Serie: Deutscher Buchpreis 2013, Teil 18

 

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In den Interviews im Limpurgsaal des Frankfurter Römer stellte Therézia Mora mehrfach klar, weshalb sie zwei Muttersprachen habe. Im ungarischen Sopron, nahe Österreichs Grenze, 1971 geboren, entstammt sie einer deutschsprachigen Bauernfamilie, die einst von Kroatien nach Ungarn eingewandert sei. Das Deutsche beherrsche sie besser, aber manches könne sie nur auf Ungarisch sagen, weshalb beides zu können, ihr einfach als Privileg gelte.Sie ging 1990 des deutschen Ehemannes wegen nach Berlin und blieb.

 

 

Darius Kopp, der Held ihres zweiten Teils der beabsichtigten Trilogie, hat aus einem dahingleitenden Leben einen jähen Ruck erhalten: seine Frau Flora hat sich umgebracht und er weiß nicht, weshalb. Witwer Kopp, der auf der Reise durch Ost- und Südosteuropa eine Reise zu sich selbst unternimmt, hat als offiziellen Reisegrund, für die Asche seiner Frau in der mitgeführten Urne einen geeigneten Platz auf der Welt zu finden. Mora zeichnet ihn als Lebenskünstler einerseits, der nichts so wirklich ernsthaft anging, nun aber mit dem Selbstmord der eigenen Frau nicht mehr so dahinleben kann, was er im ersten Teil, DER EINZIGE MANN AUF DEM KONTINENT noch durchziehen konnte.

 

Außer der Asche führt er im Auto auch den Laptop seiner Frau mit, in dem er Dateien auf Ungarisch vorfand, die sie ihm hinterließ und die er nun aus dem Ungarischen übersetzen ließ und unterwegs liest. Hier nun, so erklärte die Autorin in den Interviews, sei sie beim Schreiben an eine unüberwindbare Grenze gestoßen, als sie dies in der normalen Schreibform, der hintereinanderherfolgenden Handlung nicht habe wiedergeben können. Deshalb, weil dieser beiden Leben eben nicht nebeneinander verlaufen sei, sondern Darius Kopp das nur geglaubt habe, seine Frau Flora aber in ihrem eigenen Kosmos der tiefen Depression gelebt habe, was erst ihr Art Tagebuch zeige, habe den Strich im Roman erfordert, der von Anfang an alle Seiten in ein Oben: die Romanhandlung und ein Unten: die Aufzeichnungen von Flora unterteilt, was stilistisch herausfordernd ist.

 

Für den Leser bedeutet es nämlich, sich entscheiden zu müssen, was er ab Seite 83 macht: Erst dem 4. Kapitel zu folgen und mit den Ausführungen von Flora unterm Strich anzufangen und dann erst das obere Kapitel 5, zu lesen oder umgekehrt zu verfahren und erst dem Handlungsstrang Kopps zu folgen. Die Leser machen, was sie wollen, meinte Mora dazu, und das sei auch gut so. Sie allerdings mußte als Erstes die Passagen unterm Strich schreiben. Und das, wie sie schnell feststellte, auf Ungarisch. Das habe auch damit zu tun, daß ihre literarische Sprache Deutsch sei, aber die Tagebuchaufzeichnungen der Flora ausdrücken sollten, daß sie nirgends zu Hause war, auch nicht in der Sprache, weshalb die Text viel Aufzählerei enthielten, wie ihre Medikamente, auch Kochrezepte etc.

 

Erst danach und erst, seit sie selbst Floras Dateien aus dem Ungarischen ins Deutsche übersetzt hatte, konnte sie die Geschichte erzählen und so manches vom unteren Teil in den oberen integrieren. Der Leser allerdings nimmt nur wahr, daß sobald der untere Text wiederauftaucht – der obere geht bruchlos weiter – Kopp sich wieder mit den Aufzeichnungen von Mora beschäftigt. Ohne den schwarzen Strich als Ausdruck der Zweiteilung hätte sie also diesen Roman gar nicht schreiben können. Ihr sei es darum gegangen, beim Schreiben den Prozeß des Lesens mit im Auge zu haben, denn der Leser solle sich genauso fühlen wie ihr Held, der jetzt die Aufzeichnungen von Flora liest und weiterliest und feststellt, daß er diese Kranke, seine eigene Frau gar nicht gekannt habe.

 

An der Auswahl ihres Romans zum Buchpreisträger durch die Jury habe ihr besonders gefallen, daß dies einmütig geschehen sei, den ein Konsens sei schon etwas wert. Sie, die sie schon viele Preise erhalten hat, gehe nicht davon aus, daß dies ihr Leben verändere, wohl aber, daß sich das Buch besser verkaufe, was sie auch für den Verlag wünsche, der sie in allem bisher stark unterstützt habe. Ja, sie schreibe mit Absicht über einen Menschen, der nicht zu den Gewinnern zähle, das gäbe mehr her, als das Leben irgendeines erfolgreichen jungen Bankers mitzuerleben. Ob man allerdings diesen Roman als Eheroman, als Unterwegs-Literatur, als Osteuropabuch, als Klärung einer Krankengeschichte bezeichne, sei ihr egal. Das Buch habe von allem etwas, sei also das normale Leben. Literatur habe seit jeher die Aufgabe, den Menschen aus dem Profanen herauszuheben und ihr Ausspruch, daß „hinter jedem Satz sie mit ihrem ganzen Leben stehe“, sei genauso zu verstehen.

 

Es sei falsch, daß sie nicht an ihrer Erfindung, dem Darius Kopp hänge, weil dieser etwas tumb daherkomme. Sie sei eine große Freundin von ihm, der durch seine IT-Vergangenheit leicht unterschätzt werde, der erst auf der Spurensuche auf der Reise nach und nach seine Einfältigkeit ablege und eine neue Seite seines Wesens aufschlagen könne. Wie ihm das gelinge, habe sie im Nachhinein selber überrascht, weshalb sie jetzt etwas ratlos sei, wie es mit ihm im dritten Teil weitergehe, der auf jeden Fall kommt. Nur sei er über ihre ursprüngliche Planung des dritten Teils jetzt schon herausgewachsen, weshalb sie ihr Konzept ändern müsse und ihm Gelegenheit geben müsse, in einem dritten Teil wiederum um Bewußtseinsstufen zu wachsen. Das brauche seine Zeit, aber komme!

 

Inzwischen will sie nicht nur einen Erzählband fertigschreiben und veröffentlichen, sondern vorrangig ihre Vorlesungen ausarbeiten, die sie ab Januar als Frankfurter Poetikvorlesung hier halten wird. Das sind fünf Dienstage, die nicht nur von Studenten besucht werden, sondern traditionell auch von sehr vielen Frankfurter Lesern und berühmte Vorgänger hat. Über ihr Schreiben zu sprechen und zu schreiben, sei nicht einfach, genau dies wolle sie aber aufzeigen, daß sie solange an ihren Texten feilt, „bis es so gut ist, daß ich es nicht mehr besser machen kann.“

 

 

 

 

INFO:

 

Terézia Mora hat sich durchgesetzt gegen: Mirko Bonné (Nie mehr Nacht, Schöffling & Co.), Reinhard Jirgl (Nichts von euch auf Erden, Hanser), Clemens Meyer (Im Stein, S. Fischer), Marion Poschmann (Die Sonnenposition, Suhrkamp) und Monika Zeiner (Die Ordnung der Sterne über Como, Blumenbar).
 
Sie erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro. Der Preisträger wurde in mehreren Auswahlstufen ermittelt. Die sieben Jurymitglieder haben 201 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2012 und dem 11. September 2013 erschienen sind. Aus diesen Romanen wurde eine 20 Titel umfassende Longlist zusammengestellt. Daraus haben die Juroren sechs Titel für die Shortlist gewählt.
 
Mit dem Deutschen Buchpreis 2013 zeichnet die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den besten deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Partner des Deutschen Buchpreises sind Paschen & Companie, die Stiftung der Frankfurter Sparkasse, die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland. Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur übertrugen die Preisverleihung live im Rahmen von „Dokumente und Debatten“ auf den LW 153 und 177 kHz, per Livestream im Internet unter www.deutschlandradio.de sowie im Digitalradio DAB+. Interessierte konnten die Preisverleihung per Video-Livestream unter www.deutscher-buchpreis.de mitverfolgen.
 
Die kostenlose App des Deutschen Buchpreises bietet Lese- und Hörproben aller nominierten Titel der Longlist. Sie ist unter bit.ly/dbp-ios über den iTunes App Store bzw. unter bit.ly/dbp-android über Google Play verfügbar. Exklusive englische Übersetzungen von Leseproben der sechs Shortlist-Titel sowie zu jedem Shortlist-Buch und -Autor ein englischsprachiges Dossier stehen unter www.new-books-in-german.com bereit.
 
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