Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 31. Oktober 2013, Teil 2

 

Romana Reich

 

Berlin (Weltexpresso) – Im Kino sind wir gewohnt, wie auch ansonsten im Leben, die unterschiedlichen Erscheinungen von Dingen in Kategorien zu unterteilen. Anders geht es gar nicht, will man im Gespräch miteinander von vorneherein die Richtung angeben und sich nicht endlos mit Beschreibungen aufhalten. Im Kino gibt’s also die Genres, aber für diesen Film haben wir kein passendes gefunden.

 

 

ICH FÜHL MICH DISCO

Ach so, Genres hätten die Funktion von Schubladen, weshalb manche Filme in ihnen verschwinden? Einverstanden, Schubladen sind deshalb von übel, weil sie meistens zu sind, manche sogar verschlossen, so daß das in die Schubladestecken gleichbedeutend mit dem Wegsein eines Dings, eines Films ist. Aber nein, um Schubladen geht es nicht, sondern um das die Suche nach dem passenden Genre für ICH FÜHL MICH DISCO. Inhaltlich ist es ein Film über eine Familie, aber Familienfilm ist überhaupt kein Genre. Melodram wäre eins, Doku-Drama auch, unter Komödie möchten wir ihn nicht stecken und so müssen wir dann doch die vom Regisseur Axel Ranisch nicht gewünschte, aber absolut neue Kategorie für seinen Film einführen: MACHT GLÜCKLICH!

 

Glück ist individuell und vermittelt sich nicht über eine Filmrezension. Von daher müssen Sie schon selber schauen. Aber den Inhalt bringen wir Ihnen gerne. Kurz gefaßt wäre dies: ICH FÜHL MICH DISCO ist eine Filmerzählung, in der der Sohn Florian aus der Plattensiedlung im Osten Berlins die Hauptrolle spielt. Dieser recht dicke Pubertierende lebt in einer Symbiose mit seiner Mutter, deren Höhepunkt gemeinsames Singen und Tanzen a la Disco ist, was herrlich ausgespielt wird, denn die beiden machen verkleidet etwas her, lassen emotional 'die Sau' raus und wühlen sich geradezu in die Schlager ein, was komisch wird, wenn sie gemeinsam vom „Ja, ich sehne mich so sehr nach Sexualverkehr“ singen und die bravste Familienaufstellung sind, die sich denken läßt. Ohne den Vater. Denn dieser bringt, als er mit seiner Frau zur Sache gehen will, sie ihm aber stattdessen ihre Sorgen um den Jungen mitteilt, nur noch heraus, daß ihm lieber wäre, sie wäre mehr Monika, als dauernd Mutti des Jungen.

 

Wie man schnell merkt, ist Mutter Monika emotionales Kraftzentrum der Familie und damit Bindeglied zwischen ihren beiden Männern. Plötzlich – wir werden Zeuge, wie schnell so etwas geht – ereilt sie ein Schlaganfall und aufgrund der zu langen fehlenden Durchblutung des Gehirns wird sie nicht mehr aufwachen, liegt also im Koma. Gerade die Krankenhausszenen sind es, die Regisseur Axel Ranisch zu den komischsten und gefühlvollsten werden läßt, wobei ihm grundsätzlich unserer Meinung und unserem Gefühl nach ein kleines Wunder gelingt: bei aller Rührung, die einen angesichts dieser Figuren und ihrer Geschichte immer wieder überfällt, fühlt man sich nie überfallen von Gefühlen und hat nie, nie, nie eine Assoziation mit Kitsch.

 

Ins Krankenzimmer bringt Florian nun seiner Mutter, der halbtot oder kreuzlebendig Christina Große immer – und das großartig - die entsprechende Gestalt und Gestik gibt die gemeinsame Grundlage mit: die Discokugel, unter deren bunten Strahlen die beiden vor sich hinträumten oder tanzten und sangen und all die Kissen und Stoffe, die nötig sind, um aus einer bürgerlichen Wohnung eine wärmende Disco zu machen, was in einem kalten Krankenzimmer noch stärker aufwärmt. Das ist aber nur das eine. Der Kunstgriff macht es möglich, daß sich das Zwiegespräch des Jungen mit der Mutter auch auf der Leinwand ereignet, diese sich aufsetzt, ihren Jungen tröstet, Kommentare verteilt und weiterhin mitmischt, während der Vater die Trauerphase erst tief auslebt, ihm dann aber klar wird, daß er in der Verantwortung als Vater für den Sohn etwas tun muß und umsteuert.

 

Allerdings hat er aus der Anfangsszene nichts gelernt. Denn da wollte er dem Jungen seinen Motorroller schenken, der aber demolierte beim ersten Fahren gleich das Auto des Vaters und hätte statt dessen lieber ein Klavier bekommen. Hanno ist Turmspringtrainer und sein dicker Junge soll endlich Sport machen und wir Nichturmspringer können ihm nachfühlen, welche Angst er hat, von dort oben nach unten zu fallen.

 

Durch das Springen lernt er aber den Meisterschüler seines Vaters kennen, einen schmalen durchtriebenen Jungen aus Rumänien, den Robert Alexander Baer mit einer charmanten wie spröden, großmäuligen wie sensitiven Nonchalance spielt, das es eine Freude ist und man verstehen kann, daß sich Florian in ihn verliebt, der mit allen tändelt, eben auch mit Mädchen. Höchste Zeit, darauf hinzuweisen, daß es wirklich die Schauspieler sind, die diesen Film tragen. Der Vater, Heiko Pinkowski, kommt einem vor, wie der Vater in O.E.Plauens VATER UND SOHN, wer das noch kennt: die Geste des Draufhauens, aber dann das leise Abdrehen und das Gegenteil machen. Florian hat mit Frithjof Gawenda eine ideale Verkörperung, so daß man dauernd Gefahr läuft, den Schauspieler für den echten Florian zu halten, der ja doch zum Teil der Regisseur Axel Ranisch selber ist, der zu seinem Film sagt: ICH FÜHL MICH DISCO ist eine große Liebeserklärung: An meine Jugend, an meine Heimat Lichtenberg und an meinen Papa.

Und keine Sorge, Mama, du kommst auch noch dran!“

 

Darauf freuen wir uns schon heute.

 

P.S. Daß die Familien-, Lebens- und Sinnkrise für Vater Hanno und Sohn Florian so gut ausgehen, können Schlagersänger Christian Steiffen und Sexualtherapeut Rosa von Praunheim für sich verbuchen. Wie sie das machen, sprengt jeden Text, darum noch einmal: selber sehen!