Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Oktober 2020, Teil 19
Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In ihrem Schöne-neue-Welt-Horrorfilm »Work Hard - Play Hard« hat Carmen Losmann 2011 einen schockierenden Blick auf das moderne Personalmanagement geworfen. Jetzt, in ihrem neuen Film »Oeconomia«, geht sie der Frage nach, wie Profite, Wirtschaftswachstum und Vermögenskonzentration entstehen, und kommt zu Resultaten, die viele Zuschauer verblüffen dürften.
Vielleicht ist es ein Vorteil, dass die Filmemacherin keine studierte Ökonomin ist. Denn ihr Interesse für wirtschaftliche Fragen speist sich nicht daraus, dass sie gewisse ökonomische Theorien beweisen oder widerlegen möchte. Stattdessen will sie, gewissermaßen wie ein Detektiv, den Dingen auf den Grund gehen.
Dazu sucht sie den Zugang in die Glaspaläste der Banken und Konzernzentralen. Die Kontaktaufnahmen zu ihren hochrangigen Interviewpartnern hat sie nachgesprochen und in den Film integriert. Es geht um Zeitfenster, die offen stehen, und wenn Losmann zum Zuge kommt, fragt sie freundlich, aber bestimmt beispielsweise die damaligen Chefvolkswirte Peter Praet von der EZB und Michael Heise von der Allianz oder den BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter.
Zwischendurch werden in einer Runde von alternativen Ökonomen, die mitten auf der Zeil eine dem Thema angepasste, neue Monopoly-Version spielen, Konsequenzen und vor allem die Hindernisse für eine »grüne und gerechtere« Wirtschaftsordnung diskutiert. Auf diese theoretischen Nachhilfestunden hätte Losmann ruhig verzichten können, überzeugt doch der Film am meisten durch seinen Einblick in die nach außen verschlossene Finanzwelt, die sich hinter Transparenz vortäuschenden, in Wirklichkeit aber verspiegelten Glasfassaden verbirgt.
Das erstaunliche Ergebnis, das den wenigsten Zuschauern klar gewesen sein dürfte, ist allerdings die enge Verzahnung von Verschuldung mit Profiten. Und das hängt an der Geldschöpfung. Denn neben der Zentralbank, die Geld auf verschiedenen Wegen in Umlauf bringt, schöpft jede Bank mit der Ausgabe von Krediten neues Geld. Und diese Kredite gibt es normalerweise nur, wenn mit dem geliehenen Geld Aussicht auf Gewinne besteht.
»Banker sagen, die Aufgabe einer Bank ist, Einlagen zu sammeln und als Kredit zu vergeben. Das sagen professionelle Leute. Das stimmt nicht. Die Bank braucht kein Geld, um einen Kredit zu vergeben. Sie produziert Geld dadurch, dass sie einen Kredit vergibt.« Das sagt der Ökonom Thomas Mayer, dessen geldpolitische Beiträge in der Sonntagszeitung der FAZ wir schmerzlich vermissen.
So anschaulich wie nur irgend möglich zeigt »Oeconomia«, wie durch eine Kreditaufnahme neues Geld entsteht: einfach mit einer (doppelten) Buchung. Jean-Marc Decressionère, Geschäftsleiter der Freien Gemeinschaftsbank, einer anthroposophischen Bank in der Schweiz, demonstriert dies anhand von zwei Fenstern auf dem Computer-Bildschirm.
Mit jeder Verschuldung entsteht also neues Geld, und wer beispielsweise seinen BMW zum Teil mit der BMW-Bank finanziert, lässt diese auch gleich den Profit mitschöpfen. An dieser wunderbaren Geldvermehrung haben indes die Staaten mit ihrer Verschuldung und die EZB mit ihrem Aufkauf über die Zwischenstation der Privatbanken den Hauptanteil – was im Film, dem es um die Vermögenskonzentration in privater Hand geht, nicht so richtig deutlich wird.
Deutlich wird aber, dass unser Geld zum allergrößten Teil eine Illusion ist, die auf Schulden beruht. Und dass diese Illusion wie alle anderen keinen Bestand haben wird. Auf die Frage, wie weit es noch gutgehe, heißt es im Film, wenn man die Entwicklung mit einem Fußballspiel vergleiche, dann wären wir so etwa in der zweiten Hälfte der zweiten Halbzeit.
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Info:
Oeconomia (Deutschland 2020)
Regie: Carmen Losmann
Verleih: Neue Visionen Filmverleih