cumberSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Juli 2021 Teil 8

Redaktion

London  (Weltexpresso) - „Ich erinnere mich, wie meine Mutter zu mir sagte, dass die Menschen dachten, das Ende der Welt sei gekommen“, sagt Regisseur Dominic Cooke. „Sie erinnert sich, dass Menschen in die Kirchen strömten, die sonst niemals in die Kirche gegangen waren."Die Filmemacher mussten für das Publikum von heute, das natürlich weiß, dass es keinen Atomkrieg gegeben hatte, rüberbringen, dass ein solches Szenario nicht nur denkbar war, sondern vielen als absolut unausweichlich erschien.

Cooke sagt: „Wir begannen uns anzusehen, wie wir diesen Hintergrund in den Film einbauen konnten, ohne allzu viel Details über die Kubakrise vermitteln zu müssen.“

Im Oktober 1962 wurden sowjetische Raketengeschosse nach Kuba entsandt. Präsident Kennedy forderte ihre Entfernung. Als Chruschtschow sich weigerte, begannen beide Seiten mit der Vorbereitung des Atomkriegs. 13 Tage lang hing das Schicksal der Welt in der Schwebe.

Menschen auf der ganzen Welt waren panisch. „Dominic zeigt diese Bedrohung auf eindringliche Weise“, findet Benedict Cumberbatch. „Die Welt hielt sozusagen ihren Atem an. Es war nicht einfach nur eine Auseinandersetzung zwischen zwei Ländern; alle Länder, die sich dazwischen befanden, wären betroffen gewesen.“

Tom O’Connor studierte Dokumentationen und Nachrichten und unterhielt sich mit seinen Eltern, um einen guten Ansatz zu finden, wie man diesen prägnanten Abschnitt Weltgeschichte in das Drehbuch einarbeiten könnte: „Ich wollte ein Gefühl für die Angst und Hilflosigkeit der Menschen bekommen, die das Ende der Welt vor Augen hatten und wussten, dass es nichts gab, was sie dagegen unternehmen könnten.“

„Schiffe steuerten Kuba an, mit Raketen bepackt; die Amerikaner waren bewaffnet und bereit; in beiden Ländern scharrte man sich um Knöpfe und Codes“, sagt Benedict Cumberbatch. „Es bedarf nur einiger Hitzköpfe mit Zugang zu den Codes, ein paar polarisierte Ansichten und Menschen, die nicht mehr länger auf andere Meinungen hören, um eine Katastrophe heraufzubeschwören.“

Dominic Cooke wollte diese Krisenstimmung für die Leinwand einfangen: „Ich wusste, wie sich diese Welt anfühlen sollte, zumindest in England. Ich war schon immer interessiert an der Sowjetunion und der Politik und Weltgeschichte dieser Zeit.“

Eine Generation war vergangen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs; neue funktionale Architektur bestimmte das Bild auf der ganzen Welt. Die Mode änderte sich, aber die Swinging Sixties waren noch ein paar Jahre entfernt. Den Look und das Gefühl dieser Zeit für den Film zu evozieren, war eine monumentale Aufgabe. Cooke bestand aber darauf, dass die Kulissen und die Garderobe hundertprozentig der damaligen Zeit entsprachen.

Der Regisseur und einige seiner Mitstreiter hatten gerade erst an einem Film gearbeitet, der die Sechzigerjahre zu filmischem Leben erweckt hatte. Cooke sagt: „Ich habe grundsätzlich mit demselben Team gearbeitet wie bei AM STRAND („On Chesil Beach“, 2017) – selber Kameramann und Kostümbildner, selbe Szenenbildnerin.“

„Ich habe mir viele Agentenfilme angesehen und historische Filme, die in den frühen Sechzigern spielen“, sagt Cooke. „Der interessante Unterschied zwischen Filmen aus der Zeit und Filmen, die seither entstanden und die Sechzigerjahre thematisieren, besteht darin, dass die Filme aus der Zeit weniger glamourös sind, sie fühlen sich echter an.“

Szenenbildnerin Susie Davies führt aus: „Es ist sehr schwierig, dieser Periode gerecht zu werden, weil man allzu schnell dazu neigt, Stil vor Substanz zu stellen. Dabei sollte das Szenenbild sich doch nie in den Vordergrund drängen, sondern dazu beitragen, dass die Geschichte noch besser und eindringlicher erzählt werden kann. Das Szenenbild darf nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und vom Wesentlichen ablenken.“

„Ich habe mich sehr früh dafür entschieden, dass Moskau und London sehr ähnlich aussehen sollten“, merkte Regisseur Dominic Cooke an. „Tatsächlich sind die beiden Städte natürlich aufgrund ihrer unterschiedlichen Architektur sehr verschieden, aber ich habe es auf jeden Fall vermieden, die Unterschiede in irgendeiner Form zu betonen.“

Die Kulissen wurden entworfen, um den Wettbewerb zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten zu unterstreichen. Beide Supermächte unternahmen massive Anstrengungen, um in Initiativen herauszustellen, dass ihre Art des Lebens die bessere für ihre Bürger sei und ihre Technologien fortgeschrittener.

„Es gab damals einen großen epischen Ansatz in der Architektur aufgrund des Wettstreits der beiden Systeme, besonders in den Sechzigern mit der brutalistischen sowie der sowjetischen Architektur“, berichtet Davies. „Für London trafen wir die Entscheidung, es als sehr gesetzt und solide darzustellen.“

Um die Architektur der Zeit zu replizieren, durchkämmten die Filmemacher ganz Osteuropa, um passende Gebäude zu finden. Davies sagt, sie hätten genau gewusst, wonach sie suchten, denn in dieser Architektur „ging es um Größe und Macht, man wollte mit Schwere beeindrucken, erschlagen“.

Weil seit den in DER SPION gezeigten Ereignissen fast sechs Jahrzehnte vergangen sind, mussten die Filmemacher beim Einsatz der Kulissen Einfallsreichtum beweisen. „Einige der Außenaufnahmen für Moskau konnten wir in Prag und der Tschechischen Republik machen, manche der Innenaufnahmen entstanden tatsächlich in England. Da ging es hin und her“, merkt die Szenenbildnerin an. „Ich glaube, wir hatten keine einzige Location, die wir in einem einzigen Land drehen konnte.“

Die Außenaufnahmen für das CIA-Hauptquartier in London fanden ebenfalls in Tschechien und die Innenaufnahmen in London statt. Die Filmemacher nahmen sich dabei eine gewisse künstlerische Freiheit, weil die CIA im Jahr 1962 gerade erst dabei war, in das Gebäude in Langley umzuziehen.

„Wir drückten da beide Augen zu, weil der Umzug nach Langley erst gegen Ende der in unserem Film abgedeckten Zeitspanne stattfand. Da haben wir ein bisschen mit der Wahrheit gespielt“, gesteht Susie Davis. „In Wahrheit wären sie an einem viel öderen Ort gewesen. Aber der Inhalt und die Stoßrichtung unserer Geschichte waren dadurch nicht im Geringsten berührt. Manchmal muss man sich solche Freiheiten beim Dreh eines Films einfach nehmen.“

Um ihrem Streben nach Authentizität Folge leisten zu können, wählte Susie Davies Künstler und Fotografen als Referenzpunkte aus, die eine Affinität zum jeweiligen Land besaßen. „Für Moskau war einer unserer wichtigsten Bezugspunkte Henri Cartier-Bresson, ein Fotograf, der in den Fünfzigerjahren umfangreiche Reisen nach Moskau unternommen hatte. Für die US-Seite griffen wir auf die Arbeit von Saul Leiter zurück. Und für den UK ließen wir uns von Norman Parkinson und Martin Parr leiten.“

Es gab eine feste Leitlinie: Lasst es nicht zu prächtig aussehen! Dazu merkt Davies an: „Einige der Bilder und Rahmen an den Wänden sind nicht passgenau angebracht, wir haben gezielt Stellen ausgewählt, die man eigentlich nicht als ideal betrachten würde.“

Produzent Browning fügt hinzu: „Dominic war es wichtig, DER SPION wie einen Film aus der Zeit aussehen zu lassen. Er ist immer noch prächtig anzusehen und geschmackvoll stilisiert, aber er lässt sich auch nie vom Gewicht der Ära nach unten ziehen. Das Drama fühlt sich unmittelbar an, ist zum Greifen nah.“

Die Szenenbildnerin meint: „Wir haben viel Farbe rausgenommen, bis zu einem Punkt, an dem es Grau wurde. Das fiel uns ziemlich leicht, denn die grellen Farben der Sechziger, das Orange, das Grün, das Blau, war im Jahr 1962 längst noch nicht vorherrschend. Wir wollten eine Palette mit leiseren Tönen, nichts sollte einem in den Blick springen. Wir gaben uns Mühe, auf Kurven weitgehend zu verzichten, und nichts allzu funky aussehen zu lassen.“

„Wir haben die Palette bewusst stark limitiert“, erklärt Dominic Cooke. „So entschieden wir beispielsweise, in unserem Film keine roten Ziegel zu zeigen. Der Grund dafür ist, dass wir wollten, dass alles etwas harscher aussieht, roher, härter. Wir wollten nicht, dass sich die Welt unseres Films weich und warm und malerisch anfühlt.“

Ähnlich große Anstrengungen wie bei der Palette wurden im Bereich des Kostümdesigns unternommen. Es geht um konservative Figuren, nicht um charismatische Paradiesvögel. Entsprechend kleiden sie sich auch. „Wir haben uns auf Textur fokussiert“, sagt Regisseur Dominic Cooke. „Damals war das nicht so wie heute, wo alles erlaubt ist. Die Menschen hatten den Kleiderschrank nicht voller Klamotten. Männer aus der Mittelklasse besaßen bestenfalls zwei Anzüge. Bei den Menschen saß das Geld nicht so locker, und Kleidung war im Vergleich zu heute nicht so preiswert.“

„Es war keine glamouröse Zeit“, sagt Kostümbildner Keith Madden. „Der Alltag der Menschen war nicht so glamourös, wie es uns die große Leinwand glauben machen will. Das waren nicht die Swinging Sixties, man muss es eher als die sterbenden Fifties betrachten.“

Madden betrieb umfassende Recherchen, um Fotos von Wynne und Penkowski aufzustöbern und versuchte seine Entwürfe für den Film so genau wie möglich ihrer tatsächlichen Garderobe anzupassen. „Wynne hatte einen sehr spezifischen Look. In jedem Foto trägt er eine ganz bestimmte Krawatte. Wir mussten ein bisschen Detektivarbeit reinstecken, um die Farbe der Krawatte zu bestimmen, denn die Fotos von ihm sind allesamt schwarzweiß. Nach der Lektüre seiner Bücher kamen wir darauf, dass es sich um eine Krawatte der University of Nottingham handeln musste.“

Mit der Garderobe von Penkowski tat sich die Kostümabteilung schwerer. Madden erklärt: „Wir wissen nicht so genau, was er bevorzugt trug. Das einzige Foto von ihm, das existiert, stammt aus einer Zeit vor den Ereignissen in unserem Film.“

„Die russische Mode war spürbar farbloser“, merkt er an. „Sie ist geometrischer, man findet Kopftücher, schwere Mäntel und deutlich mehr Pelz. In Russland war Pelz kein Ausdruck von Wohlstand, wie das in den USA oder Großbritannien der Fall war.“

Bei den Briten „ist die Textur viel ausgeprägter, Tweed und Fischgrätenmuster“, sagt der Kostümdesigner. „Wir haben uns viele Filme angesehen. Am stärksten hat mich DER SPION, DER AUS DER KÄLT KAM („The Spy Who Came in from the Cold“, 1961) geprägt.“

Die Filmemacher hatten den Eindruck, dass Sheila modebewusster gekleidet sein sollte als ihr Ehemann. „Sheila hat mehr Klasse als Wynne, sie war eine regelrechte Mrs. Suburbia, aber sie war auch bescheiden.“

Für Emily musste Madden sich Gedanken darüber machen, dass Frauen damals an ihrem Arbeitsplatz immer genau gemustert wurden und unter Umständen wegen ihres Kleidungsstils auch in Schwierigkeiten geraten konnten. „Sie trägt sehr elegante, feminine Kleider und Kostüme – immer geht es bei ihr darum, sie unbedingt als Profi in einer Gruppe von Männern zu definieren“, merkt Madden an. „Wir wollten, dass sie richtig seriös aussieht.“

Brosnahan findet, dass dieser seriöse Ton einerseits die Entwicklungen in den Sechzigern, aber gleichermaßen auch die globale Politik von heute reflektiert. Sie sagt: „In meiner Lebenszeit habe ich nur einen Referenzpunkt, und der ist immer noch Welten entfernt von der Nuklearkrise von damals. Das ist Präsident Trump, der seit Beginn seiner Amtszeit immer wieder Nordkorea gereizt hat. Auf einmal höre ich von Freunden aus New York, dass sie sich darüber unterhielten, wo man in New York City am besten einen Atomschutzbunker findet.“

In der Nachernte der amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 2016 und den Enthüllungen um Cambridge Analytica rückte das Verhältnis zwischen Russland und Amerika und das Ausmaß der gegenseitigen Spionage wieder in die Schlagzeilen. Seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden die Bande zwischen Amerika und Russland nicht mehr so argwöhnisch beäugt.

DER SPION ist Teil dieses Zeitgeists. Benedict Cumberbatch meint: „In den vergangenen vier Jahren haben wir Vieles erlebt: Nordkorea, Trump, China, die Kündigung der alten Nuklearverträge zwischen Russland und Amerika. Das hat Entwicklung und Dreh von DER SPION unmittelbar beeinflusst. Auf eine etwas beängstigende Weise fühlte sich unsere Geschichte aus der Vergangenheit mit einem Schlag dringlich und brandaktuell an.“

Foto:
© Verleih

Info:
Regie: Dominic Cooke
Drehbuch: Tim O’Connor
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Merab Ninidze, Rachel Brosnahan, Jessie Buckley, Vladimir Chuprikov, Angus Wright, Kirill Pirogov u.a.

Abdruck aus dem Presseheft