Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Februar 2020 Teil 16
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Jette ist sich nicht sicher, ob sie nach Costa Rica will. Das geplante freiwillige Jahr verspricht Abenteuer und Abstand von ihrem Vater. Überwältigt von Liebeskummer, würde die Abiturientin vielleicht aber doch lieber in der ostwestfälischen Provinz bei ihrem Freund Mario bleiben. Ihr alleinerziehender Vater Urs, ein niedergelassener Arzt, nimmt auf diese Unentschlossenheit keine Rücksicht und drängt zur Abreise. Mit riesigem Gepäck, gerüstet wie für eine Weltreise, machen sich Vater und Tochter auf den Weg zum Flughafen.
Weil Jette ihre Kamera vergessen hat, kommt es allerdings zu einem ungeplanten Abstecher bei Falk, dem abgewrackten Onkel der 18-Jährigen. Der öffnet nicht, geht auch nicht ans Telefon und durchkreuzt damit alle Pläne. Mit einer geliehenen Bohrmaschine verschafft sich der Hektiker Urs schließlich gewaltsam Zutritt zu der Wohnung. Unterdessen fährt der Freund Jette im Auto ihres Vaters zum Terminal, doch in letzter Minute lässt sie den Flug sausen und flüchtet mit Mario ins Blaue.
Mit skurriler Situationskomik und einem genauen Blick für die Unzulänglichkeiten ihrer Figuren erzählen Ulrich Köhler und Henner Winkler die Geschichte eines gewollten, aber missglückten Aufbruchs. Mehrfach wagt ihre Heldin den Ausbruch, aber immer wieder hakt es irgendwo.
Ihr übergriffiger Vater bevormundet sie, mit ihrem Freund gerät Jette in Streit. Am liebsten will sie mit Mario nach Venedig ausbüxen, aber das macht der nicht mit.
Simplen Schemata verweigert sich der subtile, leise Film gleichwohl. Ebenso wenig wie Jette einem gereizten Prototyp ihrer Generation entspricht, ebenso wenig erscheint ihr Vater, der sich verständlicherweise nach ihrem Abtauchen um sie sorgt, als ein Unmensch. Alle Figuren sind ambivalent, hadern mit ihren Bedürfnissen, auch wenn es wie bei Urs um eine sichere, bürgerliche Existenz geht, in der keine Überraschungen zu erwarten sind.
Mit kargen Landschaften in einer minimalistischen Inszenierung bedient der Film einen Stil, der „Berliner Schule“ genannt wird. Nicht alles wird auserzählt, manche Zusammenhänge erschließen sich nur über vage Andeutungen. In einer besonders bizarren Szene sieht man den sportlichen Läufer Urs abgehetzt zu Fuß am Abflugterminal eintreffen, als Jette gerade kehrt gemacht hat und schon wieder neben ihrem Freund im Auto sitzt. In dieser filmischen Überblendung kulminiert die permanente Rastlosigkeit, in der sich alle befinden. Und die absurde Tragikomik einer wenig spektakulären, aber packenden Geschichte.
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© Verleih
Info:
Deutschland 2019, 86 Minuten, deutsche Originalfassung, Regie und Drehbuch: Ulrich Köhler und Henner Winckler, Kamera: Patrick Orth, Schnitt: Laura Lauzemis, Ton: Johannes Grehl, Szenenbild: Pelin Gebhard, Ivana Vukovic, Kostümbild: Birgitt Kilian, Produktion: Sutor Kolonko, Produzent: Ingmar Trost, Koproduzentin: Katrin Schlösser, Redaktion: Corinna Liedtke (WDR), mit Maj-Britt Klenke, Sebastian Rudolph, Thomas Schubert, Katrin Röver, Daniel Nocke, Stefan Stern, Margarita Breitkreiz, Helmut Florian Rupprecht, Hussein Eliraqui u. v. a.
DAS FREWILLIGE JAHR auf Kinotour:
3.2. um 19 Uhr – Neues Maxim München (Gast: Ulrich Köhler)
4.2. um 18 Uhr – Atelier am Bollwerk Stuttgart (Gast: Ulrich Köhler)
5.2. um 19.30 Uhr – Karlstorkino Heidelberg (Gast: Ulrich Köhler)
5.2. um 20 Uhr – Mal seh’n Kino Frankfurt/Main (Gast: Henner Winckler)
6.2. um 18.45 Uhr – Thalia Kino Potsdam (Gast: Henner Winckler)
7.2. um 20 Uhr – Hackesche Höfe Kino Berlin (Gäste: Maj-Britt Klenke, Ulrich Köhler, Henner Winckler und das Filmteam)
8.2. um 19 Uhr – Cinema Münster (Gast: Henner Winckler)
9.2. um 16.30 Uhr – Bambi Kino Düsseldorf (Gast: Henner Winckler)
9.2. um 19.30 Uhr – Abaton Hamburg (Gast: Ulrich Köhler)
11.2. um 19 Uhr – fsk Kino Berlin (Gast: Henner Winckler)
12.2. um 19 Uhr – Filmpalette Köln (Gast: Maj-Britt Klenke)
12.2. um 19.30 Uhr – Passage Kino Leipzig (Gast: Henner Winckler)
15.2. um 19 Uhr – Wolf Kino Berlin (Gast: Henner Winckler)