Serie: Schweizer Buchpreis und BuchBasel 2013, Teil 7/8

 

Claudia Schulmerich

 

Basel (Weltexpresso) – Der fünfte Roman ist derjenige der einzigen ausgewählten Autorin und handelt von Gefühlen, die der Tod verletzt und zwar derart stark, daß in Frage steht, ob die Trauernde die Wirklichkeit wieder erreicht oder in ihrerTrauer versinkt. Daß es um Mann und Frau geht und um etwas Dazwischen, ist nicht wichtig, nur der äußere Schein, der inneren Gefühlswelt.

 

 

Immeer

 

Der Name Henriette Vásárhelyi sagte uns gar nichts. Auf dem hinteren Umschlag schaut uns eine wache Frau mit Kurzhaarfrisur entgegen und es heißt, daß sie 1977 in Ostberlin geboren und in Mecklenburg aufgewachsen sei, IT-Systemkauffrau sei und in Leipzig Literatur studiert habe. Da haben wir schon mal Respekt. Wegen des IT. Derzeit macht sie ein Masterstudium an der Hochschule der Künste in Bern und lebt mit Familie in Biel. Da machen wir uns schon gleich einen Roman daraus, denn daß sind viele funkelnde Steine, die da im Weg, im Lebensweg liegen.

 

Ja, das Buch. Es muß einen rühren, wenn eine junge Frau, hier heißt sie noch dazu EVA ihren Geliebten, Lebenspartner und besten Freund verliert, der aus gutem Grund nicht ADAM, sondern Jan heißt. Jan ist tot, an dem Krebs gestorben, den beide die Jahre bekämpft hatten, im Bund mit Heiner, denn die drei machten eine WG aus. Die Autorin erzählt nun auf zwei ebenen vom Geschehen. Das eine ist die Handlung nach dem Tod, die Trauer, die sie auffrißt und unfähig macht, Leben zu leben, so daß sie nur irgendwie existiert, immer aber von der Umwelt recht liebevoll aufgerichtet. Das andere sind – in anderem Schriftbild und kleiner – ihre Assoziationen,Erinnerungen und Bilder, fetzenhaft manchmal, als Handlungsstrang ein andermal - die sie an Jan und das gemeinsame Leben mit ihm durchfluten, ihren Kopf, ihr Herz, ihren gesamten Körper.

 

Das ist so nicht richtig. Denn in diesen kleiner gedruckten Passagen verstecken sich auch ihre Gedanken über sich selbst. Es ist eine Art innerer Monolog, der nur in Jan, dem lebendigen Jan sein Ziel und seine Erfüllung findet, aber durch all die anderen Gedanken deutlich macht, daß sich Eva in sich selbst einspinnt, sich verpuppt. Daß sie dort herausfindet, hat sie zum einen dem liebevollen Umfeld zu verdanken, vor allem aber der Tatsache, daß sie nicht aufhören kann, Jans mobile Telefonnummer zu wählen. Auf einmal ist jemand dran: Monn heißt er und daß dies kein Zufall ist, sondern alles mit allem zusammenhängt, hat wiederum mit Heiner zu tun, der dritte im Bunde der WG und so Freund, wie Konkurrent im Geschehen. Davon gleich mehr.

 

Evas Reaktionen sind die einer Trauernden. Insofern ist es fast ein klinisches Bild, wenn ihr widersprüchliches Verhalten beschrieben wird, wie sie die Eltern Jans auffordert, dessen Sachen zu holen und dann nicht öffnet, wenn sie vor der Tür stehen, wie sie andauernd alles aus und wiedereinpackt, wie eben ein Mensch, der nicht mehr in seinem eigenen Haus zu Hause ist. Es gibt sehr viel schöne Bilder, die beim Lesen auftauchen, aber es gibt bei aller Zurückhaltung der Autorin eben auch so manches, was aus der Trauerliteratur bekannt ist.

 

Ein Hammer sind dann die Sätze über den Konkurrenten Heiner, mit dem Eva sich wohl früher biblisch erkannte und auch jetzt eine Nacht verbringt: „Das behalten wir einfach für uns“, sagt er. „Ja“, beruhige ich ihn. „Hast Du eine Freundin?“ Und als er zurückfragt, weiß sie, daß sie sich auf Monn einlassen wird. In aller Ruhe. Als Jans Vater allerdings ihre Trauer damit begründet: „Ihr wart lange zusammen.“, kommt trotz der Warnung von Heiner von Eva: „Nein, wir waren kein Paar“, sage ich. „Jan war homosexuell.“, was Heiner dann nicht so gerne bejaht, sich als Jans Freund aber nicht zeigen will, weshalb alles im Raum stehen gelassen wird. Darum hat diese Eva auch keinen Adam und hat trotzdem den ihr nahestehendsten Menschen verloren.

 

Erst am Schluß hat uns das zur Trauer der Eva zurückgeführt. Den Geliebten, den Ehemann, den Lebenspartner durch Tod früh zu verlieren, gehört zu den bekannten Sujets der Literatur. Aber auch ohne sexuelle Inbesitznahme durch den Tod des Freundes, den man lieben kann, auch ohne erotische Erfüllung, durch den Tod so aus der Bahn geworfen zu werden, also auch so starker Gefühle für einen anderen als den herkömmlichen Geliebten fähig zu sein und durch den dessen Tod den eigenen Boden unter den Füssen zu verlieren, das hat in unseren Augen diesen Roman erst zu besonderer Aussagekraft gebracht. Und darum sind auch die Annäherungen von und an Monn, die ja unmittelbar mit dieser Trauer beginnen, ein Weg nach vorne, der einem sonst etwas schnell erschiene, den man aber nach diesem Außersichsein der Protagonistin so richtig wünscht.

 

Ach so, die Geschichte spielt in Berlin, aber immer wieder auch am Meer, das den Anfang und den Schluß bildet, so wie die Gezeiten das Leben der Menschen bestimmen. Manchmal ist der Stand im Meer, manchmal außerhalb. Es wird gegeben und genommen. Die Geschichte selbst aber findet sich in den Menschen selbst. Darum sind die Orte letztlich völlig egal, das ewigwährende Meer ist aber für den Fluß des Lebens immer eine Metapher wert.

 

 

immeer, Henriette Vásárhelyi, Dörlemann Verlag

 

 

INFO:

 

Die ganze Vielfalt der Basler Literatur- und Verlagsszene können Sie am Freitag an der dritten Basler Buchnacht erleben. Bis 22 Uhr sind die Läden geöffnet, und an 15 Orten erwartet Sie ein abwechslungsreiches Programm:

BuchBasel – vom 24. Oktober bis 27. Oktober 2013!

 

LiteraturBasel betreibt das Literaturhaus Basel, das internationale Buch- und Literaturfestival BuchBasel und richtet in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV den Schweizer Buchpreis aus. Informationen über die einzelnen Aktivitäten finden Sie unter

 

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