft, aber letztlich ist das ja auch meine Aufgabe als Filmemacher, die Verdichtung des gedrehten Materials zu einem abendfüllenden Film. Peter Wohlleben war während der gesamten Zeit sehr offen für alles, was wir gemacht haben. Unser Ansatz war immer: Du machst nicht extra etwas für den Film. Wir sehen dir einfach nur dabei zu, was du ohnehin machen würdest. Weil wir die Struktur der einzelnen Kapitel des Buches für den Film bereits festgelegt hatten, war für mich wichtig, ein Auge darauf zu haben, Szenen mit Peter zu finden, die dem jeweiligen Inhalt der Kapitel entsprächen.

Mir war es auch wichtig, Kapitel zu haben, in denen er von sich erzählt. So konnten dann Bilder entstehen wie mit den drei Eichen, die bei ihm in der Gemeinde wachsen und sich so unterschiedlich verhalten. Das Kapitel heißt „Charaktersache“. Und wir hatten die Zeit, in jeder Jahreszeit Bilder mit der Drohne zu machen, die seine Beobachtungen stützen. Oder der Old Tjikko in Schweden, der älteste Baum der Welt. Als Peter eine Einladung nach Schweden erhielt, lag es für uns nahe, die 300 Kilometer zu fahren und diesen Baum zu besuchen. Das sind Naturfilmkapitel, die mit dokumentarischen Bildern begleitet werden. Und diese Brüche im Schema Dokumentar-/Naturaufnahmen sind belebend. Wir wollten da nicht didaktisch sein, sondern immer auch Variation zeigen und den Rhythmus variieren.


Wann weiß man beim Dreh, dass man genug Material für seinen Film hat?  

Ich habe die Überzeugung: Je mehr ich drehe, desto leichter fällt es mir dann später, mich wieder von Aufnahmen zu trennen. Ich habe fast nie das Gefühl, dass es genug ist. Ich drehe immer sehr viel und bin da auch unkaputtbar. Mir wird nicht langweilig. Ich setze mich auch zum zehnten Mal ins Seminar zu Peter Wohlleben und höre und sehe ganz fasziniert zu. Das ist es, was ich wohl als Grundvoraussetzung als Dokumentarfilmer mitbekommen habe. Ich empfinde mich als Dokumentarfilmer als Jäger und Sammler und habe selten den Eindruck, dass es jetzt schon reicht. Im Schnitt kriege ich dann schnell ein anderes Gefühl für das Material. Da setzt eine ganz andere Logik ein. Die Offenheit beim Dreh, die auch durch den Spaß an der Entdeckung getrieben ist, wird da ersetzt von einem methodischen Arbeiten, jetzt die Essenz der Aufnahmen zu finden und ihnen die nötige Struktur für einen abendfüllenden Film zu geben.


Was genau lässt Peter Wohlleben so einen Nerv treffen bei anderen Menschen?   

Das hat bestimmt mit dem Zeitgeist zu tun. Als Das geheime Leben der Bäume erschien, war das Thema Natur natürlich bereits in aller Munde und in den letzten Jahren haben wir uns schnell auf das „Zeitalter der Ökologie“ zubewegt. Und das ist ja auch richtig und wichtig so. Peter Wohlleben hat also das richtige Buch zur richtigen Zeit geschrieben. Er hat mit seiner Sprache etwas getroffen, das die Menschen lesen wollen. Die Kapitellänge macht es z.B. leicht, es noch vor dem Schlafengehen zu lesen. Wenn man so will, ist Das geheime Leben der Bäume eine Art Best of..., Peter konzentriert all das, was er davor geschrieben hat und betont vor allem das Positive. Das ist sehr ansprechend und einnehmend. Eine Wundertüte. Aber für so einen Erfolg muss vieles zusammenkommen. Ein Schlüssel zum Erfolg war bestimmt auch sein erster Auftritt in der Talkshow von Markus Lanz, in der er so wunderbar glänzte, dass ihm die Herzen förmlich zuflogen. Das sprach sich herum wie ein Lauffeuer. Dabei ist das Thema selbst ja auch nicht gerade neu: Wenn wir Deutschen einen Exportschlager haben, dann ist es der Wald - Sein und Zeit und viel dunkler Wald.

Fotos:
© Verleih

Info:
Das geheime Leben der Bäume (Deutschland 2019)
Genre: Dokumentation, Natur
Drehbuch und Regie: Jörg Adolph
Naturaufnahmen: Jan Haft
Mit Peter Wohlleben u. a.
Verleih: Constantin Film Verleih GmbH

Abdruck aus dem Presseheft