Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Oktober 2013, Teil 2

 

Romana Reich

 

Berlin (Weltexpresso) – Zum Herbst nehmen die Familienfilme nicht nur zu, sondern fast überhand. Aber, bedeutet nicht Familie den Teil unseres Lebens, der uns am meisten beschäftigt, am meisten belastet, aber auch am meisten erfreut? Was EXIT MARRAKECH vormacht, ein klassisches Gefühlskino, was wir goutierten, machen auch andere Filme nicht schlecht, der erste zeigt, wie schillernd der Begriff Familie sein kann.

 

MEINE KEINE FAMILIE

Natürlich ist das Absicht, daß erst jeder an einen Schreibfehler denkt und im eigenen Kopf daraus: Meine kleine Familie macht. Stimmt aber nicht. Denn eigentlich geht es gar nicht um die Familie, weder die Kleinfamilie mit Vater, Mutter und Kind, noch die Großfamilie mit verschiedenen Generationen und Onkel und Tante dazu, sondern um das mehr oder minder freiwillige Zusammenballen von Menschen, die eine gemeinsame Grundstruktur empfinden und daraus eine Familie machen. Das geht allerdings nie ohne das – meist – väterliche Zentrum, das hier der verrufene österreichische Künstler Otto Muehl ist.

Da hatten wir aus der Vergangenheit allerdings nie den Familienbegriff gehört, sondern er selbst sprach von seiner AAO_Kommune, wobei das Kürzel für Aktionsanalytische Organisation stand, andere sprachen von Sekte, auf jeden Fall büßte Otto Muehl dadurch nicht nur seine Reputation ein, sondern wurde wegen Mißbrauchs u.a. auch zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Das war 1970, als Muehl, der als Aktionskünstler bezeichnet wird, seine Kommune gründete, damals die größte und sicher muß man auch dieser Einrichtung – das schreiben wir wegen der fehlgeleiteten Päderastiedebatte zur Partei der Grünen im Wahlkampf - bei allem berechtigten Abscheu, als einen Versuch werten, aus der konstatierten Kaputtheit von Kleinfamilien hin zu einer befreienden Organisation von Menschen zu gelangen. Es waren also reichianische Inspirationen, die Otto Muehl antrieben, die ihn aber zu autoritären und menschenverachtenden Strukturen und Verhalten führten.

Daß Otto Muehl im Mai 2013 sterben würde, konnte der Filmemacher Paul-Julien Robert nicht wissen, der seinen Film 2012 fertigstellte, der heute in die Kinos kommt. Er ist Ideengeber, Drehbuchautor und Regisseur in einem und dazu besonders prädestiniert, weil er eines der Kinder in der Kommune des Otto Muehl war. Der Film spürt dieser Kindheit unter solchen Bedingungen nach. Da sieht in Filmaufnahmen aus dem Jahr 1978 – die Kommune im Burgenland gab es seit 1972 und sie filmte sich permanent, weshalb es sehr viele originale Filmaufnahmen gibt - man zwei kleine Kinder. Kleine Kinder sind immer süß, erst recht, wenn sie das dürfen, was Kinder so gerne tun: sie sitzen in Eimern und dürfen sich mit Shampoo beschmieren. Lustvoll natürlich, wie die hinter ihnen sitzenden Kommunemitglieder wahrnehmen und zufrieden sind. Das eine Kind ist Paul-Julien, den wir später im Film sehen als denjenigen, der auf der Suche nach seinem Vater ist.

 

Denn die festgelegten Strukturen einer Zweierbeziehung aufzubrechen, was Movens dieser Kommune, wozu eben gehörte, daß in der Diktatur der Selbstbefreiung die hundertfach zählenden Erwachsenen alle für die rund 80 Kinder zuständig waren. Nicht ganz richtig, denn die Mutter blieb die Mutter. Die Mutter des Paul-Julien allerdings kann ihm bei der Vatersuche nicht abschließend helfen und zeigt bei ihrer Befragung durch ihren Sohn eine erstaunliche Unkenntnis der Gefühle, die ihr Sohn damals, aber auch heute hat. Natürlich fällt einem heute sofort der Gen-Test ein, wenn man die richtig liebevollen Befragungen von potentiellen Kommunevätern durch den Regisseur verfolgt, die zu keinem Ergebnis kommen.

 

Wie Paul-Julien Robert insgesamt in diesem Film mit seiner Kindheit, Jugend, der Kommune umgeht, nötigt einem Respekt ab. Er inszeniert sich und andere nicht als die zutiefst beschädigten Opfer – sicher gab es die, wie sie es auch in anderen 'Familien' gibt, sondern fragt sich und andere. Denn es ist wie in jeder Familie, gerade autoritäre Väter können zu angepaßten oder zu aufmüpfigen Kindern werden. Oder zu denen, die nachfragen und einfach wissen wollen, woher sie kommen.