Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wann und warum haben Sie den Entschluss gefasst, einen Film über die NSU-Morde zu drehen?
Schon als ich zu Beginn von den Morden hörte und über sie las, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl dabei. Es waren fast immer Männer, Mitte/ Ende dreißig, Familienväter, Kleinunternehmer. Und alle waren der Polizei vollkommen unbekannt. Trotzdem ermittelte diese nur innerhalb der Familie und der türkischen Community. Die Frage nach Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremen, Nazi-Tätern wurde vollkommen ausgeblendet. Dabei hatten es zu dem Zeitpunkt schon eine ganze Reihe von rassistisch motivierten Gewalttaten und Morden gegeben, u.a. in Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen.
Nachdem sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach ihrem gescheiterten Banküberfall selbst das Leben nahmen und Zschäpe sich stellte, war das ein Schock. Gleichzeitig war da aber auch das Gefühl: All das hätte man doch ahnen können! Wie blind ist dieser Staat gewesen und hat all das über 10 Jahre geschehen lassen können?
Dann begann ein Gerichtsverfahren, dass sich über 5 ½ Jahre hinzog. Ich fuhr gleich zu Beginn zum Gericht und verfolgte den Prozess über die komplette Dauer. Verwundert war ich vor allem darüber, welch großes Augenmerk die Öffentlichkeit mal wieder den Tätern, insbesondere der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, zuteilwerden ließ. Die Familien der Ermordeten kamen zwar stellenweise auch zu Wort, aber eigentlich nur, weil sie von sich aus immer wieder aktiv an die Öffentlichkeit gingen und dabei ihr Recht auf Erhörung quasi erkämpfen mussten. Sie waren dabei hartnäckig, hatten gute Rechtsanwälte um sich, und konnten so auf die mangelnde, ungenaue und rassistische Behandlung aufmerksam machen. Bis zur Enttarnung des NSU wurden sie kriminalisiert, entehrt und selbst der Morde an ihren eigenen Ehemännern und Brüdern bezichtigt. Sie wurden geächtet und an den Rand der Gesellschaft verbannt. Und sie wurden mit ihrem Leid allein gelassen.
Als ich den ganzen Umfang dieser Tragödie zu verstehen begann, wusste ich, dass ich den Angehörigen der Opfer zuhören wollte und musste, um ihnen den Raum zu geben, von sich und den Erfahrungen dieser Jahre zu erzählen. Wir hatten und haben als ganze Gesellschaft etwas gutzumachen. Mir stellte sich aber auch die Frage, ob dieses Land den Familien der Opfer überhaupt wieder das Gefühl von Sicherheit geben, ja ihnen eine Heimat sein kann?
Wie haben Sie sich dem Thema angenähert, was war Ihnen bei der Auseinandersetzung wichtig?
Es war für mich zunächst wichtig zu verstehen, wie die Familienangehörigen nach den vielen leidvollen Wochen, Monaten, Jahren überhaupt die Kraft fanden, immer und immer wieder die Aufklärung dieser Morde zu fordern. Sie sprachen von der Ehre ihrer Ehemänner, Väter und Brüder, die es wiederherzustellen galt. Sie forderten aber auch, dass sich der Staat seiner Versäumnisse stellt und die Konsequenzen daraus zieht. Es war für alle klar, dass der Staat und seine Institutionen – also die Polizei, die Kriminalämter, der Verfassungsschutz – vollkommen versagt haben müssen, indem er zulange weggeschaut hat, ja auf dem rechten Auge blind war. Anders hätte es nie zu diesen zehn Morden kommen können. Ich habe während der 5 ½ Jahre alles gelesen, was es zum Thema zu bekommen hab. Ich bin immer wieder zum Prozess gefahren, habe dort mit den Rechtsanwälten der Hinterbliebenen und auch mit den Prozessbeobachtern – mit NSU-Watch, weiteren Initiativen und den Gerichtsreporten – gesprochen.
War es schwierig, mit den Angehörigen der Opfer in Kontakt zu treten und sie zu befragen?
Ja, es war sehr, sehr schwierig. Natürlich mussten die Rechtsanwälte ihre Mandanten auch schützen. Ich hatte die Witwe von Mehmet Kubaşık bei ihren ersten öffentlichen Äußerungen in Berlin erlebt und war vollkommen erschlagen von der Klarheit, Klugheit und präzisen Darstellung ihrer Jahre nach dem Mord an ihrem Mann. Semiya Şimşek hatte ich durch ihre Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz in dem ersten Jahr des Prozessbeginns kontaktiert. Aber ich war damals noch nicht ganz sicher, wie genau mein Film am Ende aussehen sollte. Ich hatte mit den Rechtsanwälten dann die Absprache, Kontakt zu den Familien zu bekommen, wenn der Prozess zu Ende ist. Und an dem Tag der Urteilsverkündung, dem 11. Juli 2018, lernte ich alle Familienangehörigen bei der anschließenden Demonstration kennen, die am Gerichtsgebäude begann und zum Odeonsplatz führte. Ich sprach mit einigen der Familienangehörigen, hörte ihre Äußerungen zum Urteil und war derart bekräftigt in der Richtung meines Films wie nie zuvor: Jetzt erst recht galt es, den Angehörigen der Opfer zuzuhören und Anteil zu nehmen an dem Unrecht, das ihnen widerfahren ist.
Hat sich Ihre Sicht auf die Morde, auf den Prozess und den gesellschaftlichen Umgang damit im Laufe der Recherche bzw. im Laufe der Dreharbeiten verändert?
Eigentlich wurde für mich das Gefühl des Entsetzens darüber, was diesen Menschen angetan wurde, immer größer. Ich meine damit nicht nur all das, was Ihnen innerhalb der zehn Jahre, als die Morde noch nicht aufgedeckt waren, angetan wurde, sondern auch das Ende des Gerichtsverfahrens. Es war wirklich schrecklich und deprimierend mitanzuschauen, wie ihr diszipliniertes, geduldiges Hoffen auf ein anständiges Ende enttäuscht wurde. Das Schlimmste war, dass zwei bekennende Neonazis nach dem Prozess auf freien Fuß kamen, einer am gleichen Tag, der andere zwei Wochen später. Der Richter bedankte sich dann auch noch bei den Anwesenden, allerdings nicht bei den Familienangehörigen, für ihre Geduld, Disziplin und Ausdauer. Ich glaube, dass war das Schlimmste für die Hinterbliebenen! Mein Misstrauen in den deutschen Staat und seine Apparate, das zwar nie ganz uneingeschränkt war, hat sich damit ziemlich verstärkt. Zuvor wusste ich nicht, dass die Blindheit gegenüber rechten Gruppen so tief in den staatlichen Apparaten hinein wirkte. Erst durch die NSU-Morde wurde mir auch klar, wie viele Neonazis in den neuen Bundesländern aktiv sind, wie unzureichend die Aufarbeitung der NS-Zeit dort stattgefunden haben muss und wie wenig wir alle davon mitbekommen haben, wie problematisch der Umgang mit Leiharbeitern (u.a. aus Vietnam und Mosambik) in der ehemaligen DDR war. Der Rassismus scheint immer schon weit verbreitet gewesen zu sein, nur wurde er scheinbar immer heruntergespielt.
Gab es eine Begegnung oder einen Moment während der Dreharbeiten, der Sie besonders berührt hat?
Ja, es gab mehrere Momente. Zum Beispiel, als Adile Şimşek von dem aufrechten Gang zu sprechen begann, nachdem ihre Unschuld bewiesen und ihre Ehre wiederhergestellt worden war – und dann tatsächlich aufsteht und aufrecht um den Couchtisch geht. Oder als Ali Toy, der Blumenverkäufer von Enver Şimşek, uns die Bäume zeigte, die er in Andenken an Enver Şimşek gepflanzt hatte. Er erzählte uns, dass Enver Şimşek statt seiner ermordet wurde, da er selbst an diesem Tag in Urlaub gefahren war. Oder auch der Moment, als Elif Kubaşık poetische Worte für den Verlust ihres Mannes fand und ihre Liebe als ein Buch beschreibt, „dass nicht zu Ende geschrieben wurde“. Und wenn sie danach weint, weil das Lied, dass gerade eine ihrer Freundinnen beim Kochen singt, über die Liebe erzählt, die verlorengegangen ist.
Was können wir Ihrer Meinung nach als Gesellschaft aus dem NSU-Fall lernen?
Wir müssen sensibler mit den Menschen umgehen, denen solch unvorstellbares Leid zugefügt wurde und Ihren Schmerz annehmen, akzeptieren und sie nicht alleine lassen. Vor allem sollten wir aber auch öffentlichen Bezichtigungen und Verdächtigungen immer skeptisch und kritisch gegenüberstehen. Und natürlich alle rassistischen Taten verurteilen und uns bereits jeder rassistischen Äußerung entschieden entgegenstellen, um rechte Gruppierungen und Tendenzen nicht salonfähig werden zu lassen.
Foto:
Ali Toy
© Verleih
Info:
SPUREN – DIE OPFER DES NSU ein Film von Aysun Bademsoy DE 2019, 81 Minuten, deutsche OF Kinostart: 13. Februar 2020
Regie & Buch : Aysun Bademsoy
Kamera : Ute Freund, Isabelle Casez
Dann begann ein Gerichtsverfahren, dass sich über 5 ½ Jahre hinzog. Ich fuhr gleich zu Beginn zum Gericht und verfolgte den Prozess über die komplette Dauer. Verwundert war ich vor allem darüber, welch großes Augenmerk die Öffentlichkeit mal wieder den Tätern, insbesondere der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, zuteilwerden ließ. Die Familien der Ermordeten kamen zwar stellenweise auch zu Wort, aber eigentlich nur, weil sie von sich aus immer wieder aktiv an die Öffentlichkeit gingen und dabei ihr Recht auf Erhörung quasi erkämpfen mussten. Sie waren dabei hartnäckig, hatten gute Rechtsanwälte um sich, und konnten so auf die mangelnde, ungenaue und rassistische Behandlung aufmerksam machen. Bis zur Enttarnung des NSU wurden sie kriminalisiert, entehrt und selbst der Morde an ihren eigenen Ehemännern und Brüdern bezichtigt. Sie wurden geächtet und an den Rand der Gesellschaft verbannt. Und sie wurden mit ihrem Leid allein gelassen.
Als ich den ganzen Umfang dieser Tragödie zu verstehen begann, wusste ich, dass ich den Angehörigen der Opfer zuhören wollte und musste, um ihnen den Raum zu geben, von sich und den Erfahrungen dieser Jahre zu erzählen. Wir hatten und haben als ganze Gesellschaft etwas gutzumachen. Mir stellte sich aber auch die Frage, ob dieses Land den Familien der Opfer überhaupt wieder das Gefühl von Sicherheit geben, ja ihnen eine Heimat sein kann?
Wie haben Sie sich dem Thema angenähert, was war Ihnen bei der Auseinandersetzung wichtig?
Es war für mich zunächst wichtig zu verstehen, wie die Familienangehörigen nach den vielen leidvollen Wochen, Monaten, Jahren überhaupt die Kraft fanden, immer und immer wieder die Aufklärung dieser Morde zu fordern. Sie sprachen von der Ehre ihrer Ehemänner, Väter und Brüder, die es wiederherzustellen galt. Sie forderten aber auch, dass sich der Staat seiner Versäumnisse stellt und die Konsequenzen daraus zieht. Es war für alle klar, dass der Staat und seine Institutionen – also die Polizei, die Kriminalämter, der Verfassungsschutz – vollkommen versagt haben müssen, indem er zulange weggeschaut hat, ja auf dem rechten Auge blind war. Anders hätte es nie zu diesen zehn Morden kommen können. Ich habe während der 5 ½ Jahre alles gelesen, was es zum Thema zu bekommen hab. Ich bin immer wieder zum Prozess gefahren, habe dort mit den Rechtsanwälten der Hinterbliebenen und auch mit den Prozessbeobachtern – mit NSU-Watch, weiteren Initiativen und den Gerichtsreporten – gesprochen.
War es schwierig, mit den Angehörigen der Opfer in Kontakt zu treten und sie zu befragen?
Ja, es war sehr, sehr schwierig. Natürlich mussten die Rechtsanwälte ihre Mandanten auch schützen. Ich hatte die Witwe von Mehmet Kubaşık bei ihren ersten öffentlichen Äußerungen in Berlin erlebt und war vollkommen erschlagen von der Klarheit, Klugheit und präzisen Darstellung ihrer Jahre nach dem Mord an ihrem Mann. Semiya Şimşek hatte ich durch ihre Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz in dem ersten Jahr des Prozessbeginns kontaktiert. Aber ich war damals noch nicht ganz sicher, wie genau mein Film am Ende aussehen sollte. Ich hatte mit den Rechtsanwälten dann die Absprache, Kontakt zu den Familien zu bekommen, wenn der Prozess zu Ende ist. Und an dem Tag der Urteilsverkündung, dem 11. Juli 2018, lernte ich alle Familienangehörigen bei der anschließenden Demonstration kennen, die am Gerichtsgebäude begann und zum Odeonsplatz führte. Ich sprach mit einigen der Familienangehörigen, hörte ihre Äußerungen zum Urteil und war derart bekräftigt in der Richtung meines Films wie nie zuvor: Jetzt erst recht galt es, den Angehörigen der Opfer zuzuhören und Anteil zu nehmen an dem Unrecht, das ihnen widerfahren ist.
Hat sich Ihre Sicht auf die Morde, auf den Prozess und den gesellschaftlichen Umgang damit im Laufe der Recherche bzw. im Laufe der Dreharbeiten verändert?
Eigentlich wurde für mich das Gefühl des Entsetzens darüber, was diesen Menschen angetan wurde, immer größer. Ich meine damit nicht nur all das, was Ihnen innerhalb der zehn Jahre, als die Morde noch nicht aufgedeckt waren, angetan wurde, sondern auch das Ende des Gerichtsverfahrens. Es war wirklich schrecklich und deprimierend mitanzuschauen, wie ihr diszipliniertes, geduldiges Hoffen auf ein anständiges Ende enttäuscht wurde. Das Schlimmste war, dass zwei bekennende Neonazis nach dem Prozess auf freien Fuß kamen, einer am gleichen Tag, der andere zwei Wochen später. Der Richter bedankte sich dann auch noch bei den Anwesenden, allerdings nicht bei den Familienangehörigen, für ihre Geduld, Disziplin und Ausdauer. Ich glaube, dass war das Schlimmste für die Hinterbliebenen! Mein Misstrauen in den deutschen Staat und seine Apparate, das zwar nie ganz uneingeschränkt war, hat sich damit ziemlich verstärkt. Zuvor wusste ich nicht, dass die Blindheit gegenüber rechten Gruppen so tief in den staatlichen Apparaten hinein wirkte. Erst durch die NSU-Morde wurde mir auch klar, wie viele Neonazis in den neuen Bundesländern aktiv sind, wie unzureichend die Aufarbeitung der NS-Zeit dort stattgefunden haben muss und wie wenig wir alle davon mitbekommen haben, wie problematisch der Umgang mit Leiharbeitern (u.a. aus Vietnam und Mosambik) in der ehemaligen DDR war. Der Rassismus scheint immer schon weit verbreitet gewesen zu sein, nur wurde er scheinbar immer heruntergespielt.
Gab es eine Begegnung oder einen Moment während der Dreharbeiten, der Sie besonders berührt hat?
Ja, es gab mehrere Momente. Zum Beispiel, als Adile Şimşek von dem aufrechten Gang zu sprechen begann, nachdem ihre Unschuld bewiesen und ihre Ehre wiederhergestellt worden war – und dann tatsächlich aufsteht und aufrecht um den Couchtisch geht. Oder als Ali Toy, der Blumenverkäufer von Enver Şimşek, uns die Bäume zeigte, die er in Andenken an Enver Şimşek gepflanzt hatte. Er erzählte uns, dass Enver Şimşek statt seiner ermordet wurde, da er selbst an diesem Tag in Urlaub gefahren war. Oder auch der Moment, als Elif Kubaşık poetische Worte für den Verlust ihres Mannes fand und ihre Liebe als ein Buch beschreibt, „dass nicht zu Ende geschrieben wurde“. Und wenn sie danach weint, weil das Lied, dass gerade eine ihrer Freundinnen beim Kochen singt, über die Liebe erzählt, die verlorengegangen ist.
Was können wir Ihrer Meinung nach als Gesellschaft aus dem NSU-Fall lernen?
Wir müssen sensibler mit den Menschen umgehen, denen solch unvorstellbares Leid zugefügt wurde und Ihren Schmerz annehmen, akzeptieren und sie nicht alleine lassen. Vor allem sollten wir aber auch öffentlichen Bezichtigungen und Verdächtigungen immer skeptisch und kritisch gegenüberstehen. Und natürlich alle rassistischen Taten verurteilen und uns bereits jeder rassistischen Äußerung entschieden entgegenstellen, um rechte Gruppierungen und Tendenzen nicht salonfähig werden zu lassen.
Foto:
Ali Toy
© Verleih
Info:
SPUREN – DIE OPFER DES NSU ein Film von Aysun Bademsoy DE 2019, 81 Minuten, deutsche OF Kinostart: 13. Februar 2020
Regie & Buch : Aysun Bademsoy
Kamera : Ute Freund, Isabelle Casez