Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Seine Angst, um einige Ecken mit dem NS-Diktator Joseph Goebbels verwandt zu sein, saß tief. Und sie war wohl einer der Gründe, warum sich Christoph Schlingensief an deutscher Geschichte mit einer extremen Drastik abarbeitete. Der satirische Horrorfilm „Das deutsche Kettensägenmassaker“, in dem DDR-Bürger von einer westdeutschen Metzgerfamilie zu Wurst verarbeitet werden, mag beispielhaft dafür stehen.
Oder auch die Installation, mit der Schlingensief das österreichische Bürgertum empörte, als er neben der Wiener Staatsoper einen Container mit Asylbewerbern aufstellte und das Publikum aufforderte zu entscheiden, welche Insassen ausgewiesen werden sollten. Die Autorin und Cutterin Bettina Böhler lässt alle diese Produktionen noch einmal Revue passieren, montiert in ihrer Dokumentation „Schlingensief- In das Schweigen hineinschreien“ Ausschnitte aus Inszenierungen, Interviews, Filmzitaten und privaten Super-8-Filmen aus dem Familienarchiv.
So wie sie in ihrer Montage allerdings auf jeglichen Kommentar verzichtet, wird ihr Film bisweilen selbst zu einer Provokation. Zumal dann, wenn sich Schlingensief in seiner Radikalisierung grenzwertiger Methoden bedient. Sein Aufruf zum Mord an den Politikern Helmut Kohl und Jürgen Möllemann erscheint jedenfalls in Böhlers Filmverschnitt wie ein harter Angriff auf die menschliche Würde.
Böhler schlägt einen großen Bogen um Schlingensiefs gesamte Biografie, von seiner Kindheit bis zum Tod. Sein künstlerisches Erweckungserlebnis hatte der Querkopf im Knabenalter, als sein Vater seine Videofilme von der Familie doppelt belichtete und Szenen, die nichts miteinander zu tun haben, übereinander legte. Diese Technik wurde in Schlingensiefs eigenen Arbeiten zum stilistischen Prinzip. Er stellte Bilder gegeneinander und überblendete sie. Dies auch in seiner Inszenierung von Richard Wagners „Parsifal“, mit der er bei den Bayreuther Festspielen sein Operndebüt gab.
Am Ende seines Lebens litt Schlingensief an Lungenkrebs. Für sein letztes Projekt, das Operndorf Burkina Faso in Westafrika, konnte er 2009 gerade noch den Grundstein legen.
Am Ende seines Lebens überwog im Angesicht von Lungenkrebs aber doch die Todesangst. „Schlingensief- In das Schweigen hineinschreien“ setzt dem Enfant Terrible ein eindrucksvolles filmisches Denkmal.
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© Verleih
Info:
„Schlingensief - in die Welt hineinschreien“ D 2020, 124 Minuten. Regie Bettina Böhler, mit Christoph Schlingensief und vielen seiner Weggefährten und Kritikern
„Schlingensief - in die Welt hineinschreien“ D 2020, 124 Minuten. Regie Bettina Böhler, mit Christoph Schlingensief und vielen seiner Weggefährten und Kritikern