Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Juli 2021, Teil 25
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon beim Ankommen herrscht gute Laune. Bei den in Rot-Weiß Gekleideten , die Farben von Belarus, weil zum einen die gegen die gegenwärtige Staatsmacht, verkörpert von Lukaschenko, Protestierenden vor dem Kino, siehe Bild, durch den Film Rückenwind erhalten und ihn erst recht dann spüren, wenn so viele Leute kommen, wie das Kino in Noch-Corona-Zeiten überhaupt aufnehmen darf. Es war voll und danach wurde gejubelt.
Der Verleiher begrüßte den Regisseur und die Besucher, er und Aliaksei Paluyan dankten beide Hessenfilm für die geleistete Unterstützung, weshalb die beiden Macher an diesem Tag, dem 1. Juli 2021, wo erstmals nach acht Monaten die Kinos wieder aufmachen, auch in Hessen ihren Film vorführen.
Nachher wird der 1989 in Belarus geborene Aliaksei Paluyan erzählen, daß er den Film vor drei Jahren begonnen hat. Er selbst ist 2012 nach Kassel gekommen, um Regie zu studieren und dann hier geblieben; er kennt die drei Hauptprotagonisten des Films, die alle mit dem kleinen Theater zu tun haben, an denen zwei im Film noch spielten: Maryna Yakubovich und Pavel Haradnizky, während Denis Tarasenka zu uns im Film dazu sagt: „Ich habe die Kunst verraten“, weil er sich wegen der Gefährdung für seine Familie vom Theater zurückgezogen hat und nun – mit Liebe, man konnte das sehen – in einer Autowerkstatt einen Wagen poliert. Ganz am Schluß wissen wir dann, daß alle drei ins Exil gehen mußten. Klar. Sonst hätte dieser Film auch nicht an die Öffentlichkeit gelangen können, läßt er doch an der Haltung der Drei keinen Zweifel: Die Volksrevolution muß siegen, die alten Machthaber, die dazu Wahlen fälschen, verkörpert von Lukaschenko, müssen abtreten. Am besten von alleine. Ansonsten durch nicht aufhörende Demonstrationen des Volks, bei denen auffällt, daß unter den vielen vor allem – aber nicht nur! - jungen Leuten die Frauen oft die Vorhand bilden, erst recht, wenn es darum geht, den Soldaten und der Polizei Blumen zu überreichen, ausgerechnet den Soldaten und der Polizei, die wir in anderen Szenen als brutal zuschlagende Typen sehen. Ja, es gibt Blut im Film, denn er zeigt, was auf der Straße los ist, wenn eine Bevölkerung gegen ihre Herrschaft opponiert, demonstriert. Hier kann man von ‚geklauter Wahl‘ sprechen, nicht in den USA!
Das Besondere am Film sind aber nicht die Bilder der friedlich Demonstrierenden, auch nicht die staatlichen Repressionen, die wir aus dem Fernsehen kennen, sondern, wie uns der Regisseur mit diesen drei Personen, den Schauspielern, die rechts auf dem Plakat zu finden sind, zusammenbringt und was wir ihren Aussagen und ihrer Lebenssituation entnehmen können. Es beginnt mit Maryna mit blonder Kurzhaarfrisur, die ihrem kleinen Kind in einer dieser typischen Plattenbauwohnungen am Küchentisch frühstückt und mit ihm redet, so wie es Mütter tun, die wollen, daß ihre kleinen Kinder später alles durchschauende Erwachsene werden. Es ist wie immer, eine harte Trennung, als sie zum Theater aufbricht und der Vater den Kleinen im Arm sie verabschiedet und das Kind „Mamma“ ruft.
Dann sehen wir sie bei den Proben, von Stücken, die die gegenwärtige politische Situation zum Inhalt haben. Nun wird deutlich, daß bei den Proben jeder Satz durchleuchtet werden muß und wird, der Inhalt soll provokant sein, aber in eine Form gekleidet, die nicht sofort zur Absetzung des Stückes oder gar der Schließung des Theaters führt. Das erfordert Diskussion, die die Schauspieler leisten. Maryna weiß bei allem, daß sie ihre Familie schützen muß. Eine menschlich schwierige Situation, wo wir die Letzten sind, ihr mehr Aggressivität zu empfehlen.
Pavel haben wir als Klavierspieler kennengelernt und sofort muß man an die Liedermacher denken, die auch bei uns in der Lage waren, gesellschaftliche Situationen in passende Worte zu kleiden, so daß schon das Singen eine politische Tat wird. Lustig, dieser Pavel, der mit der Macht der Musik spielt und Optimismus verbreitet.
Das war wichtig, die Drei zu hören und zu sehen, denn es zeigt ihre Hoffnungen, die sie vor den Wahlen hatten und auch noch nach der geklauten Wahl bei den Massenprotesten aufrechterhalten konnten. Zunehmend aber war die Antwort der Herrschenden die Gewalt, das Zusammenschlagen, das Verhaften. Und so sind die Aufnahmen vom Gefängnis vielleicht die düstersten. Denn es sind zu viele, die eingesperrt sind und von obrigkeitshörigen Richtern zu langen Gefängnisstrafen bestraft werden, die in einer Demokratie bei friedlichen Demonstrationen nicht möglich werden.
Es geht, es ist ganz einfach, einfach darum, daß rechtsstaatliche Verhältnisse in Belarus einziehen. Und so lange das nicht geschieht, werden die Proteste weitergehen. So hofft man, aber so kann man berechtigt auch annehmen, denn selten war so viel nicht nachlassender friedlicher Widerstand auf den Straßen sichtbar. Noch einmal zurückzustecken, wie es bei der ersten Protestwelle von 2010 geschah, wo nach dem angeblichen Wahlerfolg des Machthabers Lukaschenko am Sonntagabend des 19. Dezember 2010 die Massen versucht hatten, das Regierungsgebäude zu stürmen, Proteste, die nach der Festnahme von über 1000 Menschen verebbten, was im Film gezeigt wird.
Der Film ist ein Dokument dafür, daß die Menschen in Belarus ihr Land selber in Besitz nehmen werden. Aber auch die Aufforderung an uns, die Lukaschenko-Verbrecher klein zu kriegen, wo es in unserer – zum Beispiel wirtschaftlicher und politischer – Macht steht.
P.S. Auch noch die lange währende Diskussion mit dem Regisseur nach der Vorstellung wiederzugeben, sprengt die Besprechung. Aber auf einen Punkt müssen wir eingehen. Wir empfanden nämlich beim Zuschauen, daß die Rolle der Frauen – sowohl die der Führerinnen wie auch der weiß gekleideten Frauen bei den Demonstrationen – im Film zu kurz kommen, was wir anmahnten. Dadurch, daß Aliaksei Paluyan daraufhin nur sagte, daß das stimme und ihm leid tut, war damit auch gleichzeitig die Kritik erledigt