berl20 internet70. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 7/18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Sie haben es wieder getan. Gustave Kervern und Benoît Delépine. Zusammen bringen sie als Regisseure wieder in einem Film ein Abbild unserer gegenwärtigen Welt, über das man beim Zuschauen laut lacht, während einen gleichzeitig eine Gänsehaut überzieht, weil man weiß, daß in unserer Welt etwas ganz Furchtbares passiert.

Eigentlich geht es um die Digitalisierung und globale Kommerzialisierung unseres Alltags, die Abhängigkeit vom Netz und die Veröffentlichung der privatesten Dinge sowie die Widrigkeiten bürokratischer Art, telefonisch an Verantwortliche zu kommen, Stunden in Warteschleifen zuzubringen, alles Dinge, wo man Rechner und Handys an die Wand schmeißen möchte, weil sie uns hilflos machen, was in analogen Verfahren gar nicht möglich gewesen war.

Das klingt abstrakt, aber der Trick der beiden, die auch das Drehbuch gemeinsam meisterten, ist, daß sie all diese Probleme der doch so schönen und modernen Social-Media-Welt drei Personen in die Schuhe schieben. Die drei sind Nachbarn, zwei Frauen, ein Mann. Es beginnt mit Marie (Blanche Gardin), die abgehalfterte Ehefrau und Mutter, deren Sohn bei der Scheidung lieber beim Vater bleiben wollte, denn dort ist das Geld, das er beispielsweise für seine Internetkäufe, die selbstleuchtenden Kult-Turnschuhe für 700 Euro braucht. Sie hat noch nie gearbeitet und lebt von dem Verkauf ihrer Möbel und Familienbeihilfen und ihr Handy ist eigentlich Familienersatz. Ihre Einsamkeit bekämpft sie mit Alkohol und kann sich dann nicht mehr erinnern, daß ein junger Mann sie abschleppte und die gemeinsame Nacht in einem Video festgehalten hat, für das er 10 000 Euro will, andernfalls sieht sie sich im Netz wieder.

Bertrand (Denis Podalydès) ist alleinerziehender Vater einer schüchternen Tochter, die grundsätzlich im Internet gemobbt wird. Sein Problem besteht darüberhinaus, daß er bei Werbeanrufen nicht nein sagen kann und für das Kaufen dieser Dingen im Internet,jeweils die angebotenen Kredite aufnimmt – und dann gibt es noch eine Frau, die ihn gegen Gebühren anruft und er wirklich glaubt, daß sie es mit ihm ernst meint.

Die Dritte ist Christine (Corinne Masiero), hinreißend als Uber-Fahrerin, die um ihre Sterne kämpft, denn sie breitet den Kunden sogar den roten Teppich aus, von Bonbons und Getränken abgesehen. Wie sie am Schluß - und wir mit ihr mitbekommen, werden die positiven Kundenrezensionen aber von der Chefin kassiert, damit sie sich noch mehr anstrengt. Außerdem ist sie ein Serienjunkie, völlig abhängig von den TV-Serien.

Diese drei tun sich als Opfer der Social Media zusammen und nehmen den Kampf gegen die Tech-Giganten in Los Angeles und anderen Orten auf, wo in Daten-Clouds unser Leben abgespeichert und öffentlich verfügbar ist. Aber man kann sich wehren, ja man muß sich wehren, sagt uns dieser Film mit komödiantischen Mitteln, die todernst gemeint sind.

P.S.
Eigens zu erwähnen in einem Film voll tausend kleiner toller Ideen, ist der Wohnort von God, dem geheimnisvollen Internetrebellen, in einem Windrad, wo die drei sich Rat und Tat holen.

Foto:
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Info:
Regie und BuchBenoît Delépine, Gustave Kervern
 mit Blanche Gardin, Denis Podalydès, Corinne Masiero