Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Total spannend, diesen Film anzuschauen, der von 1970 – ein halbes Jahrhundert! - einem viele Lehren erteilt. Wie man, ohne entdeckt zu werden, für viele Millionen Schmuck und Uhren erbeutet, was man wahrscheinlich am wenigsten gebrauchen kann, und auch, wie man selbst Kugeln für eine ganz bestimmte Gelegenheit gießt, ist für einen selber auch nicht existentiell, daß man aber in einem Film über 20 Minuten ohne ein Wort auskommt und atemlos zuschaut, wie die zwei Bankräuber
von oben übers Dach kommend das Hindernis Fenster von außen überwinden, gelenkig und mit Geistesblitzen sowie der Schießkunst eines Dritten ein Juwelenvermögen einkassieren, kann man dann selbst kaum glauben und schüttelt bewundernd den Kopf.
Was man auch lernt, das ist, daß es einen Film ohne Frauen geben kann, ohne daß einem das so richtig auffällt und man denkt intuitiv an den Klassischen Western, wo das auch so ist, und freut sich später, daß Regisseur Melvillle das genauso so sieht und seine Filme als „in einen französischen Kontext versetzten Western“ sah. Vielleicht sollte man gleich hier hinzufügen, daß Jean-Pierre Melville eigentlich in Paris als Sohn eines elsässischen Juden als Jean-Pierre Grumbach geboren wurde – und den Namen Melville anzunehmen, ist tatsächlich symbolisch auf das US-Amerika orientiert, er nennt sich wirklich nach dem amerikanischen Schriftsteller Herman Melville, der übrigens als Melvill geboren wurde, womit er sich ein wenig französisch machte.
Für uns liegt das Frauenlose am Genre, dem richtig schwarzen Gangsterfilm, einem klassischen Krimi Noir, wo die ‚Liebesbeziehungen‘ zwischen den Männern ablaufen, wobei Sie ‚Liebe‘ sicher richtig verstehen, es geht um Sympathie, Kameradschaft unter Männern und um Abneigung auch.
Haben Sie‘s gesehen? Oder wenn Sie erst schauen, sehen Sie am Anfang genau hin. Das ist ja wie bei Wagner mit seinen Leitmotiven, wie hier Mellville den roten Kreis gleich in der ersten Einstellung zeigt: die rote Ampel, die auf Befehl von Commissaire Mattei (André Bourvil) überfahren wird, damit er mit dem Gefangenen Vogel (Gian Maria Volonté) den Zug erreicht, der ihn ins Gefängnis nach Paris bringen wird. Und auch im zweiten Strang der Filmerzählung, die die feindosierte Hauptfigur Corey (Alain Delon) hier am Billardtisch ins Spiel bringt - beim Aufeinandertreffen beider wird dann die Geschichte vom Roten Kreis daraus -, der vor dem ersten Stoß die Spitze seiner Queue mit einem roten Kreis versieht. Fügen wir gleich die rote Billardkugel und später die rote Rose hinzu, die Corey von einer Animierdame gerade in der Szene erhält, als unmittelbar darauf für den Zuschauer sichtbar, für Corey noch nicht, sein Schicksal besiegelt ist, was, wie wir glauben, viele Zuschauer gar nicht als das Lindenblatt Siegfrieds oder die Ferse des Achilles wahrnehmen. Aber der Film ‚funktioniert‘ auch so.
Denn von Anfang an liegt in der Luft, daß etwas passieren wird, was auch nicht auf sich warten läßt. Wenn der Kommissar den Gefangenen Vogel im Schlafwagenabteil vpn Marseilles nach Paris mit Handfesseln ankettet, ahnt man, was gleich passieren wird. Er befreit sich, wirft sich durch das Fenster nach draußen, Mattei zieht die Handbremse, ruft die nächste Polizeistation an, gibt den Standort durch, zieht einen roten Kreis (!), um weiterzugeben, wo die Polizei- und Verkehrskontrollen stehen soll und nimmt die Verfolgung auf. Spätestens hier merkt der Zuschauer, daß dies nicht naturalistisch ist, denn dann wäre der Flüchtling schon viel weiter weg. So aber verfolgen ganz viele Polizisten in Reihe mit angeketteten Hunden Vogel, der ein gerissener Hund ist, nackt durchs Wasser watet, und auf einen Autobahnparkplatz trifft, wieder angezogen, wo er in den ersten offenen Kofferraum schlüpft. Das hat der wache Corey, der nach Verbüßung seiner Strafe vom Marseiller Gefängnis heim nach Paris fährt, im Restaurant beobachtet und da er im Autoradio von der Flucht Vogels gehört hatte, weiß er, was los ist und reagiert bei den Polizeikontrollen außerordentlich cool. Zuvor hatte Corey seinen alten Kumpel Rico (André Ekyan) um dessen Geld und seine Pistole erleichtert – daß in dessen Bett seine Freundin liegt, fügt eine moralische Rechtfertigung hinzu –, nachdem ihm der Gefängniswärter (Pierre Collet) einen leicht ausraubbaren Juwelier der Luxusklasse (Place Vendome) empfiehlt.
Letzteres ist dann das Zentrum des Films, wobei als entscheidender Dritter im Spiel der wegen Alkoholsucht entlassene Expolizist Jansen (Yves Montand) hinzukommt, der das technische Now How einbringt, wie man die Alarmanlage ausknockt. Unglaublich seine präzisen Schüsse mit den selbst gegossenen Kugeln. Aus dem Einbruch wird eine professionelle Superschau, in der alle Juwelen und Uhren in die Rucksäcke gesteckt werden, was die Überwachungskameras sogar filmt, aber pb der Masken und der Handschuhe der Polizei und Matthei keine Anhaltspunkte für die Täter bietet.
Aber der luxuriöse Glitzer muß ja auch möglichst hoch verscherbelt werden – und da rächt sich, daß Corey sich vor seinen Ex-Kumpel Rico nicht in Acht nahm, Vogel sogar zwei nachgeschickte Emmissionäre,die Corey das Geld und wohl auch das Leben nehmen sollten, so geschickt erschießt, daß die Polizei vom gegenseitigen Todesschuß ausgeht. Wie es dazu kommt,daß dann am Schluß die drei Täter tot im Gras liegen und der Sieger Matthei heißt, bleibt ein spannender Shut-down eines Films, der zeigt, welche guten Filme vor fünfzig Jahren gedreht wurden. Eine gute Entscheidung, den Film wiederzubeleben und mit auf einer wirklich interessanten zweiten DVD Extras nachzuschieben.
P.S.
Das obige Bild im Nachtlokal macht auf ein Versäumnis dieser Besprechung aufmerksam. Denn weder der Nachtklub, der häufig eine Rolle spielt, in dem Anbahnungen stattfinden, Verbrechen besprochen werden, noch der Nachtklubbesitzer, der die entscheidende Rolle bei der Identifizierung und Fassung der drei Täter hat, die im mittleren Foto rechts zu sehen sind, wird in der Besprechung erwähnt.
FORTSETZUNG FOLGT
Fotos:
© Verleih
Info:
Frankreich, 1970
FSK ab 16 freigegeben
Bestellnummer: 10330335
Erscheinungstermin: 10.12.2020
Serie: Arthaus
Thriller, 135 Min.
Regie und Drehbuch: Jean-Pierre Melville
Rolle und Darsteller
Corey Alain Delon
Commissaire Mattei. André Bourvil
Jansen Yves Montand
Vogel Gian Maria Volonté
Santi François Périer
Hehler Paul Crauchet
Gefängnisaufseher Pierre Collet
Rico André Ekyan
Frankreich, 1970
FSK ab 16 freigegeben
Bestellnummer: 10330335
Erscheinungstermin: 10.12.2020
Serie: Arthaus
Thriller, 135 Min.
Regie und Drehbuch: Jean-Pierre Melville
Rolle und Darsteller
Corey Alain Delon
Commissaire Mattei. André Bourvil
Jansen Yves Montand
Vogel Gian Maria Volonté
Santi François Périer
Hehler Paul Crauchet
Gefängnisaufseher Pierre Collet
Rico André Ekyan