Ein Film von Niko Apel
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt (Weltexpresso) - Am 4. April 2020 wurde der ehemalige Pariser Studentenführer und Europa-Politiker der Grünen Daniel Cohn-Bendit 75 Jahre alt. Für ihn, der sich eigentlich vor allem als Europäer sieht, war es an der Zeit, einmal darüber nachzudenken, was eigentlich seine jüdische Identität ist, da zwar seine Mutter eine engagierte Jüdin war, sein Vater Erich Cohn-Bendit aber Atheist. Dabei spielt der Filmtitel auf einen Solidaritätsruf während einer Studenten-Demonstration 1968 in Paris an, als Cohn-Bendit aus Frankreich ausgewiesen wurde.
Daniel Cohn-Bendits Eltern waren 1933 nach Frankreich geflohen, dort wurde 1936 sein 9 Jahre älterer Bruder Gabriel geboren, der in Frankreich als Lehrer gearbeitet hat und als Reformpädagoge bekannt geworden ist und der sich nach dem Tod beider Eltern, sich um den noch nicht volljährigen "Dany" gekümmert hat. Gabriel erklärt bei einem Besuch, dass er selbst eigentlich kein Interesse daran hat, Jude zu sein oder sich darüber zu definieren. Diese Aussage steht ganz im Gegensatz zu der ebenfalls interviewten französischen Sängerin Talila (eigentlich Éliane Guteville), die als Tochter polnisch-jüdischer Eltern bewusst jiddische Lieder singt.
Da Cohn-Bendit als Jugendlicher von seiner Mutter in ein Kibbuz nach Israel geschickt worden ist, sucht er anlässlich einer Reise auch in Israel nach seiner jüdischen Identität, obwohl er doch einige Ressentiments gegen den heutigen Staat Israel hat. Sein Begleiter (und auch Dolmetscher) ist der israelische Friedensaktivist Ofer Bronstein.
Dort trifft er Menschen, die ganz unterschiedliche Blicke sowohl auf das Judentum als auch auf den Staat Israel und seine Politik haben. So spricht er z.B. mit der Tochter von Ignaz Bubis, die von Frankfurt nach Israel ausgewandert ist, sich dort wohlfühlt, aber sehr wohl Angst hat, wenn ihre Söhne demnächst zum Militär eingezogen werden, oder auch die Israelin Roba und die Palästinenserin Bushra, die beide Söhne in Kampfhandlungen verloren haben und nun versuchen miteinander Frieden zu schließen.
Cohn-Bendit trifft aber auch auf eine Bewohnerin einer illegalen Siedlung im West-Jordanland, die behauptet, dass in Israel die jüdische Religion identisch mit der Nation sein muss. Er besucht eine ultra-orthodoxe Schule und diskutiert mit den jungen Männern und er spricht mit einer jungen orthodoxen Frau, die erschrocken darüber ist, dass ein Cohn eine Nicht-Jüdin heiraten konnte.
Cohn-Bendit spricht auch mit den äthiopischen Juden, die am Rande der israelischen Gesellschaft leben und Probleme wegen ihrer dunklen Hautfarbe haben und die trotzdem stolz auf ihr Jahrhunderte langes Judentum sind. Der Film zeigt aber auch, wie der Staat mit nicht jüdischen Flüchtlingen umgeht, denn für diese Menschen zeigt sich auch in Israel kaum eine Solidarität.
Cohn-Bendit ist zusammen mit Bronstein auch nach Ost-Jerusalem gefahren und hat dort die Schwierigkeiten erfahren, die den Palästinensern gemacht werden, da ihnen verboten ist, dort zu bauen. Er spricht auch mit einer Rabbinerin, die das orthodoxe Judentum für Frauen verachtend findet, die die jüdische Siedlungspolitik für politisch falsch hält und die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt.
Interessant ist auch das Gespräch mit einem ehemaligem israelischen Admiral, der heute in den militärischen Unternehmungen keine Sicherung der Grenzen Israels mehr sieht, sondern nur noch eine Verschiebung der Grenzen des Staates nach Osten und ein Töten der Feinde.
Insgesamt glauben er und einige seiner Interviewpartner, dass seit dem Tod von Friedensnobelpreisträger Yitzhak Rabin die israelischen Friedensbemühungen nur in einer Serie von Fehlversuchen geendet seien und dass auch der Nationalismus eine Gefahr für den Schmelztiegel Israel sei.
Zum Schluss besuchen er und sein Freund auch noch die Ruinen von Masada, die an den Massenselbstmord im Jahr 73/74 beim Kampf gegen die Römer erinnern. Doch Cohn-Bendit ist hier der Meinung, dass es sinnvoller ist, wie Marek Edelman, ein Kommandeur des Aufstands im Warschauer Ghetto zu handeln, der nach dem verlorenen Ghetto-Aufstand in Polen weitergekämpft hat. Der Widerstandskämpfer ist bekanntlich ein großes Vorbild für Cohn-Bendit.
Für sich selbst musste Cohn-Bendit feststellen, dass er seine eigene jüdische Identität nicht in Israel finden konnte, das mag auch mit seinen eigenen zu hohen Erwartungen zusammen hängen.
Zum Schluss des Films fragt sich Daniel Cohn-Bendit, für welche Identität sich wohl sein Enkel entscheiden wird, das Kind seines Sohnes Bela und einer Frankfurterin mit eritreischen Wurzeln...
Die Dokumentation "Daniel Cohn-Bendit – Wir sind alle deutsche Juden" ist von Regisseur Niko Apel in Französisch gedreht worden, allerdings sind die über den Film gesprochenen Texte von Daniel Cohn-Bendit in Deutsch.
Der Film ist in Deutschland in der französisch-deutschen Originalfassung mit deutschen Untertiteln zu sehen. Er wurde zuerst am 7. Juni 2020 im französischen Fernsehen in der Reihe La case du siècle unter dem Originaltitel "Nous sommes tous juifs allemands" gezeigt.
Cohn-Bendit begibt sich in dem Film auf eine ausgiebige Reise. Doch wenn er am Ende aus Frankreich und Israel nach Frankfurt zurück kommt, hat er immer noch keine Antwort auf die Frage gefunden, was ein Jude eigentlich ausmacht, außer dass er selbst gerne ein Jude in der Diaspora ist und nicht in Israel leben möchte.
Seine deutsche Premiere hatte die Dokumentation am 6. September 2020 im Rahmen der jüdischen Filmtage in Frankfurt am Main. Der Film sollte danach auch noch an anderen Orten gezeigt werden, was dann größtenteils der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist. Es waren aber noch ein paar Termine im Januar 2021 geplant, so dass hoffentlich die Chance besteht, den Film doch noch zu sehen, falls die Kinos im Frühjahr 2021 wieder offen sein sollten.
Unverständlich ist, warum sich in Deutschland kein Fernsehsender entschließen konnte, den Film ins Programm aufzunehmen. Es ist schade, dass man nicht bereit war, die kritischen Äußerungen zu Israel im Fernsehen zu zeigen (das könnte ja im Anschluss in einem Streitgespräch relativiert werden).
Diejenigen, die den Film sehen konnten, waren von ihm begeistert. Dies gilt sowohl für Danys politische Freunde aus der linken Szene als auch von Mitgliedern verschiedener jüdischer Gemeinden. "Daniel Cohn-Bendit – Wir sind alle deutsche Juden" ist ein interessanter und kritischer Film, der unbedingt ein größeres Publikum verdient hat und den man sich, wenn die Möglichkeit besteht, nicht entgehen lassen sollte.
Foto 1: Daniel Cohn-Bendit mit Ofer Bronstein © Siècle Productions
Foto 2: Daniel Cohn-Bendit diskutiert mit orthodoxen Juden in Israel © Siècle Productions
Info:
Daniel Cohn-Bendit – Wir sind alle deutsche Juden (Frankreich 2020)
Originaltitel: Nous sommes tous juifs allemands
Genre: Dokumentation
Filmlänge: 73 Min.
Regie: Niko Apel
Mitwirkende: Daniel Cohn-Bendit u.a.
Verleih: Siècle Productions
FSK: k.A.
Deutsche Premiere am 06.09. 2020 im Rahmen der jüdischen Filmtage in Frankfurt am Main