Lida Bach

„Manchmal können wir unsere eigene Geschichte nicht erzählen.“ Manchmal müssen es andere für die Verstummten tun, sei ihr Schweigen Absicht, Zufall oder Zwang. Unbeirrbare Journalisten wie Julia Jarmond (Kristen Scott-Thomas) und mutige Regisseure wie Gilles Paquet-Brenner, der mit dem von der amerikanischen-französischen Hauptfigur sich selbst und sein historisches Melodrama verbrämt. „Wenn eine Geschichte nie erzählt wird, wird sie etwas anderes.“, weiß die alternde Gattin des erfolgreichen Geschäftsmanns Bertrand Tezac (Frédéric Pierrot). „Vergessen“ Ein Monument wider dieses behauptet Pauqet-Brenners Romanverfilmung, die aus der Gegenwart durch Julias Augen auf die Razzia des Vel d´Hiv und die Judenverfolgung blickt. Doch die Patina historischer Relevanz ist dünn auf dem schwülstigen Selbstfindungsdrama einer sich vernachlässigt fühlenden Oberschichtgattin, die das Ticken der biologischen Uhr dem Gespenst eines verfolgten und verschleppten Kindes hinterher jagen lässt.

 

Erklärt Julia das kommerzielle Potential des „Features“, dass sie parallel zum Filmplot für ihr Magazin ausarbeitet: „Leser lieben Geschichte. Und über die hier wissen die meisten nichts. Guckt euch die an.“ Die Kamera blickt vorwurfsvoll ins Publikum, doch „die“ sind zwei Jungmitarbeiter, die als Stichwortgeber fungieren: „Vel d´Hiv? Was ist da passiert?“ Die Verrufenheit des Stadions, in dem rund 13.000 Juden vor ihrer Deportation 1942 eingepfercht wurden, dient der Spannungssteigerung und zur Evokation  historischer Schuld, von der nur die gebürtige New Yorkerin frei ist. Doch nicht die unbequeme Frage nach kollektiver Duldung himmelschreienden Unrechts ist Ziel des Plots, sondern sich „von Statistiken zu lösen und jedem Schicksal ein eigenes Gesicht zu geben.“ Jenes Gesicht ist das der kindlichen Titelfigur (Melusine Mayance), die ihren kleinen Bruder bei der Ankunft der Polizei in einem Wandschrank einsperrt.

„Was hast Du getan!“, ruft ihr Vater, dem Sarahs sinnwidrige Tat unbegreiflich scheint wie sie und mit ihr die Protagonistin dem Publikum bleibt. Das Vel d´Hiv, das Lager und das Versteck bei einem Bauernpaar sind hektische Stationen auf dem Weg zurück zu Michel, den Sarah befreien will. Der Schrankschlüssel, den Sarah eisern umklammert hält, fällt nach Jahrzehnten dem rechten Besitzer in die Hände – dank Julias Einsatz. „Weil es das Richtige ist.“, antwortet sie gefragt, warum sie all dies tue. Richtig sei auch, dass sie beider Baby gegen den Wunsch ihres Mannes behalte; „Ein Wunder“, das Julia Sarah nennt. „Die Beschäftigung mit diesem Thema übersteht man nicht unbeschadet.“, sagt ein Historiker in einer Szene. Dies gilt auch für jene, die das larmoyante Melodram und dessen Prätention im Kino mit ansehen.

Oneline: Der Gleichgültigkeit einen Namen geben.

Titel: Mein Name ist Sarah – Sarah´s Key Land/ Jahr: Frankreich 2010 Laufzeit: 104 Min. Regie: Gilles Paquet-Brenner Drehbuch: Serge Joncourt, Gilles Paquet-Brenner Kamera: Pascal Ridao Schnitt: Herve Schneid Musik: Max Richter Darsteller: Kristin Scott Thomas, Mélusine Mayance, Niels Arestrup, Frédéric Pierrot, Michel Duchaussoy, Dominique Frot, Natasha Mashkevich, Gisèle Casadesus, Aidan Quinn Verleih: Camino Filmverleih Kinostart: 15. Dezember 2011