nebenan4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Juli 2021, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Film gefällt mir, er gefällt mir gut und ich schaue mir ihn auch ein zweites Mal an, weil die Erwartung, daß gleich kommt, was man schon weiß, die Vorfreude also, das Schauen noch mal anheizt. Warum ich den Film gleich nochmal sehen will? Wegen des kammerspielartigen Duells zwischen Daniel Brühl, eitler Filmstar Daniel, und Peter Kurth, abgewirtschafteter, ja verschlissener Ossi Bruno als Hausmeister. Wer siegt? Für mich der Verlierer Bruno.

Warum? Ganz einfach, weil er dem Schauspieler Daniel die Maske vom Gesicht reißt, die dieser so mühsam ständig flickt. Dabei geht es nicht um die Maske gegenüber der Welt, dem Publikum im besonderen, sondern um die Maske, die der Schauspieler sich selbst gegenüber ständig aufsetzt. Nach diesem Film ist sie dahin. Der Kerl muß irgendwie anders weitermachen.

Das war der Schnelldurchgang. Aber es sind ja die vielen Ecken und Kanten, die diesen Film interessant machen, einschließlich von Rückwärtsgängen und solchen Finten, daß man sich am Ende des Films wähnt, Daniel davonstolziert, aber dann doch wiederkommt und der Film weitergeht, der hauptsächlich in einer Berliner Eckkneipe spielt, in die Daniel schon mit gepacktem Koffer kommt, um dort in Ruhe seine einseitige Rolle zu lernen. Mit großer pantomimischer Geste. Er ist nämlich auf dem Weg zu Probeaufnahmen für eine Rolle in einem großen internationalen Blockbusterfilm, weiß aber nicht, ob der den Helden oder den Schurken spielt.

Wir lernen den deutsch-spanischen Schauspieler Daniel beim morgendlichen Lever mit sich selbst kennen: in seine Maske, seine Rolle Schlüpfen. In einer schicken hellen Wohnung, hoch oben hübscht er erst sich auf, rasiert sich, einschließlich Duftwässerchen, hält sich verschiedene Kleidungstücke vor, welche Farbe heute, welche Form, strenger oder lockerer? Das alles sind wichtige Fragen beim Aufstieg zum internationalen Star, wohin er auf dem Weg ist. Wie Daniel Brühl das macht, ist Schauspielkunst. Er bleibt immer haarscharf unterhalb einer klamottigen Darstellung, versetzt uns mit seinem Getue aber genau in die Gucklochperspektive, wie wir uns so eitle, selbstgefällige Schauspieler schon immer vorgestellt haben. Wie er das macht, ist auch Regiekunst. Denn hier wird der Film-Daniel auf den Weg als Schauspieler geschickt, den der internationale Künstler Daniel Brühl längst bewältigt hat, während gleichzeitig der Regisseur Daniel Brühl mit sich als dem Hauptdarsteller seine erste Regiearbeit vorlegt.

Raffiniert. Gelungen. Und wäre doch nichts ohne seinen Gegenpart, den dicklichen, ziemlich versoffenen Hausmeister Bruno. Doch, um in die Kneipe um die Ecke zu gelangen, müssen - dramaturgisch - erst die familiären Verhältnisse dies erforderlich machen. Die extravagante Ehefrau (Aenne Schwarz) schläft lieber weiter, die zwei Kinder tollen herum und können von der Haushälterin nicht auf leise gestellt werden, was der fertig angezogene Daniel aber für das Auswendiglernen seiner Rolle, für das er aus Geheimhaltungsgründen nur eine einzige Seite bekam, braucht. Daß Daniel dringend wissen will, wen er überhaupt spielt, was Filminhalt ist, durchzieht den Film als running gag. Er telefoniert mit den wichtigen Leute, die die noch wichtigeren befragen und er hat am Schluß tatsächlich den an der Strippe, der ihm nun alles genau erzählen kann. Aber da interessiert Daniel der Film schon gar nicht mehr. Und daran ist Bruno in der Eckkneipe schuld.

Nun muß ich dazu sagen, daß für mich Daniel Kehlmann seit seinem Welterfolg DIE VERMESSUNG DER WELT, für den er übrigens durch Intrige nicht den DEUTSCHEN BUCHPREIS erhielt, einer der allerbesten deutschen Schriftsteller ist. Intelligent und sprachmächtig, auch sprachlustig. Das merkt man den Dialogen an. Die nutzen sich nicht ab, als aus dem Geplänkel, das von Bruno ausgeht, eine echter Kampf wird, wobei die Worte ja stellvertretend für die sozialen Bedingungen stehen, die aus den beiden Männern, dem jüngeren Daniel den Aufsteiger machen, während sie für Bruno den Abstieg bedeutet haben. Seine Vergangenheit in der DDR blitzt nur kurz auf, die Stasi ist auch im Spiel, aber dieser Typ im Niedergang, der dennoch das Heft in der Hand hält, reißt Daniel den Boden unter den Füßen weg. Er fragt, er behauptet, er weiß.

Zum einen gibt er sich erst einmal als Fan des Daniel aus, als dieser in die neben der Wirtin, einem Besoffenen und eben Bruno leeren Kneipe. Er ist ja morgens. Das schmeichelt diesem. Und an seiner Eitelkeit packt er ihn dann und zieht ihn durch die Manege, die einerseits Kneipe ist, aber eben auch Filmleinwand, auf der wir alles miterleben.

Nein, mit welchen Worten, mit welchen Sachverhalten Bruno dies tut, verraten wir hier nicht. Er weiß viel, viel mehr, als normalerweise ein Nachbar von Daniel, seiner Ehe, seiner Familie wissen kann. Und dieses Wissen serviert er dem immer unsicherer werdenden Daniel gekonnt. Klar, ab irgendwann wissen wir, daß hier keine Zufälle walten, daß Wendeverlierer Bruno mit Aufsteiger Daniel auch eine Abrechnung erledigt, die das Ganze angeht: diese Art der Neu-Berliner, sich mit Geld am Prenzlauer Berg und sonstwo einzukaufen, luxussanierte Häuser, oder fast noch schlimmer: luxussanierte obere Geschosse, während das Plebs unten in abgeblätterten Zimmern haust. Das ist nicht nur die Wiederauflage von Ossi und Wessi, von Alt und Jung, es ist auch Turbokapitalismus gegenüber Heimat.

Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller

Daniel Brühl, Daniel
Peter Kurth, Bruno
Rike Eckermann, Wirtin
Aenne Schwarz, Clara
Gode Benedix, Micha.

Regie, Koproduktion, Idee:  Daniel Brühl
Drehbuch: Daniel Kehlmann