Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Februar 2020 Teil 17
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) -Die Teilhabe des Publikums an ihrem Kino war für sie neben ihrer Inspiration und ihrer Kreativität der wichtigste Motor ihres Wirkens. In einem barocken alten Logentheater tritt Agnès Varda mit ihm in einen intimen Dialog.
„Varda par Agnès“ ist ein zärtliches Selbstporträt und eine Bilanz des langen und erfüllten künstlerischen Wirkens der französischen Filmemacherin, Fotografin und Installationskünstlerin, die im März vergangenen Jahres im Alter von 90 Jahren starb.
Assoziativ collagiert sie öffentliche Auftritte, Filmausschnitte, Fotografien und Begegnungen mit Weggefährten. Im Lebenswerk der zierlichen Frau mit der ungewöhnlichen Pilzfrisur spiegelt sich ein großes Stück Zeitgeschichte: Die „Nouvelle Vague“, die zu einer der einflussreichsten Bewegungen im Kino der Nachkriegszeit werden sollte, nahm sie 1954 schon mit ihrem ersten Spielfilm „La Pointe Courte“ vorweg, als Jean-Luc Godard und Francois Truffaut darüber noch in ihren „Cahiers de Cinema“ theoretisierten.
Überhaupt ging Varda in einer von Männern dominierten Filmwelt selbstbewusst ihren Weg. Er war in ihren jungen Jahren wesentlich geprägt von Begegnungen mit amerikanischen Hippies, den Black Panthers und von der Frauenbewegung. Ganz gleich, ob sie Spiel- oder Dokumentarfilme drehte, stets fing sie mit ihrer Kamera ganz reales Leben ein.
Bisweilen teilt sich die Filmemacherin mit ihren Gedanken aus dem Off mit, dann wieder teilt sie ihre Rückblicke mit anderen Mitwirkenden, mit Sandrine Bonnaire zum Beispiel, die 1985 in dem viel beachteten Werk „Vogelfrei“ eine freiheitsliebende Landstreicherin verkörperte. Wenn man die damals blutjunge, leicht pausbäckige Schauspielerin neben ihrer heutigen Erscheinung mit ungleich kantigeren Gesichtszügen sieht, mögen einem die Verse aus Hugo von Hofmannsthals „Rosenkavalier“ in den Sinn kommen: „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“.
Vor wehmütigen nostalgischen Anwandlungen blieb Agnès Varda, die sich immer ihre Neugier und Aufgeschlossenheit für neuere Entwicklungen bewahrte, gleichwohl verschont. Beim Wechsel vom analogen Material zur Digitalkamera konzentrierte sie sich auf die Vorteile: Ohne Digitalkamera hätte sie den Protagonisten in ihrer Dokumentation „Die Sammler und die Sammlerin“ niemals so nahe kommen können.
Zwischen solche Betrachtungen schieben sich Impressionen aus dem Film „101 Nacht - Die Träume des M. Cinema“, in dem unter zahlreichen Stars Catherine Deneuve und Robert De Niro gemeinsam vor der Kamera standen. Interessanterweise zeigt Varda an dieser Stelle aber keine Szenen aus diesem Film, der für sie einen Flop bedeutete, sondern kaum bekannte, kurzweilige Momentaufnahmen während der Dreharbeiten am Set.
Zu einem kontemplativen, poetischen Vermächtnis wird der Film dank wiederkehrender Ansichten vom Meer. Insbesondere an die Côte d’Azur, wo sie in einem kleinen Dorf während des Krieges aufgewachsen war, zog es die vielseitige Künstlerin im Laufe ihres Lebens immer wieder. Und an einem solchen Strand endet auch die Zeitreise, als Vardas Bild im Zuge eines Sandsturms zunehmend verschwindet. „Ich verlasse Sie“, sagt sie zu ihrem Gegenüber und nimmt unsentimental Abschied. Jacqueline Schwarz