Vier im roten Kreis. Nach 50 Jahren die DVDs zum Film und den Hintergründen ab 10. Dezember
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Film beginnt mit einem, vom Zuschauer als buddhistisch wahrgenommenen Vorspann eines gewissen Rama Krischna: Siddharta Gautama,/ der Buddha,// zeichnete mit roter Kreide/ einen Kreis und sagte:/ Wenn es vorherbestimmt ist,/ dass Menschen einander/ wiedersehen sollen,/ was auch immer ihnen geschieht,/ auf welchen Wegen sie auch wandeln,/ am gegebenen Tag werden sie einander/ unvermeidlich „im roten Kreis“ begegnen.//
Man sieht, wenn man sich an all die im Film auftauchenden roten Kreise erinnert, daß Regisseur Jean-Pierre Melville sich hier auf altindische Weisheiten beruft. Erstaunlich, obwohl ja gerade damals, 1966, die Hare Krishna Bewegung gegründet wurde, in Amerika übrigens, auch wenn der Gurus wegen die Anhänger scharenweise nach Indien pilgerten. Melville reagiert also auf seine Zeit. Mitnichten.Besser: Ja und Nein! Rama Krischna ist Melville selber und mit seinem Motto gibt er uns für diesen Film eine sehr tiefgehende Sicht auf das Leben mit. Daß nämlich der Zufall sein System hat, daß Leben unausweichlich ist, wenn man sich auf bestimmte Wege begibt. Nur so lassen sich logisch und psychologisch auch die gehäuften Unwahrscheinlichkeiten im Film erklären, die eben mit Zufall begründet sind, was kein Zuschauer übrigens und kein Filmrezensent wirklich als unwahrscheinlich brandmarken kann. Es sind gehäufte Zufälle, die Melville sich selbst als Motto gibt.
Auf dieser DVD, die als EXTRA ausgewiesen sowohl den schon drei Jahre nach diesem Film aufgrund eines Schlaganfalls jäh verstorbenen 66jährigen Regisseur zu Wort kommen läßt, hauptsächlich in den Worten seines Bruders, und vieler Filmsachverständige seiner Zeit, Regisseure und Filmkritiker, keine Schauspieler übrigens, erst recht keine Schauspielerinnen. Das sind kurzweilige Interviews, die uns nach 50 Jahren Aufschluß geben über eine Zeit, die eben doch schon ein halbes Jahrhundert vorbei ist. Merkt man das? Eigentlich nur am Formwillen des Regisseurs und am Glauben an das Bild, das gut auf Sprache verzichten kann. Denn nicht nur die 20 Minuten des Raubes brauchen keine Worte, die zudem die Überwachungskamera aufgezeichnet hätten, was die Schmuckdiebe wußten, auch in den übrigen Szenen werden wenige Worte gewechselt.
Wenn wir mit eigenen Worten VIER IM ROTEN KREIS als französischen Gangsterfilm klassifizierten, so liegen wir richtig, denn nun wird dieser dem Italo-Western gegenübergestellt, wo wir noch vom Western überhaupt sprachen. Es geht um den großen Coup, es geht um die Verfolgung Geflüchteter, Häftlinge und/oder Verbrecher, es geht um Männerfreundschaften, die einfach gute Kumpels sind, wortlos, aber gestenreich, es geht natürlich auch um Gewalt auf beiden Seiten und das nicht wenig und es geht um Verrat, auch auf beiden Seiten, wie hier im Roten Kreis, wo sich Rico mit dem Kommissar gegen die Schmuckräuber stellt, aber unter den Räubern auch der Ex-Polizist dabei ist, den Matthei erkennt und sagt: „Du?!“
Auf der EXTRA DVD sprechen zwar keine Schauspieler, aber die Experten sprechen über sie und auch darüber, warum Melville sie auf seinen Bildern haben wollte, weshalb er ihr Spiel dem anderer vorzog. Er hatte seine Lieblingsschauspieler, erst arbeitete er bevorzugt mit Jean-Paul Belmondo, dann mit Alain Delon, nur in einem Film mit beiden, die nicht nur Konkurrenten waren, sondern auch nicht nur im Leben, sondern in ihrem Spiel sehr unterschiedlich waren. Dazu gleich. Erst einmal müßte man den Hintergrund von Melville, der sich in den Aussagen über ihn auftut, klären. Denn er hatte vor dem Vier im roten Kreis einen Film gedreht, der sehr teuer und aufwendig war und sein großer cineastischer und auch politischer Erfolg, der größte Film der Nachkriegszeit werden sollte: die Geschichte der Résistance: ‚Armee im Schatten‘ mit Simone Signoret und Lino Ventura, der aber mit 1, 5 Millionen Zuschauern im cinophilen Frankreich im Jahr 1969 kein Hit wurde.
Das hat Gründe, die nicht am Film liegen. Melville bezeichnete sich als Gaullist, sein Film war gaullistisch, im selben Jahr aber dankte de Gaulle ab, mußte gehen. Melville selbst stand politisch rechts, was ihm Auseinandersetzungen mit Belmondo, aber Einverständnis mit Delon brachte. Und dann faszinierte ihn noch etwas an Delon, was man in diesem Film wie unter dem Brennglas erkennen kann. Delon spielt nicht, er stellt nur dar, relativ emotionslos, zurückhaltend, sich zurücknehmend, aber kaum betritt er die Szene, nimmt er den Raum ein und ihn umgibt eine Aura, die sich auch im Kino unmittelbar mitteilt. Darum paßt auch gut, daß er wenige Worte braucht. Dies war die Grundlage der ersten Zusammenarbeit im ‚Der eiskalte Engel‘, der das Gespann Melville+Delon berühmt machte. Später hieß es sogar, daß erst Delon Melville erträglich mache, denn er war bei den Dreharbeiten das ausgleichende Element. Beide seien mutig gewesen und vor nichts Angst gehabt, Melville im Krieg, während sich Delon wie bekannt ist, durchaus in einem gewissen Milieu aufhielt, „einer, der die Knarre neben den Eßtisch niederlegt“. Ja, von magischer Einheit wird über beide gesprochen. Aber auch, daß Delon die Filme noch während der Dreharbeiten gut einschätzen konnte. Ihm habe geholfen, daß er nicht, wie die meisten französischen Schauspieler vom Theater kommt. Zwischen Melville und Corey habe der perfekte Einklang geherrscht. Es wird auch berichtet, daß Alain Delon nach dem plötzlichen Tod von Melville zusammengebrochen sei.
Das ist schon interessant, über die Zusammenarbeit und die Einschätzung der persönlichen Verhältnisse etwas zu hören, von Leuten, die darüber sprechen können, weil sie dabei waren.
Für Melville war Alain Delon als Corey also gesetzt, aber als Mattei hatte er Lino Ventura vorgesehen, Jean-Paul Belmondo als Vogel und Paul Meurisse als Jansen, den dann Ives Montand spielte, den Melville völlig akzeptierte, während Vogel vom Italiener Gian Maria Volonté dargestellt wurde, mit dem sich Melville ständig überwarf, was aber zu schlucken nötig war, denn es ist eine französisch-italienische Ko-Produktion. Überraschend, was die Experten im EXTRA über den Kommissar sagen, der nebst Corey die zweite Hauptfigur darstellt. Denn der ihn darstellende André Bourvil war als Komiker bekannt und beliebt, war ausdrücklich kein Melville-Schauspieler, wurde aber in diesem Film zu einem. Seine Wandlung bewunderte Melville. Bourvil selbst war bei den Dreharbeiten schon krank und starb im September, konnte nie den fertigen Film sehen.
Über den Film selbst ist noch so viel zu sagen, was im Gespräch über den Regisseur auch gesagt wird. Die Eleganz seiner Inszenierung und die sinnlich wahrnehmbare Unterscheidbarkeit seiner handelnden Personen. Nehmen wir den Kommissar Mattei, der ja durchaus als harter Knochen im Polizeidienst daherkommt, der aber als zärtlicher und fürsorglicher dreifacher Katzenbesitzer nach Hause kommt und erst seinen Lieben zu fressen gibt – übrigens in eine elegante, ästhetisch anspruchsvolle Wohnung. Wenn man an die Zeit 1970 denkt, wo in Deutschland der neueste Schlager die grünen und orangefarbenen Badezimmer waren, sind die weißen Badelandschaften schon erstaunlich, die auch in der ebenfalls geschmackvollen Wohnung von Corey mit den graublauen Wänden einen eigentlich erstaunen. Erst recht die Tapete beim Expolizisten Jansen, längsgestreift in Blau, Braun und Grau, die besonders paßt, wenn er im Delirium Amphibien auf sich zukriechen sieht.
Melville zog auch seine Schauspieler gut an, mit Hüten, eben als Herren. Und noch etwas hört man mit großem Interesse. Die Einstellung des Regisseurs zu seiner Arbeit. Melville liebte das Drehbuch schreiben. Dann war der Film für ihn fertig. Er liebte auch, den Film zu schneiden, Das war die zweite Filmfertigstellung. Aber er haßte die Dreharbeiten. Er konnte oft die Kameraleute nicht leiden oder hatte einfach an den Unwägbarkeiten im realen Leben, dem realen Filmleben keinen Spaß, er war Perfektionist, da stören die Aufnahmen, wenn man vorher schon alles im Kopf hat, deshalb gab er auch vor den Szenen noch einmal genau vor, wie er sich alles vorstelle, wer was machen sollte. Und deshalb ließ er seine Filme nachsynchronisieren. Das war mir völlig neu. Zwar sprachen die Schauspieler in den Filmaufnahmen nach Drehbuch, aber Melville liebte Feinheiten, weshalb in der Nachsynchronisation so lange gesprochen wurde, bis es ihm gefiel. KONTROLLE und PERFEKTION sind also die Stichworte, die die Filmarbeit von Melville zusammenfassen, worin er dem Regisseur Stanley Kubrick gleicht.
Fotos:
© Verleih
Info:
Frankreich, 1970
FSK ab 16 freigegeben
Bestellnummer: 10330335
Erscheinungstermin: 10.12.2020
Serie: Arthaus
Thriller, 135 Min.
Regie und Drehbuch: Jean-Pierre Melville
Rolle und Darsteller
Corey Alain Delon
Commissaire Mattei. André Bourvil
Jansen Yves Montand
Vogel Gian Maria Volonté
Santi François Périer
Hehler Paul Crauchet
Gefängnisaufseher Pierre Collet
Rico André Ekyan
Jean-Pierre Melville, Alain Delon, ...Der Regisseur und seine Schauspieler
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- Kategorie: Film & Fernsehen