70. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3. 2020, WETTBEWERB, Teil 10/18
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Wir begleiten außerhalb von Seoul, richtig auf dem Land mit Hühnern, Gemüsebeeten und Bergen als Aussicht, die junge Gamhee (Kim Minhee), die ihre Freundinnen besucht, nachdem ihr Mann auf Geschäftsreise ist, von dem sie sich in fünf Jahren Ehe keinen einzigen Tag getrennt hatte.
Nein, wird später Regisseur Hong Sangsoo sagen, er habe kein Gegenbild vom rastlosen Leben in den Städten machen wollen. So sieht es aber aus, wenn man die Hektik, den Krach und das unaufhörliche Arbeiten der Koreaner kennt. Und er wird auch weiterführen, daß die erzählte Geschichte sich erst aus dem Anfang entwickelt habe.
Wir verfolgen ein Gespräch, das vor Höflichkeit fast platzt und das dennoch einer ganz bestimmten Gesetzmäßigkeit von Kommunikation folgt. Nimmt man diese nämlich einerseits als Sachklärung im elaborierten Code, so sind dies Gespräche, die Inhalte voranbringen. Doch wie sich die beiden Frauen vorsichtig nach fünf Jahren der Nichtbegegnung einander annähern, dafür hat die Sprachwissenschaft den Begriff des restringierten Codes gewählt, der eine soziale Annäherung bewirken will - und auch kann, wie wir verfolgen.
Das hat für uns seinen Reiz, die wir ja eher mit der Tür ins Haus fallen, als so redundant die Aussagen der anderen als Fragen zurückzugeben oder Aussagen wiederholen. Es tritt eine Langsamkeit ein, die Ruhe vermittelt, was langweilig sein könnte, aber gleichzeitig tritt eine Spannung auf, weil wir dauernd auf etwas warten – was erst einmal überhaupt nicht kommt.
Noch rätselhafter wird die zweite Begegnung. Wir wissen ja nichts, aber diesmal wird im gleichen tastenden Gesprächsverfahren doch nach und nach klar, daß dies ein heikler Besuch sein könnte, denn Gamhee trifft die Frau, die ihre damals den Freund ausgespannt hatte, mit dem sie nun verheiratet ist. Immer wieder läßt sie sich versichern, daß Gamhee ihr nichts nachträgt und glücklich ist, was diese bestätigt und wir ihr alle glauben.
Die dritte Begegnung war nicht geplant. Sie geht ins Kino und trifft auf die Kinobetreiberin Woo-jin (Sae-Byuk Kim). Die Erzählinhalte sind dieselben, aber noch etwas wiederholt sich. Ihr wird ein Apfel geschält, übrigens sehr langsam und mit weitem Ausschneiden dessen, was man als Apfelkrotzen kennt und dann angeboten. Just dieselbe Szene hatten wir beim ersten Besuch. Auch dort wurde der Apfel auf dieselbe Art geschält und zum Aufspießen der Apfelscheiben angeboten.
Aber völlig singulär wurde eine Katzenaufnahme, von der der Regisseur später sagte, so sei sie nicht geplant worden, die aber bei der Vorführung zum Szeneapplaus führte – mit Recht. Ein Nachbar klingelt. Seine Frau fürchtet „Räuberkatzen“ und wagt sich deshalb nicht aus dem Haus. Die Nachbarin aber füttert die herrenlose Katze, die deshalb auch immer wieder kommt. Was er will, ist, daß sie das Füttern läßt. Was sie ganz höflich erwidert – die Sentenzen sind wirklich köstlich in der Mischung aus Höflichkeit und stur bleiben – ist, daß sie die Katze weiter füttern wird. Der Nachbar zieht ab. Die Haustür geht zu. Wie daraufhin die Katze in ihrem Verhalten einen Kommentar zur Szene gibt, ist umwerfend und braucht eine bildliche Darstellung, weil man solche Katzenblicke nicht versprachlichen kann.
Also, die Katze, die verharrte, aber wieso die Frau rennt und welche überhaupt, damit läßt uns der Regisseur alleine. Aber wir meinen doch sowieso alle, daß wir uns aufs Leben unseren eigenen Reim machen sollten, eigene Entscheidungen treffen, ja ein eigenes Leben führen! Da kommen wir mit einem unklaren Filmtitel doch hoffentlich erst recht klar.
Foto:
©
Info:
Regie, Buch
Hong Sangsoo
Darsteller
Kim Minhee (Gamhee)
Seo Younghwa (Youngsoon)
Song Seonmi (Suyoung)
Kim Saebyuk (Woojin)
Lee Eunmi (Youngji)
Kwon Haehyo (Mr. Jung)
Shin Seokho (Katzenmensch)
Ha Seongguk (Junger Poet)