Jutta Bök
Mainz (Weltexpresso) - Sie spielen einen Pastor, der predigt, auch seine Feinde zu lieben. Als er sich dann mit seiner Familie durch entflohene Sträflinge in Todesgefahr befindet, ist er im Zwiespalt. Was ist reizvoll an dieser Rolle?
Das ist ein Klassiker des Widerspruchs. Wenn wir uns bestimmte Dinge vornehmen und Regeln oder Verhaltensformeln aufstellen, sind wir ja nicht davor geschützt, dass nicht trotzdem genau das Gegenteil passieren kann, wie hier in dieser Ausnahmesituation. Bahnert lässt sich ja nur einmal zur Gewalt hinreißen. Das ist quasi ein Schutzmechanismus. Solche Widersprüche mögen wir Schauspieler immer sehr gern, es bietet die Möglichkeit, etwas anders zu gestalten als normalerweise.
Bahnert predigt, seine Feinde zu lieben? Was halten Sie von dem Prinzip?
Ich halte das Prinzip "Feinde zu Freunden zu machen" für spannend, weil es von unserer größten Fähigkeit genährt wird, in Kooperation zu leben und in irgendeiner Form zu kommunizieren. Diese Fähigkeit finde ich sehr wichtig, aber es gibt natürlich Momente, wo man das nicht mehr einhalten kann und irgendwo Grenzen ziehen muss.
Wie würden Sie Pastor Bahnert charakterisieren?
Er ist überzeugt von dem, was er macht, und das ist in der Regel schon mal eine gute Voraussetzung für seinen Job. Dass er in seiner Lauterkeit manchmal die Familie in Mitleidenschaft zieht und sie bei seinen Versetzungsaktionen mitkommen muss, ist die andere Seite. Manfred Bahnert ist eben kein Mensch, der klein beigibt, Kompromisse macht, sich auf Mauscheleien einlässt oder hierarischen Zwängen unterordnet. Und dass jemand, der in dieser Lauterkeit mit klarer Vorstellung von der Welt lebt, gleichzeitig ein zerrüttetes Familienleben hat, zeigt wiederum, dass da jemand eine gewisse Hartnäckigkeit lebt, die im Widerspruch steht zu dem, was er eigentlich lehrt, nämlich offen und frei zu sein.
Gibt es denn Charakterzüge an Manfred Bahnert, in denen Sie sich selbst wiederfinden können?
Das einzig Ähnliche sehe ich in dieser Hartnäckigkeit – aber nur auf Arbeitssituationen bezogen. Darüber hinaus kann ich ganz gut loslassen, zeige eine gewisse Gelassenheit und Toleranz. Aber ich versuche ohnehin nicht, Parallelen zu meinen Rollen zu finden, sonst neigt man eher dazu, seine eigene Geschichte zu spielen. Ich versuche herauszufinden, was finde ich an diesem Menschen interessant, was erzählt mir seine Geschichte? Das ist für mich als Schauspieler viel spannender als die Figur aus eigenen Quellen zu nähren. Es macht mir mehr Spaß, in die Figur reinzukriechen und zu überlegen, warum handelt sie jetzt so? Ich denke bei Rollen auch nicht in den Kategorien "sympathisch" oder "unsympathisch". Menschliche Verhaltensformen sind viel differenzierter, und wenn ich jemanden wie Bahnert a priori sympathisch spiele, habe ich schon viele Dimensionen eingeengt, und wenn ich ihn unsympathisch spiele, dito.
Durch die Ausnahmesituation der Geiselnahme kommen bei den Bahnerts schwelende Familienkonflikte ans Licht. Sie sind selbst Familienvater – wie gehen Sie mit schwierigen Situationen oder Krisen um? Haben Sie eine bestimmte Strategie?
Die einzige Strategie, die es gibt, ist miteinander zu reden. Entweder man redet ganz ruhig über etwas und versucht zu klären, was einen stört, oder, die andere Variante, man streitet auch mal und lässt Dampf ab. Ein kurzfristiges Eruptieren also. Aber ein Allheilmittel oder eine Formel, die das immer sofort regelt und aus der Welt schafft, gibt es nicht.
"Tödliche Gier" war Ihre erste Zusammenarbeit mit Thorsten Näter. Was zeichnet ihn als Regisseur aus?
Viele Eigenschaften zeichnen Thorsten Näter aus. Zum einen, dass er genau weiß, was er will. Und das gibt einem Schauspieler eine sichere Basis. Zweitens ist er sehr akribisch beim Zuschauen und weiß, wo er einem helfen kann, wenn es mal hakt. Und drittens ist er einfach ein wunderbarer Mensch, der für ein sehr entspanntes und humorvolles Ambiente sorgt, was natürlich eine Spielfreude erzeugt und für die ganze Arbeit förderlich ist.
Gerade bei diesem Film war Humor bei der Arbeit wichtig. Wenn man den ganzen Tag sozusagen in diesem Sumpf der Gefühle und Gedanken steckt, dann ist zwischendurch Lachen etwas ganz Befreiendes, sonst verkrampft man sich irgendwann, bleibt in seiner Kammer des Schreckens und hat keine Differenzierung mehr. Thorsten besitzt eine schöne hohe Form der Selbstironie, die nie auf Kosten anderer geht und für eine leichtere Stimmung sorgte. In dieser Atmosphäre konnte man sich frei fühlen und eine Szene frisch angehen, trotz des ganzen Bedrohungsszenarios.
Fragen an Ann-Kathrin Kramer (Claudia Bahnert)
Was finden Sie besonders interessant an dem Psychothriller "Tödliche Gier"?
Auf eine Familie mit ihren ganz normalen Problemen und Geheimnissen trifft hier durch die Geiselnahme eine brutale Bedrohung von außen. Ich finde es besonders spannend zu sehen, wie das auf diesen Mikrokosmos und eigentlichen Schutzraum wirkt. Da kommen Wahrheiten und Aggressionen ans Tageslicht, und da wird schonungslos auf- und abgerechnet. Es wächst aber dann, nachdem quasi "alle die Hosen runtergelassen haben", auch von innen heraus eine ungeheure Kraft als Familie.
Was für eine Frau ist Claudia Bahnert?
Claudia ist eine langmütige, selbstbewusste Frau. Sie hechelt nicht irgendwelchen Bildern hinterher, wie ein perfektes Frauenleben auszusehen hat. Sie empfindet keine Konkurrenz und muss sich auch ihrem Mann gegenüber nicht behaupten. Dass er die Familie durch sein Engagement immer wieder in Schwierigkeiten bringt, trägt sie mit, denn sie weiß, dass man nicht allen gefallen kann.
Die zum Teil klaustrophobische Enge der Kirchenräume und die ständig präsente Gefahr ist auch für den Zuschauer spürbar. Was war beim Dreh die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war der Sauerstoffmangel. Es waren fast immer alle Schauspieler, plus dem Team, auf kleinstem Raum zusammen. Die Fenster waren abgehängt und fest verschlossen – ich würde sagen, ein Pumakäfig ist nichts dagegen. Heute, nach den Corona-Erfahrungen der letzten Zeit, ist so eine Arbeitssituation gar nicht mehr vorstellbar. Trotzdem war die Stimmung immer gut, und das ist gerade bei so einem Ensemblefilm natürlich sehr wichtig und schön.
Sie standen nicht das erste Mal gemeinsam mit Ihrem Mann Harald Krassnitzer vor der Kamera. Wie gehen Sie damit um? Nehmen Sie Ihre Arbeit quasi mit nach Hause oder schalten Sie dort komplett in den privaten Modus?
Wir arbeiten sehr gern zusammen und müssen dabei auch nicht künstlich zwischen Arbeit und Privatem trennen. Wir sprechen über die Texte, lernen sie manchmal auch zusammen und freuen uns über die intensive gemeinsame Zeit.
Foto:
Pfarrer Manfred Bahnert (Harald Krassnitzer) und seine Frau Claudia (Ann-Kathrin Kramer) geraten in die Gewalt von brutalen Gefängnisausbrechern.
Pfarrer Manfred Bahnert (Harald Krassnitzer, l.) und seine Frau Claudia Bahnert (Ann-Kathrin Kramer, r.) werden vom Gangster Armin Wiesner (Thomas Sarbacher, M.) bedroht.
alle Fotos: ©ZDF/Hans-Joachim Pfeiffer