AXEL RANISCH war zur Vorstellung seines neuen Films im Deutschen Filmmuseum Frankfurt

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es war ein sehr angenehmes und spätes Sonntagabendvergnügen, im Kino des Deutschen Filmmuseums noch vor dem Anlaufen von ICH FÜHL MICH DISCO am 31. Oktober den Film zu sehen und die Diskussion zwischen Regisseur Axel Ranisch und seinem Moderator zu verfolgen. Der Film mache glücklich, wird gesagt. Das will der Autor und Filmschaffende gar nicht.

 

Es war Ulrich Sonnenschein, der nach der beklatschten Filmvorführung als erstes darauf verwies, daß eine der leicht abwesenden Hauptfiguren des Films, der uns zuvor nicht bekannte Christian Schleiffen – was wir im Nachhinein uns gar nicht selber glauben mögen, ist aber so – im Schlachthof Wiesbaden in den nächsten Tagen auftritt und ein Jubel der Begeisterung den schönen roten Filmsaal des Kinos ergriff. Und der als Zweites ansprach, was auch auf dem Flyer zum Film steht, daß dieser Film glücklich mache. Damit konnte Axel Ranisch wenig anfangen,er möchte, daß seine Filme grundsätzlich den Zuschauern Mut machen. Mut nämlich, in ihrem Leben anzupacken, sowohl Müll zu beseitigen, auch Seelenmüll, aber auch Neuem gegenüber aufgeschlossen zu sein, wie es seiner Vorbildfamilie Herbst gar nicht anders übrig bleibt.

 

Dort gibt es den fetten Papa Hanno Herbst (Heiko Pinkowski), der als Turmspringtrainer das Erziehen und Besserwissen zum Prinzip lebt, die spindeldürre, aber lebenslustige Mama Monika (Christina Grosse) und den symbiotisch mit der Mutter verbundenen dicken Sohn Florian (Frithjof Gawenda), kreuzunglücklich in der schwierigsten Zeit des Lebens: der Pubertät, wobei ihm der Spruch an seiner Wand DICKE KINDER SIND SCHWER ZU KIDNAPPEN auch nicht hilft. Uns Zuschauern hilft aber Axel Ranisch dadurch immer wieder auf die Sprünge, denn sein Film ist alles auf einmal: das wirkliche Leben, vor allem im Plattenbau in Berlin Lichtenberg, die Sehnsüchte von Jugendlichen wie die von Erwachsenen, die Tragik des Lebens wie auch die komischen Seiten, die aus jedem Unglück auch noch rauszuschlagen sind, eine zu Herz gehende Gefühlsseligkeit, die man mit Kitsch nicht verwechseln darf, denn, wenn sich Axel Ranisch auch mit allem möglichen seinen Spaß macht: mit den Gefühlen seiner Filmfiguren nicht.

 

So wollen wir über die Handlung auch erst einmal nur sagen, daß ein schlimmes Unglück die Mutter trifft, darob die Familie kreuzunglücklich wird und der nichtverstehende Vater knochenhart auf den, die Vatertöne nicht hörenden Sohn trifft. Und umgekehrt. Wenn da nicht einerseits Florians und Monikas Schlageridol Christian Steiffen vom Plakat ins die Wirklichkeit träte – das sind absolut surreale Momente - und auch den Vater zu Gefühlen bekehren kann, was ebenfalls als Sexualtherapeut Rosa von Praunheim tut, urkomisch, denn auch er kann aus dem TV- Bildschirm heraus lebendig werden, wie es überhaupt die Regiekunst des jungen Ranisch ist, sich Sinnliches und Übersinnliches verfügbar zu halten, denn im Leben bestimmt die Phantasie mindestens ebenso die Möglichkeiten von Menschen wie die ebenfalls knochenharten Fakten.

 

Wirklich ein vergnüglicher Abend, wenn der mindestens vollschlanke Axel Ranisch, selber in Berlin Lichtenberg geboren und den Film als Hommage an seine Heimat und eigene Familie verstehend – der Vater war auch Turmspringtrainer! und die Mutter ebenfalls Trainerin, beide völlig schlank, als aber Axel als drittes Kind heranwuchs, wurden mit ihm auch die rund 40jährigen Eltern dick, worüber er seit jeher ein schlechtes Gewissen mit sich herumschleppt – aus dem Nähkästchen plaudert, wie das war, wenn ein Unbedarfter da auf einmal Film studieren wollte. Bei Rosa von Praunheim gab es noch Platz, allerdings hielt er diese für eine Frau. Gelernt hat er bei ihm eine Menge. „Mach einen Film darüber, womit Du Dich auskennst“, hatte dieser grundsätzlich seinen Studenten empfohlen und genau dies setzte Axel Ranisch um. DICKE MÄDCHEN war sein erster Erfolg und ICH FÜHL MICH DISCO ist sein zweiter langer Spielfilm, der – da sind wir uns ganz sicher – ein Erfolg wird. Daß Teile des Films seinen Knabenerfahrungen entspringen, er aber nicht Florian ist, das versteht sich von selber, daß der Film voll der schönsten Klaviermusik von Sergej Rachmaninov ist, eher nicht, bis einem Ranisch erzählt, daß ihn diese in der Jugend rettete.

 

Ranischs Film hat überhaupt nichts zu tun mit dem Genre Deutsche Komödie a la Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer und ist – Entschuldigung, lieber Rosa von Praunheim – als Film gelungener als alles, was wir von ihm oder anderen, die sinnliche Filme machen wollten, sahen. Da paßt auch Helge Schneider nicht oder andere Namen. Auch die Berliner Schule ist so in etwa das Gegenteil von dieser Art, das Leben in einen Film zu bannen. Uns scheint, daß wir hier ein ganz neues Genre für Deutschland konstatieren können, wozu paßt, daß Ranisch selbstbewußt mit Schauspieler Heiko Pinkowski und Kameramann Dennis Paul die Produktionsfirma SEHR GUTE FILME gegründet hat.

 

Was so leicht auf der Leinwand daherkommt, ist hart erarbeitet worden und so sieht sich Axel Ranisch auch als einen, der sehr fleißig ist. Über vier Jahre hat er für diesen Film gebraucht. Er arbeitet nicht an den Drehbüchern, sondern er arbeitet mit den Schauspielern. Diese werden mit ihren Filmfiguren so vertraut, daß sie sich in ihnen selbstverständlich bewegen und reden. Diesen Identifikationsprozeß erleichtert eine Besonderheit, die aus ökonomischen-logistischen Gründen quer zum Filmgeschäft steht: Ranisch dreht den Film vom Anfang zum Ende kontinuierlich hintereinander. Jeden Tag werden die Aufnahmen ausgewertet und mit den Schauspielern angeschaut und ausgewertet. Und wenn die Schauspieler so mit den Geschichten ihrer Figuren vollgepumpt sind, „dann können sie gar nichts Falsches mehr sagen“, weil ihnen Ranisch wirklich den spontanen Text überläßt, nachdem er die Handlung vorstrukturiert hatte.

 

In ICH FÜHL MCIH DISCO geht dies auf und wir werden beim Anlaufen am 31. Oktober mehr zum Film bringen. Wie gesagt, ein vergnüglicher und sehr lehrreicher Abend, zudem das Gefühl von etwas Neuem, wo doch in der Welt schon alles gesagt ist.

 

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