Burhan Qurbani
Berlin (Weltexpresso) - Ich bin mit „Berlin Alexanderplatz“ aufgewachsen. Gar nicht so sehr mit der Serie, die in meinem Geburtsjahr ausgestrahlt wurde und zu der ich erst spät einen Zugang fand. Sondern viel mehr mit dem Buch, das ich zum ersten Mal mit 17 in der Schule für das Abitur lesen musste. Es war eine ganz schreckliche Lektüre in dem Alter, aber danach habe ich den Roman immer wieder gelesen. Die Idee, den Roman zu verfilmen, begann als ein Gedankenexperiment: Das Spiel mit einer Neuinterpretation und Aktualisierung eines Buches, das ich zugleich liebte und hasste.
Zuerst musste ich aber einen narrativen Schlüssel finden, der uns den Zugang zum Roman in die Jetztzeit öffnete. Die Entscheidung, den Film aus der Sicht eines schwarzen Flüchtlings zu erzählen, lag für mich rein räumlich nah: Ich wohnte damals schon einige Jahre am Volkspark Hasenheide und begegnete jeden Tag den zumeist schwarzen Dealern im Park. So wie Franz Biberkopf aus dem Roman, ein Kleinkrimineller und Gelegenheitsarbeiter in den 30iger Jahren, lebten diese Männer in einer Parallelwelt zum bürgerlichen Deutschland. Sie sind an den Rand der Gesellschaft gespült worden. Als ein Kind afghanischer Flüchtlinge kannte ich das Gefühl, hier fremd zu sein und als etwas Fremdes angeschaut zu werden. Das ist ein Gefühl, das sich durch alle meine Arbeiten zieht. Dann sah ich die Möglichkeit, diesen ebenfalls ausgegrenzten und diskreditierten Menschen filmisch ein Gesicht zu geben.
Im Roman wird Franz Biberkopf nach vier Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen. Er hat eine große Schuld auf sich geladen, aber die eigentliche Strafe beginnt erst jetzt. Berlin hat sich rasend schnell verändert. Eine Welt im Umbruch. Franz ist zutiefst verstört und orientierungslos. Ohnmächtig und wortwörtlich impotent. Er beginnt seine Reise als Fremder im eigenen Land.
Zu Beginn unserer Geschichte wird Francis an die Küste Europas gespült. Auch er hat große Schuld auf sich geladen. Auch er ist ein Fremder, gestrandet im fremden Land. Ohne Nation, ohne Sprache und ohne Heimat ist er ohnmächtig, ohne Sicherheit, impotent. Das Meer hat seine Geschichte fortgespült. Nur die Schuld ist ihm geblieben. Er muss seine Würde wiedergewinnen, denn die Würde ist das erste, was dem Menschen genommen wird, auf der Flucht. Er muss eine neue Geschichte für sich schreiben.
Zu Beginn unserer Geschichte wird Francis an die Küste Europas gespült. Auch er hat große Schuld auf sich geladen. Auch er ist ein Fremder, gestrandet im fremden Land. Ohne Nation, ohne Sprache und ohne Heimat ist er ohnmächtig, ohne Sicherheit, impotent. Das Meer hat seine Geschichte fortgespült. Nur die Schuld ist ihm geblieben. Er muss seine Würde wiedergewinnen, denn die Würde ist das erste, was dem Menschen genommen wird, auf der Flucht. Er muss eine neue Geschichte für sich schreiben.
Walter Benjamin sprach im Hinblick auf Döblins Romanfigur Franz Biberkopf von einem Charakter, der aus dem Dreck kommt und die Hybris besitzt, Teil des Bürgertums werden zu wollen: „Es ist ein Hunger nach Schicksal, der ihn [Franz] verzehrt, denn er verlangt mehr vom Leben, als nur ein Bett und ein Butterbrot.“ Es ist dieser Hunger, der den Teufel anzieht und Francis/Franz durch verschiedene Inkarnationen führt, bis er schließlich zerrissen und entleert als ein neuer Mensch wiedergeboren werden kann.
Natürlich konnten wir in der begrenzten Erzählzeit eines Spielfilms nicht das gesamte Spektrum, welches der Roman aufmacht, verarbeiten. Stattdessen haben wir uns an die narrativen Beats des Romans gehalten. Wir setzen einen Rahmen: Die Geschichte von Schuld und Neubeginn. Ein Passionsspiel vom Opfer und der Erlösung. Was uns durch den Film führt, ist der Crimeplot, der auch den Roman strukturiert. Aber was uns anzieht und an der Geschichte packt, ist die seltsame, furchtbar zerstörerische Ménage-à-trois zwischen den Geliebten Franz und Mieze und dem mephistolischen Reinhold. Das ewige Zerren von Liebe und Tod um die menschliche Seele. Wie die drei Teile eines Triptychons. Der Versuch eines filmischen Freskos. Die Themen, die wir bearbeiten sind dabei wie Pigmente, die wir in den frischen Kalkputz einer sich ständig ändernden Welt malen. Der Film ist nur das Tagewerk und als solches wird er morgen schon wieder eine andere Wirkung haben. Es ist ein gefährliches Bild, weil es schwierige Fragen an den Zuschauer stellt – weil Film gefährlich sein muss. Und am Ende steht eine Utopie: die Möglichkeit von Ankommen, von Heimat, - - weil Film vom Unmöglichen träumen darf.
Foto:
Regisseur Burhan Qurbani
© deutschlandfunkkultur.de
Info:
Abdruck aus dem Presseheft
Natürlich konnten wir in der begrenzten Erzählzeit eines Spielfilms nicht das gesamte Spektrum, welches der Roman aufmacht, verarbeiten. Stattdessen haben wir uns an die narrativen Beats des Romans gehalten. Wir setzen einen Rahmen: Die Geschichte von Schuld und Neubeginn. Ein Passionsspiel vom Opfer und der Erlösung. Was uns durch den Film führt, ist der Crimeplot, der auch den Roman strukturiert. Aber was uns anzieht und an der Geschichte packt, ist die seltsame, furchtbar zerstörerische Ménage-à-trois zwischen den Geliebten Franz und Mieze und dem mephistolischen Reinhold. Das ewige Zerren von Liebe und Tod um die menschliche Seele. Wie die drei Teile eines Triptychons. Der Versuch eines filmischen Freskos. Die Themen, die wir bearbeiten sind dabei wie Pigmente, die wir in den frischen Kalkputz einer sich ständig ändernden Welt malen. Der Film ist nur das Tagewerk und als solches wird er morgen schon wieder eine andere Wirkung haben. Es ist ein gefährliches Bild, weil es schwierige Fragen an den Zuschauer stellt – weil Film gefährlich sein muss. Und am Ende steht eine Utopie: die Möglichkeit von Ankommen, von Heimat, - - weil Film vom Unmöglichen träumen darf.
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Regisseur Burhan Qurbani
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