Bildschirmfoto 2020 02 21 um 01.41.3570. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 0/18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Vor den Filmen, die im Wettbewerb um die Bären konkurrieren, wird der Presse die Jury vorgestellt, an die man Fragen stellen kann. WELTEXPRESSO hatte die Mitglieder der Jury personell schon vorgestellt, die unter Vorsitz des englischen Film- und Theaterschauspielers Jeremy Irons  über die Vergabe der Preise des Wettbewerbes entscheidet. Das sind die französische Schauspielerin Bérénice Bejo, die deutsche Produzentin 2.Bettina Brokemper, die palästinensische Regisseurin Annemarie Jacir, der amerikanische Autor und Filmemacher Kenneth Lonergan, der italienische Schauspieler Luca Marinelli und der brasilianische Regisseur Kleber Mendonça Filho.

Bildschirmfoto 2020 02 21 um 01.38.44Nach der Vorstellung der Jurymitglieder ergriff Jeremy Irons (rechts im Bild) das Wort und verblüffte solche wie mich, die ich von nichts wußte. Er bedankte sich für die Aufgabe, die er hochhält und die ihn ehrt. „Ich wäre froh, wenn ich mich nicht damit auseinandersetzen müßte“ und verwies auf eine öffentliche Angelegenheit, für die er sich entschuldigt habe, weshalb er dezidiert hier einmal und damit abschließend zu drei Bereichen etwas erklären will:
1. sexueller Mißbrauch
2. gleichgeschlechtliche Ehe
3. Abtreibung.

Die Reizthemen in den undemokratischen und reaktionären Staaten und bei den Evangelikalen und christlichen Fundamentalisten in den Vereinigten Staaten und Brasilien. Also: Jeremy Irons unterstützt die Bewegung der Frauen, die belästigt und mißbraucht werden. „Ich begrüße die Gesetzgebung zur gleichgeschlechtlichen Ehe. Ich unterstütze den Wunsch der Frauen, selbst zu entscheiden...“, weil er das für eine zivilisierte Gesellschaft für angemessen hält und dies weltweit anstrebt, wo es heute noch Staaten gibt, wo diese Rechte nicht gelten und sogar Menschen deswegen bedroht und mit dem Tode bestraft werden. „Lassen Sie uns jetzt loslegen!“

Bildschirmfoto 2020 02 21 um 01.38.24Die erste Frage gab Anlaß zum Nachdenken. „Wir kennen Sie alle aus Filmen als Darsteller, aber nicht Ihren Filmgeschmack. Welcher Film wäre einer, der ihr Leben verändert hat, sie besonders umgehauen oder begeistert hat.“, sollten alle beantworten. Produzentin Bettina Brokemper kommt auf BAMBI, das sei nicht ihr Lieblingsfilm, aber da hat sie Väter weinen sehen und solche direkte Emotionen sollen Filme hervorrufen. Der italienische Schauspieler Luca Marinelli flicht ihr bei, auch er kann nicht den Lieblingsfilm nennen, der wechselt, sondern den Film, mit dem bei ihm das Kino begann: Das war IT und er war sechs Jahre.

Bildschirmfoto 2020 02 21 um 01.39.23Auch Berenice Bejo (links im Bild) setzt den ersten Kinoeindruck fort: SINGING IN THE RAIN, ihr Vater hatte 3000 VHS-Kassetten und Nr. 1 war dieser Film. „Meine persönliche Begeisterung wurde geweckt. Da packte meine Freundin beim Zusehen meinen Arm und sagte: ‚Mach was.‘“ Für Kenneth Lonergan (rechts)  war das mit 16 Jahren FENSTER ZUM HOF, den er zu Hause am Fernseher sah: ein ganz toller Film. Schon interessant, wie sehr die Herkunft die Antworten auf die Frage bestimmt. Denn für die palästinensische Regisseurin Annemarie Jacir  (rechts in der Mitte) stellt sich das ganz anders dar. Da gab es kein Kino. Auch ihr Vater hatte VHS-Kassetten. Allerdings nur fünf, mit denen sie aufwuchs. Später hat ihr das gefallen, ins Kino zu gehen, möglichst jeden Tag in einen anderen Film.

Vom Gegenteil konnte Kenneth Lonergan berichten. Er hat übrigens den wunderbaren Film MANCHESTER BY THE SEA gedreht. Er ist in New York aufgewachsen, wo es viele Kinos gab, die an Samstagen alte Filme aufführten. So hat er zuhauf Filme aus den 30er und 40er Jahren gesehen und geliebt, die für ihn noch heute Orientierung sind. Das waren die Filme aus dem Studiosystem, das viel Geld kostete, aber das waren Leute, die gerne Filme machten, die Filme liebten. Das war in den 70er Jahren, als die Filmwirtschaft zusammenbrach Heute wird in Filme investiert, auf eine formale Perfektion hingearbeitet, dies ist eine ganz andere Richtung. Er liebt Filme, die mit Leidenschaft gemacht sind, sie sind ihm lieber als perfekt gemachte Filme.

Jeremy Irons stimmt allen zu, Filme mit Herz und Begeisterung. Für ihn ist das verbunden mit Charlie Chaplins CITY LIGHTS, das er mit seinem Sohn sah, der IT und alle möglichen Filme kannte. Aber als sein Sohn diesen Charlie Chaplin Film sah, sagte er: „Das, das ist der beste Film, den ich je sah.“ Der Vater hätte gerne in LAWRENCE VON ARABIEN mitgespielt, Filme, die Magie erzeugen, zieht er vor.

Bildschirmfoto 2020 02 21 um 01.39.43Luca Marinelli wird speziell nach seinem Befinden auf der Berlinale befragt, wie wichtig es ihm ist, hier zu sein. Er zeigte sich tief bewegt und glücklich, für ihn ist es fast unvorstellbar, hier zu sein. Es bewegt ihn und er findet es toll. Bei seiner erster Berlinale war er als Shooting Star ausgewählt worden und hatte eine Unmenge von Filmen gesehen.

Die Frage nach der politischen Verantwortung von Filmen wird sehr unterschiedlich beantwortet. Jeremy Irons differenziert, er sehe nicht unbedingt politische Verantwortung, aber Verantwortung gegenüber dem Film. Filme sollten Schlaglichter auf bestimmte gesellschaftliche Themen werfen: Menschenrechte, Ökologie, Verantwortung als Menschen. Alle sollten sich einsetzen für demokratische Veränderungen.

Ein Fragender will Irons nicht schmeicheln, aber er findet ihn im Film MISSION am besten und will wissen, welcher Einfluß hatte dieser Film auf ihn, in dem er mitwirkte. Die Antwort war geradezu poetisch: „Wie Rauch, der lange anhaftet.“ Irons führte aus, schon deshalb zeige es Wirkung, weil man mit der Rolle lebte, man muß sich reinversetzen in andere Menschen. Dieser Film Mission war sehr – er ist nicht evangelisch, noch katholisch noch Priester – religiös. So kam es, daß er, Irons, jeden Tag mit Gott gesprochen hat als Zwiegespräch: „Du hilfst mir besser, sonst hast Du Probleme.“ So geht er heute eigentlich mit allen um: hilf mir besser...

Am interessantesten wurden die Ausführungen des brasilianischen Regisseurs, weil derzeit in Brasilien das Kino am schärfsten kontrolliert und stranguliert wird. Es sei eine dramatische politische Entwicklung, betonte Kleber Mendonça Filho. Einerseits sei diese Zeit für Filmemacher ideal, weil die Menschen aufgewühlt seien und sich täglich etwas ändere, aber gleichzeitig wird dem Kino der Saft abgedreht, ja es werden bewilligte Fördergelder zurückverlangt und die Filmkultur zerschlagen.

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