f sorry1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Januar 2020, Teil 20

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eine der soziopsychologischen Erklärungen für den Irrsinn des Brexit, was sich sowohl auf das Vorhaben wie auch die Durchführung bezieht, wurde und wird im vergangenen Glanz des englischen Commonwealth gesehen, wo das Mutterland England auf Kosten seiner damaligen Kolonien in Saus und Braus leben konnte.

Die zweite Erklärung ist ebenfalls seit dem 19. Jahrhundert bekannt. In keinem anderen Land wütete der aufkommende Kapitalismus so brutal wie in England, was Engels zum Ausdruck des ‚wilden‘ Kapitalismus führte, ohne den Marx nicht in solcher systematischen Klarheit dessen Struktur und die normalerweise übliche Handlangerfunktion des Staates hätte analysieren und beschreiben können.

Das Nämliche wiederholte sich im durch den Wegfall der Kolonien sowieso verarmten England im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bis heute. Der Turbokapitalismus ist dasselbe in anderen Zeiten. Gleichzeitig ist nirgends in Europa die Gesellschaft noch so klassenbetont, insbesondere mit den Spitzen des Adels einerseits und einer lange sich als Arbeiterklasse fühlenden abgehängten Schicht, die mit Brot und Spielen, wie es die Römer nannten, heute Fußball und Bier, sich abspeisen lassen. Nicht alle, aber eine Mehrheit.

Gleichzeitig gibt ein kein anderes Land, in dem Filmemacher diesen gesellschaftlich Abgehängten ein so warmherziges Wiedererkennen auf der Leinwand bieten und damit den anderen Zuschauern einen tiefen Blick in die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung auf die englische Arbeiterschicht. Warum man das so betonen muß, hat damit zu tun, daß diesen Filmen, Ken Loach ist ihr Meister, nichts Kitschiges anhaftet, auch nicht Rührseliges, Rückwärtsgerichtetes, sie zeigen menschlich Menschliches.

Das mußte vorweg einfach gesagt werden, weil auch hier gar nicht die konkrete Handlung, die spezielle Geschichte das Besondere ist, sondern die Art und Weise, wie sie erzählt ist und auf uns wirkt.

Das Paar Abby (Debbie Honeywood) und Ricky (Kris Hitchen) lebt mit seinen beiden Kindern in Newcastle. Es sind harte Zeiten, was die Arbeit angeht – Abby ist Altenpflegerin, Ricky nimmt als Arbeit an, was er kriegt - , aber sie führen ein intensives und eben gemeinsames Familienleben, was sie stark macht für die Bedrohungen von außen. Und dann ist endlich die Chance da. Der ehemalige Fabrik- und Bauarbeiter Ricky erfährt von der Möglichkeit als Fahrer eines Paketlieferdienstes einen geregelten, noch dazu guten Verdienst zu bekommen. Im Bewerbungsgespräch merkt er schnell, daß er sich besser stellt, wenn er über einen eigenen Wagen verfügt. Er bekommt die Stelle, Abby verkauft ihr Auto, was sie zu den Pflegestellen brachte, öffentlich braucht sie die doppelte Zeit, damit er einen Lieferwagen kaufen kann. Und was jetzt passiert, ist so zwangsläufig, wie es oft im Leben passiert, wenn Murphys Gesetz eintritt: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“

Das wollen wir im einzelnen nicht schildern, aber die Unglücke, die über die Familie hereinbrechen, sind von solcher Zwangsläufigkeit, daß man den Drehbuchschreiber Paul Laverty nur beglückwünschen kann, diese Kette so wahrscheinlichkeitsnah er- und gefunden zu haben. Doch wie die Familie damit umgeht, wie die einzelnen dann zusammenhalten, wo normalerweise nur Streit einen Ausweg aus den schlechten Gefühlen bietet, das ist die Kunst des Regisseurs Ken Loach, warum man auch nicht todtraurig ob der verzweifelten Lage dieser Menschen aus dem Kino geht, sondern sich gestärkt fühlt, weil man sieht, was Menschen positiv bewirken können, wenn sie ein familiäres Netz haben und dies nutzen.

P.S. Auch dieser Film hat wie alle von Ken Loach eine Menge hochangesehener Preise erhalten.

Foto:
© Verleih

Info:
SORRY WE MISSED YOU
Regie KEN LOACH
Drehbuch PAUL LAVERTY
mit KRIS HITCHEN, DEBBIE HONEYWOOD, RHYS STONE, KATIE PROCTOR, ROSS BREWSTER, CHARLIE RICHMOND u.v.m.