Bildschirmfoto 2021 07 01 um 12.37.53Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Juli 2021, Teil 15

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Paolo Pasolini – begnadeter Künstler und visionärer Gesellschaftskritiker. Zeit seines Lebens wurde er für sein Werk ebenso leidenschaftlich angefeindet wie verehrt. Er war Filmemacher und Chronist der italienischen Vorstädte, Dichter und Schriftsteller, Kommunist und Katholik. Er arbeitete während des Krieges als Lehrer, trat als erklärter Marxist der Kommunistischen Partei bei und wurde wegen seiner Homosexualität wieder ausgeschlossen, schrieb Gedichte und Romane über das Leben des römischen Subproletariats und verfasste Drehbücher für Fellini, bevor er den Film auch als sein Medium identifizierte und zum KultRegisseur avancierte.

Seine Filme waren nie gefällig, sondern jeder einzelne war eine radikale Zäsur in der europäischen Kinolandschaft . Seine kämpferischen Analysen zum Konsumismus im kapitalistischen System und seine Homosexualität erregten im konservativen Italien der Nachkriegszeit die Gemüter. Seine kritischen, mitunter drastischen Filme, wie das zutiefst pessimistische, in der Bildsprache schockierende Werk DIE 120 TAGE VON SODOM (1975), machten Pasolini zu einem der umstrittensten Filmemacher seiner Zeit und brachten ihn mit der Zensur in Konflikt. Heute gehören seine Filme zu den Klassikern des europäischen Filmerbes. Seine Ermordung am Strand von Ostia, die mit seinen Kontakten zum Stricher-Milieu in Verbindung gesetzt wurde, schockierte die Welt als eines der brutalsten Gewaltverbrechens Italiens. Die wahren Hintergründe seines gewaltsamen Todes liegen bis heute im Dunkeln.

Als Journalist prägte PPP mit seinen gesellschaftskritischen Artikeln zusammen mit Umberto Eco lange die Debatten Italiens. Pasolinis Hauptthema war dabei die Profit- und Konsumgier der Nachkriegszeit, die in seinen Augen zu einer Gleichschaltung der Gesellschaft in einem Maße führte, wie es dem Faschismus niemals gelungen war. Er prangerte den damit einhergehenden Niedergang der Werte an und war maßlos darüber verbittert, dass sowohl die Kommunisten als auch die Kirche dieser fatalen Entwicklung nichts entgegenzusetzen wussten.

Obwohl er mit schillernden Persönlichkeiten wie Alberto Moravia und Maria Callas befreundet war, blieb er zur High Society auf kritischer Distanz und verehrte das einfache Leben der Armen, wie er es zur Zeit des Krieges zusammen mit seiner Mutter kennengelernt hatte. In seinen ersten Romanen – seine ersten künstlerischen Werke überhaupt – beschäftigte er sich mit der harten Realität der Jugend in den italienischen Vorstädten. Diese Bodenständigkeit durchzieht sein gesamtes Werk. Auch in seinem filmischen Debüt ACCATONE – WER NIE SEIN BROT MIT TR ÄNEN ASS (1961), den Bernardo Bertolucci, Pasolinis damaliger Regieassistent, als „zweite Geburt des Kinos“ bezeichnete, ist die Vorstadt und ihre Jugend sein zentrales Thema. In seiner Bibel-Verfilmung DAS 1. EVANGELIUM – MATTHÄUS (1964) betonte er die sozialrevolutionäre Komponente der christlichen Botschaft dadurch, dass er die Handlung von Palästina ins wirtschaftlich abgehängte Süditalien verlegte. Immer wieder fährt PPP mit seinem Fiat Millecento in ausgedehnten Reisen durch sein Land, auf der Suche nach dem „wirklichen“ Leben. Er geht in die Industrieviertel Norditaliens und befragt die Menschen an ihrem Arbeitsplatz oder in ihrer Freizeit zu Liebe, Sexualität und Arbeitslosigkeit. Er drehte mit der linken Bewegung Lotta Continua einen Dokumentarfilm über den Bombenanschlag auf der Mailänder Piazza Fontana im Jahr 1969 und führte Interviews mit den Arbeitern in den Marmorbrüchen von Carrara.

Auf immer wieder neue Weise werfen Pasolinis Filme die Frage nach dem Menschen und seiner Bedingtheit, nach dem Zusammenhang von Sexualität, Spiritualität und Machtbeziehungen auf. Im Interview-Film DAS GASTMAHL DER LIEBE (1963) befragt Pasolini die Italiener zu Liebe und Sexualität. In GROSSE VÖGEL, KLEINE VÖGEL (1966) beschäftigt er sich mit der Position des italienischen Kleinbürgers zwischen Proletariat und Kirche. In TEOREMA – GEOMETRIE DER LIEBE (1968) wird eine bürgerliche Familie unter die Lupe genommen, die nach dem Besuch eines charismatischen Gastes auseinanderbricht. Ein anderes wichtiges Thema waren für Pasolini die Mythen und Legenden der abendländischen und arabischen Kulturkreise. In MEDEA (1969) mit Maria Callas in der Hauptrolle, gilt sein Interesse dem berühmten altgriechischen Mythos um eine Frau, die ihre Kinder tötet; DECAMERON (1971) schuf er nach der gleichnamigen Novellensammlung des bedeutenden Vertreters des Renaissance-Humanismus Giovanni Boccaccio; in PASOLINIS TOLLDREISTE GESCHICHTEN (1972) adaptierte er Geschichten aus dem mittelalterlichen Verszyklus „The Canterbury Tales“ des englischen Schrift stellers Geoffrey Chaucer (1340-1400) und für EROTISCHE GESCHICHTEN AUS 1001 NACHT (1974) schöpfte Pasolini aus der bekannten orientalischen Märchensammlung. Mit EDIPORE – BETT DER GEWALT (1967) schuf er nach eigenen Worten seine „vollständig metaphorische und deshalb mythisierte Autobiographie“ nach der berüchtigten Figur aus der griechischen Mythologie.

Für seine stark umstrittenen Filme erhielt Pier Paolo Pasolini zahlreiche Auszeichnungen. Bei den Filmfestspielen in Cannes 1958 konnte er für sein Werk LIEBE HAT KURZE BEINE den Preis für das „Beste Drehbuch“ entgegennehmen. 1964 erhielt sein Film DAS 1. EVANGELIUM – M ATTHÄUS auf den Filmfestspielen in Venedig den großen Preis der Jury. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin im Jahr 1971 gewann Pasolinis DECAMERON den Silbernen Bären. Ein Jahr später, 1972, honorierte die Berlinale-Jury seinen Film PASOLINIS TOLLDREISTE GESCHICHTEN mit dem Goldenen Bär. Im Jahr 1975 wurde Pasolini auf den Filmfestspielen in Cannes für seinen Film EROTISCHE GESCHICHTEN AUS 1001 NACHT mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Seine Werke sind bis heute Meilensteine der Filmgeschichte von elementarer und singulärer Kraft , die nichts weniger als die Essenz des Kinos erfahrbar machen.


Filmografie (Auswahl)

1975 DIE 120 TAGE VON SODOM
1974 EROTISCHE GESCHICHTEN AUS 1001 NACHT
1972 PASOLINIS TOLLDREISTE GESCHICHTEN
1971 DECAMERON
1969 MEDEA
1968 TEOREMA – GEOMETRIE DER LIEBE
1967 EDIPORE – BETT DER GEWA LT
1966 GROSSE VÖGEL, KLEINE VÖGEL
1964 DAS 1. EVA NGELIUM – M ATTH ÄUS
1964 GASTM AHL DER LIEBE
1962 MAMM A ROMA
1961 ACCATONE – WER NIE SEIN BROT MIT TRÄNEN ASS
1958 LIEBE HAT KURZE BEINE


Fotos:
©presseheft

Info:

STAB

Regie                       Pepe Danquart
Drehbuch.                Pepe Danquart
Regieassistenz         Nadja Röggla
Kamera                    Thomas Eirich-Schneider
Kameraassistenz      Mattia Ott aviani
Montage                   Andrew Bird, Gregor Bartsch
Musik                        Amiina
Abspannsong           Etta Scollo
Voice-over                Ulrich Tukur
Ton                            Martin Fliri
Sounddesign            Clemens Endress
Mischtonmeister       Adrian Baumeister

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