70. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, Sektion GENERATION
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Bereits vor über 40 Jahren gründete die Berlinale ihre Sektion „Generation“ mit Filmen für Schulkinder und Jugendliche. Solch eine Reihe gebe es weder in Venedig noch in Cannes, erklärte Mariette Rissenbeek, Co-Leiterin des Festivals, in einem taz-Interview. Dieser Bereich sei absolut wichtig, weil sie „junge Zuschauer anspricht und viele Filme mit viel Publikum bietet.“
„Yalda“, der iranische Spielfilm, ist sicher der heftigste dieser Sektion, der die Brüche zwischen gruseliger Tradition und moderner Medienwelt aufreißt: In einer Reality-TV-Show kämpft die junge, zum Tode verurteilte Maryam weinend um ihr Leben. Vor laufender Kamera muss sie das Publikum um Vergebung sowie Blutgeld für ihre Tat bitten.
Mit dem Übergang zum Erwachsenenalter in diversen Kulturen setzten sich etliche Coming-of-Age-Filme auseinander. In „Kokon“, dem gefeierten Eröffnungsfilm der Reihe, hat Nina ihre erste Menstruation und verliebt sich in eine Außenseiterin. Von ihrer Schwester Jule wird sie angeblafft: „Hör auf, mit der Bitch zu chillen!“ Die Welt dieser Mädchenclique im Berliner Brennpunkt Kotti ist genauso exotisch, wie die von Amy im Pariser Barbès: In „Mignonnes“ wird die Elfjährige aus dem Senegal zwischen afrikanischer Tradition und modernem französischen Leben zerrissen: Die Mutter bereitet das Ehebett für die zweite Hochzeit des eigenen Mannes, während die Tochter die erste Regel bekommt und mit sexualisierten Tänzen in ihrer Clique um Anerkennung kämpft.
Weitere Filme für größere Kinder fragen, wie geht man mit einer Pubertierenden um, die eine riesige Maschine liebt? Wie verhält sich eine zur Waise gewordene Jugendliche in der kriminellen Stieffamilie? Kann ein Nomadenjunge in der mongolischen Steppe den Kampf seines gestorbenen Vaters fortführen? Die Youngsters in diesen spannenden Streifen mit (meist) offenen Lösungen sind auf der Suche. Sie leben im Übergang und ringen um eigene Identität und Anerkennung ihrer Peer Group. Oft auch humorvoll thematisieren die Filme Straffälligwerden oder andere Brüche gesellschaftlicher Normen. Cineastisch gehört „Generation“ mit zum Besten, was die Berlinale zu bieten hat und wird auch gerne von Erwachsenen besucht. Die Ränder zu anderen Bereichen wie „Panorama“ sind fließend.
Früher war die Sektion zunächst filmästhetisch, später pädagogisch überfrachtet, mittlerweile lehrt sie Kinder und Jugendliche beides: Filme zu sehen und im Kino zu genießen, sich aber auch mit Problemen auseinanderzusetzen, die sie selbst oder Teens in anderen Kulturen haben.
Von der Berlinale werden Besuche ganzer Schulklassen pädagogisch unterstützt. Nach der Kontaktaufnahme können Lehrer in den Pressevorführungen Streifen vorab sehen, die ihnen individuell empfohlen werden. Ein Pädagoge war vom angebotenen „Mignonnes“ so begeistert, dass er mit seiner 7. Klasse kommen will und zur Reflexion ein gemeinsames Video plant. Diesen Film fand auch eine Lehrerin „cool“, die eine Schauspiel-AG leitet und sich dem Thema theatralisch annähern möchte: „Ich will vorher gar nicht so viel interpretieren“, meinte sie, „die Jugendlichen haben immer ganz eigene Sichtweisen auf Filme.“
Die Pädagogen müssen ihr Projekt dokumentieren und darüber einen Bericht schreiben. „Wie in den vergangenen Jahren werden wir etwa 50 Schulprojekte durchführen“, berichtet Mitarbeiterin Bernadette Klausberger. Sie erzählt von der Freude mancher Filmschaffenden, wenn die im Zoo-Palast 800 begeisterte Kids erleben können. „Viele Jugendliche berichten uns, dass sie durch die Schulbesuche mit der Berlinale groß wurden und deshalb immer wieder gerne hierherkommen.“
Foto:
Titel: Die elfjährige Amy (Fathia Youssouf) mit ihrer Tanzclique aus „Mignonnes“
© Jean-Michel Papazian/Bien ou Bien Productions
Text:
Eröffnungsfilm „Kokon“ mit Nina (Lena Urzendowsky) und links ihrer Freundin Romy (Jella Haase, ja, ja, die Chantal aus „Fack ju Göhte“),
© Martin Neumeyer/Jost Hering Filme
Info:
2020 laufen in der Sektion "Generation" 59 Kurz- und Langfilme aus 34 Ländern für Schulkinder (Generation K+) oder Jugendliche (Generation K 14). Regisseurinnen drehten 58 % der Filme. Eine internationale Jury vergibt in beiden Bereichen Geldpreise, je eine Jury aus Kindern oder Jugendlichen gläserne Bären. Die Geldpreise dienen dazu, etwa durch deutsche Untertitel, die Filme der Reihe besser zu vermarkten.
2019 gab es 70.000 Gäste, das waren 20% des Gesamtpublikums.