f nachstenliebeSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Januar 2020, Teil 21

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Was war der Auslöser für diese Geschichte der Nächstenliebe?



Für die Recherche habe ich mir zusammen mit meinem Geschäftspartner Frédéric Brillion, der auch der Produzent des Films ist, im Theater das Stück Le poisson belge von Léonore Confino angeschaut. Ihr überspitzter Schreibstil gefällt uns beiden sehr. Wir fragten sie, ob sie für uns ein Drehbuch über soziales und humanitäres Engagement schreiben möchte. Eine Tätigkeit, der sich oft Menschen mit sehr viel gutem Willen, aber wenig oder gar keiner Ausbildung widmen. Dabei haben sie oft kaum finanzielle Mittel, um die schlimmsten Probleme unserer Gesellschaft zu lösen.


So ausgedrückt, gibt es genügend Filmstoff!

Wir machten sie mit einer Freundin von uns bekannt, die Alphabetisierungskurse gibt. Auch berichtete ich ihr von unserem verworfenen Komödienprojekt über eine Fahrschule. All diese Ideen haben wir Léonore in die Hände gelegt, die uns daraufhin eine Drehbuchstruktur vorschlug. Diese war vermutlich auch ein wenig von ihren eigenen Erfahrungen beeinflusst, da ihre Mutter ebenfalls sozial engagiert war. Es kamen also viele verschiedene Erfahrungen und Eindrücke zusammen. Daraus wurde dann das Porträt unserer Protagonistin. Als ich den Drehbuchentwurf las, hatte ich Lust, bei diesem Film selbst die Regie zu übernehmen. Daraufhin gab es einen regen Austausch, um das Drehbuch gemeinsam fertigzustellen.
Das Grundgerüst stammt aber von Léonore Confino.


Der Film bewegt sich ständig zwischen Drama und Komödie hin und her...

Ich mag die Idee, von einem Genre ins nächste gleiten zu können. Das bringt uns immer wieder aufs Thema zurück. Es ist unsere Pflicht, anderen zu helfen, aber es kann auch sehr anstrengend sein! Ich wollte eine bitter- süße Komödie.



Wollten Sie mit Klischees aufräumen, in dem Sie mit ihnen spielen?

Ich wollte kein Sozialdrama machen. Um über diese Situationen lachen zu können, mussten wir mit den Klischees spielen und die Figuren entsprechend ausformen. Hätte ich bekannte Schauspieler für die Sprachlern-Gruppe genommen, hätte das zu Klischees geführt. Für diesen Film habe ich weitgehend unbekannte und unerfahrene Schauspieler gewählt. Romeo Hustiac, der Radu spielt, ist beispielsweise Roma. Er kann weder lesen noch schreiben und lebte mit seiner Familie unter einer Brücke. Ich wollte auf gar keinen Fall eine Karikatur aus seiner Figur machen! Aber ich wollte die Zuschauer dennoch zum Lachen bringen. Es war eine ständige Gratwanderung. Der Film verschont niemanden, weder die Helfer noch die Bedürftigen. Und besonders auch nicht Isabelle oder ihre passive Familie, auch die „Besorgten“, wie man im sozialen Milieu sagt.



Mit Elke, der deutschen Lehrerin, deren Familie Nazis waren, gehen Sie ganz schön weit!

Das stimmt. Warum auch nicht? Diese deutsche Lehrerin ist zu perfekt! Sie ist jung, hübsch, strukturiert, aber in ihrer Familie stimmt was nicht. Es ist ein Aspekt des Films: Warum tun wir Gutes? Hat Elke das Bedürfnis, etwas wieder gut zu machen? Die Psycho- Genealogie kann Situationen enthüllen, die Motivationen für soziales oder humanitäres Engagement beschreiben: Man hat ihr diese schwere Last hinterlassen, die unmöglich zu tragen oder wieder gutzumachen ist.


Ist Isabelle in Ihren Augen eine Heldin?

Irgendwie schon. Sie lässt sich durch nichts abhalten und zieht es voll durch. Sie ist eine Heldin mit Fehlern und Qualitäten. Sie kann unerträglich, tollpatschig und nervig sein. Sie ist menschlich und komplex. Sie zweifelt aber nicht. Und wenn sie stolpert, steht sie wieder auf und erreicht ihre Ziele, was aus ihr, in meinen Augen, eine Heldin macht.


Sehen Sie den Film wie ein Spiegel, den man dem Zuschauer vor Augen hält?

Wir würden die Welt ändern, wenn jeder von uns sich engagieren und im Kleinen mit seinen Mitteln und Fähigkeiten etwas tun würde. Ich denke, dass wir nicht alles von unseren Politikern erwarten sollten. Ich hoffe, dass sich die Zuschauer mit Isabelle identifizieren können, denn sie hat sehr universelle Facetten.


Der Film stellt die Frage nach der bedingungslosen Nächstenliebe: Gibt es die wirklich?

Der Film fragt nach der Notwendigkeit oder Motivation der Selbsthingabe. Was treibt die sozial Engagierten an? Ich glaube nicht an puren Altruismus. Ich denke, wir alle haben Schuldgefühle, emotionale Schwächen oderkomplexereGründe.BeiIsabelle ist es ganz klar – sie möchte geliebt werden.


Es scheint ein wiederkehrendes Element Ihrer Filme: In TU SERAS MON FILS sucht der ungeliebte Sohn die Liebe seines Vaters, in L‘ODEUR DE LA MANDARINE leidet der Mann unter dem mangelnden Begehren seiner Frau für ihn. In DIE KUNST DER NÄCHSTENLIEBE sucht Isabelle die Liebe ihrer Mutter.

Ich mache gerne Filme, die sich voneinander unterscheiden. Wenn, dann geschieht diese Parallele unbewusst. Ich arbeite sehr instinktiv. Sicherlich hat Isabelle immer unter dem Mangel an Zuneigung ihrer Mutter gelitten. Er ist möglicherweise ihr Hauptantrieb.


Sie filmen vier Generationen von Frauen, deren Beziehungen nicht immer reibungslos sind. Der Film wirft die Frage nach der Übermittlung auf...

Isabelle sagt im Film einen Satz,der bei mir stark nachklingt: „Eine Mutter ist jemand, der ein Beispiel gibt.“ Am Ende des Films versteht Zoé ihre Mutter. Isabelle besitzt diese Stärke: Sie will ihren Kindern etwas beibringen, und ich denke, sie hat Erfolg damit.

Fortsetzung folgt

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Info:
Besetzung
Isabelle         Agnès Jaoui
Attila             Alban Ivanov
Ajdin             Tim Seyfi
Elke              Claire Sermonne
Jacqueline   Michèle Moretti
Cyrano         Philippe Torreton

Stab
Regie           Gilles Legrand
Drehbuch    Léonore Confino, Gilles Legrand

Abdruck aus dem Presseheft