Interview mit dem Regisseur Gilles Legrand II

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Januar 2020, Teil 22

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Wie kamen Sie auf Agnès Jaoui für die Hauptrolle?

Agnès ist die ideale Schauspielerin für diese Rolle. Sie verkörpert das Bild einer großzügigen, engagierten Frau mit fortschrittlichen Ideen, die gleichzeitig die Fähigkeit hat, sich ein wenig über sich selbst lustig zu machen. Manchmal hatte sie ein wenig Probleme mit den sehr bissigen Dialogen, aber sie bewies Kühnheit und Selbstironie. Sie hat akzeptiert, nicht immer im Mittelpunkt zustehen.Ichbinihrsehrdankbarfür das, was sie in den Film eingebracht hat.


Wie haben Sie gemeinsam den richtigen Ton gefunden?

Das Drehbuch des Films war sehr detailliert geschrieben. Es gab kaum Platz für Improvisation. Dennoch finde ich es immer interessant, die Schauspieler ihre eigene Textinter-pretation sprechen zu lassen. Dann reift alles. Ich bin der Kurator der Tonalität. Anfangs hatte ich Angst, dass die Figur zu unsympathisch rüber kommt. Wir haben gemeinsam darauf geachtet, dass das nicht geschieht. DerFilmzeichnetdasPorträteinerFrau mit all ihren Facetten. Wir wollten die richtige Balance finden. Isabelle ist ein liebenswerter Charakter.


Isabelle ist in ständiger Bewegung. Die Kameraführung ist sehr mobil...

Ohne beim Betrachter ein Schwindelgefühl zu erzeugen, wollte ich so dicht wie möglich an Isabelle dran bleiben und ihr folgen. Das war der Ausgangspunkt. Ich glaube sogar, dass wir die Kamera nie abgestellt haben. Es gab dem Film und Isabelles Figur,diesichständigbewegt,Energie.


Isabelles Schüler bilden eine Gruppe um sie herum. Wie haben Sie diese Schauspieler gefunden?

Sie kommen alle aus sehr unterschiedlichen Bereichen. Chantal Yam (Rolle: Chuang Mu) hat chinesische Eltern, die in Paris einen Tabakladen besitzen. Sie stand noch nie vor einer Kamera. Aber beim Vorsprechen war sie oft sehr viel besser als die Schauspielerinnen. GiedRé (Rolle: Miroslava) kommt aus der Musikbranche. Sie singt auf der Bühne und hat hier ihre erste Filmrolle. Saliha Bala (Rolle: Souad) gehört zur Musical-Gruppe Les Franglaises. Sie hat algerische Wurzeln und bereits ein wenig Filmerfahrung. Bis vor kurzem arbeitete sie im Bildungswesen. Auch für sie war der Film eine neue Erfahrung. Der portugiesische Künstler Nuno Roque (Rolle: Thiago) ist eine One- Man-Show.ImgesamtenTeamgabes nur zwei professionelle Schauspieler: Martine Schambacher (Rolle: Francine Grapinot) und Bass Dhem (Rolle: Bah).

Claire Sermonne (Rolle: Elke Hammler) ist ebenfalls Schauspielerin, aber beim Publikum noch nicht sehr bekannt. Um den Figuren Glaubwürdigkeit zu geben, erschien es mir wichtig, dass das Publikum sie nicht identifizieren konnte.


Warum ist eine Französin inmitten der Analphabeten?

Da es in Frankreich viele Analphabeten gibt, ist dies ein realer Aspekt. Diese Figur trägt eine kleine politische Botschaft. Ich wollte durch sie diskret eine Nachricht übermitteln. Ich mag den Gedanken, dass sie sich durch den Kontakt zu den anderen weiterentwickelt. Der Film zeigt, dass Vielfältigkeit bereichert.


Michèle Moretti scheint in ihrer Rolle der unterkühlten Mutter aufzugehen...

Wenn man eine 75-jährige Schauspielerin sucht, die eine solche Figur spielen soll, denkt man sofort an sie. Sie ist einfach brillant in diesen Rollen!


Alban Ivanov zeigt wieder einmal sein großes Komiker-Potential!

Ich glaube, er wird es sehr weit bringen. Er besitzt die Stärke eines modernen Jacques Villeret. Sein Talent fürs Komische ist enorm, und es ist seine Menschlichkeit, die ihn auszeichnet. Er kann sehr bewegend sein. Darüber hinaus ist er ein sehr liebenswerter Mann, großzügig und geistreich, mit dem die Zusammenarbeit sehr angenehm ist.


Wer ist Tim Seyfi, der den Mann von Isabelle spielt?

Er ist ein türkischer Schauspieler, der in München lebt. Er hat Dolmetschen studiert und spricht mehrere Sprachen, darunter Französisch. Es war nicht einfach, einen geeigneten Schauspieler aus Osteuropa zu finden, der die Rolle von Isabelles Mann spielt. Er musste wesentlich jünger sein als sie.Den nwir müssen uns vorstellen, dass Isabelle ihn als jungen Mann kennengelernt hat, als sie in Bosnien humanitäre Arbeit leistete. Tim hat einen gewissen Charme. Er hat etwas von Sean Penn. Das gefällt mir.


Wie haben Sie die farbenfrohe und fröhliche Wohnung von Isabelle eingerichtet?

Isabelles Fantasie kann man an ihren Wänden ablesen. Alles ist sehr farbenfroh mit Gegenständen, die aus der ganzen Welt stammen. Man kann auch hier ihre Großzügigkeit erkennen. Mir gefällt auch der Kontrast zwischen ihrer Wohnung und der klinischen Einrichtung in der Praxis der Paarpsychologin. Solche Kontraste zu filmen macht Spaß.


Glauben Sie an die Macht des Kinos, das Verantwortungsgefühl zu berühren?

Ja.Ich denke schon. Wenn ich als Kind einen Film sah, nahm ich die Helden in mir auf. Ich denke, das funktioniert auch, wenn man erwachsen ist und wenn man Empathie für sehr menschliche Figuren empfindet. Ich hoffe, dass man in DIE KUNST DER NÄCHSTENLIEBE solche Figuren sieht und dass der Film Hoffnung vermittelt, dass die Welt sich im Guten verändern kann. Denn unsere Isabelle, trotz all ihrer Fehler, schafft es, etwas zu bewegen. Ich wünsche mir, dass sie auch die Zuschauer inspiriert.