berl gunda70. Berlinale 2020, zweite Zusammenfassung

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Auf kaum einem anderen deutschen Filmregisseur ruhen wohl so hohe Erwartungen wie auf Christian Petzold. Nicht wenige erhofften sich sicherlich  von seinem jüngsten Werk „Undine“, erster Teil einer Trilogie um literarische Figuren der Romantik, einen Höhepunkt im Wettbewerb der 70. Berlinale.

Davon kann allerdings mitnichten die Rede sein,  die Schwachstellen in den Werken dieses so hoch geschätzten Filmemachers nehmen vielmehr von Mal zu Mal weiter zu. Nachdem Petzold zuletzt den wenig überzeugenden Versuch unternahm, Seghers‘ Roman „Transit“ aus dem Zweiten Weltkrieg in die Gegenwart zu verlegen, verhebt er sich nun diesmal gänzlich mit dem heiklen Versuch, den Mythos einer märchenhaften Figur der Romantik in die Gegenwart zu transportieren.

Seine „Undine“ in Gestalt von Paula Beer hat  mit der Figur in  de la Motte Fouqués Erzählung und  Lortzings daran angelehnte Oper  nur peripher etwas zu tun, wirkt nicht geheimnisvoll und als Museumsführerin nicht wie eine Figur, die erst über eine Heirat eine menschliche Seele erlangen könne. Ihre Amour Fou mit dem Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski), beginnt zwar spektakulär mit dem riesigen Crash eines Aquariums in einem Café, entwickelt sich aber nicht subtil genug, um zu berühren. Alles an dieser Geschichte wirkt nüchtern und konstruiert, keine der Figuren weckt Interesse, der Ausgang der Geschichte erscheint mit zu vielen aufeinander folgenden Schlusseinstellungen nicht ausgegoren, ästhetisch hebt sich das Drama trotz zahlreicher Unterwasseraufnahmen bei alledem kaum von einem durchschnittlichen Fernsehfilm ab.

In dem zusätzlichen Encounters-Wettbewerb habe ich dagegen nach Puius‘ „Malmkrog“ noch einen weiteren bemerkenswerten großartigen Film gesehen: die norwegisch-amerikanische Koproduktion „Gunda“ von Viktor Kossakovsky. Protagonistin dieses Schwarzweißfilms ist eine Schweinedame, der der Filmemacher berührend Raum gibt und zeigt, dass seitens mütterlicher Empfindungen zwischen Mensch und Tier kaum Unterschiede bestehen, es sei denn, man stellt fest, dass sich Gunda eigentlich liebevoller ihrem Nachwuchs widmet als so manche menschlichen Mütter, die sich kaum ihren Kindern widmen.

Jedenfalls sehen wir Gunda dabei zu, wie sie unter schmerzlichem Grunzen Mutter wird und ihre Sprösslinge (ich habe sie nicht gezählt, aber es müssen an die zehn gewesen sein) ernährt und fürsorglich aufzieht.  Wie sie mit den Kleinen die Umgebung erkundet, wie sie es, auch wenn sie allmählich größer werden, immer wieder auf sich nimmt, sie an sich säugen zu lassen, was ihr sichtlich viel Kraft abverlangt, vor allem wenn die goldigen kleinen Purzel alle auf einmal auf ihr herumturnen und um den besten Platz an der Zitze rivalisieren. Jeder Tierfreund wird Mama Gunda und ihre kleinen jedenfalls schnell ins Herz schließen. Zwischen die genauen Beobachtungen ihres Treibens schiebt Kossakovsky Impressionen mit Hühnern und Kühen.

Der Filmemacher hat einen großen Teil seiner Aufnahmen auf  Lebenshöfen eingefangen, also in Schutzräumen, in denen die Tiere nicht wie in herkömmlichen ländlichen Betrieben ausgebeutet werden. Andernfalls würde man ihnen wohl auch kaum dabei zusehen, wie sie ihre Freiheit genießen. Ein paar Hühner sind gerade erst auf einem solchen Gnadenhof angekommen. Kossakovsky zeigt sie dabei, wie sie herausfinden, dass die Türen ihrer Käfige geöffnet sind,  mit fast ungläubigen Blicken ins Freie gelangen. Eines von ihnen stakt nur noch auf einem Bein.

Erst unlängst kam Marc Pierschels deutscher preisgekrönter Dokumentarfilm „Butenland“ über einen Lebenshof in Norddeutschland ins Kino, der Einblicke gibt, wie es auf solchen Höfen zugeht. Die Betreiber sind tierliebe Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, dass „ausrangierte“ Tiere aus landwirtschaftlichen Betrieben, die für die Produktion „nutzlos“ geworden sind, den Rest ihres Lebens ohne Qualen und Ausbeutung in Ruhe verbringen können.

Auch in „Gunda“ sieht man viele glückliche Tiere, Kühe, die voller Freude aus ihren Ställen auf die Weise galoppieren oder eben die kleinen Ferkel, die es genießen, mit der Mama in der Sonne auf der Wiese zu spielen.

Gleichwohl ist „Gunda“ mitnichten ein reiner Wohlfühl-Film. Denn Regisseur Kossakovsky hat eine Mission: Keiner, der den Film gesehen hat, soll danach noch Fleisch essen.

Um die Menschen entsprechend für das Leid und den Lebenswillen der Tiere zu sensibilisieren, braucht es freilich einen traurigen Ausgang. Den schafft der Russe sehr geschickt ohne Impressionen  von Schlachthöfen, aber mit Bildern, die vielleicht noch viel fürchterlicher sind: Am Ende wird die arme Gunda erleben müssen, dass ihre Kinder, die sie so geduldig aufgezogen hat, unter Schreien in einem Bagger weggefahren werden. Die verzweifelte Mutter wird fassungslos das ganze Feld absuchen, im Schlamm nach den Kleinen schnüffeln, nach Spuren suchen, dem Gefährt hinterher laufen und so schmerzlich nach ihnen rufen wie es eine Menschenmutter täte. Stärker ließe sich menschliche Grausamkeit und Perversion kaum ausdrücken. Ein starker Film, dem der Preis im Encounters-Wettbewerb zu wünschen wäre.  Wie sagte doch Kafka: Im Kino gesessen und geweint.

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