Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Juli 2021, Teil 14
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Heute – nach der gegenwärtige Hochwasserkatastrophe, besser: den gewaltigen Wassermassen, die menschliche Zivilisation einfach fortschwemmen und vernichten - heute sieht man einen solchen Film, der auf dem Leben von gestern in den einsamsten unwirtlichsten Gegenden der Welt beruht, mit anderen Augen. Schon deshalb, weil dort, wo man in der Mongolei im Einklang mit der Natur unter schwierigsten Bedingungen lebt, keine derartigen Katastrophen kennt.
Das erfordert erst einmal Respekt gegenüber den Menschen, die ihre Tradition mit dem verbinden, was wir gemeinhin ‚den Fortschritt der Menschheit‘ nennen, wobei sich die Vokabel Fortschritt auf den technischen Fortschritt richtet, denn menschlich ist nur im Wissensbereich etwas hinzugekommen, ethisch und moralisch sicher nicht! Denn wir leben in einem Zeitalter der Entsolidarisierung mit der Maßgabe, daß wichtig ist, was die Menschen trennt, was dann – positiv gemeint, aber im Ergebnis negativ – zu vielen verschiedenen Identitäten führt. Was das mit dem Film zu tun hat? Sehr viel! Denn dieser Film ist gut geeignet, die Wertmaßstäbe zurechtzurücken, um was es für jeden von uns im Leben überhaupt geht. Und daß wir in unserer jeweiligen Umgebung das Beste daraus machen müssen, aber eben auch: machen können.
Die Regisseurin Byambasuren Davaa wurde 1971 in der Mongolei geboren und kam im Jahr 2000 nach München, um Film zu studieren und blieb. Wie gut, daß sie ihre lokale und regionale sowie historisch-menschliche Kompetenz in ihr Filmschaffen einfließen läßt. Denn von einem waschechten Berliner hätte man diesen Film nicht erwarten dürfen. Der zwölfjährige Amra (Bat-Ireedui Batmunkh) ist ein typischer Junge, den die Zukunft interessiert und der in der Schule mit dem technischen Schnickschnack von Handy und Internet die sozialen Netzwerke ausforscht und besonders gerne ein Sängerstar werden möchte, einfach ein Gewinner im digitalen Songwettbewerb. Die Schuluniform trägt er selbstverständlich. Und selbstverständlich sind auch die verschiedenen Möglichkeiten, zur Schule zu kommen. Er muß erst einmal eine längere Strecke zurücklegen, die ihn durch die Weite des Landes führt. Er ist lange unterwegs, bis er dann wieder zur elterlichen Jurte gelangt, aber so können wir die Schönheit dieser kargen Landschaft erleben. Zu Hause hat er dann eine ganz andere Wirklichkeit. Beim Ankommen erst einmal die liebevollen Eltern. Die warmherzige, aber verschlossene Mutter (Enerel Tumen), der er mit der Ziegenherde hilft, und die wir in der traditionellen Tracht bewundern können, und den taffen Vater (Yalalt Namsrai), mit dem er auch zum Heiligen Baum geht, der mit Gebeten die Menschen stark macht. Für die kleine Schwester ist er ein Held.
Der Vater hat ebenfalls zwei Leben. Denn die heimische Käseproduktion bietet er in der Stadt an, wo er als Automechaniker auch Geld verdient und sich einen Wagen zusammengebaut hat, auf dem der Mercedesstern prangt. Sein ganzer Stolz. Zu Hause jedoch ist das Leben wie früher. Doch dieses Leben ist in Gefahr. Denn die internationalen Konzerne kaufen das Land auf, das ja nichts weiter wert ist, von dem diese aber vermuten, daß sich Gold darin findet, weshalb ihr Angebot viele der Nomaden schwach macht und sie verkaufen. Und noch schlimmer. Heimlich schürfen sie für diese Konzerne auf der Suche nach Gold.
Doch Amras Vater will sein Heim und seine Heimat behalten. Und dann passiert etwas, das das Leben der Familie aus der Bahn wirft und vor allem von dem Jungen einen Einsatz fordert wie von einem Mann.
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Info:
Regisseurin und Drehbuchautorin Byambasuren Davaa (DIE HÖHLE DES GELBEN HUNDES, DAS LIED VON DEN ZWEI PFERDEN) feiert mit DIE ADERN DER WELT ihr Spielfilmdebüt, einer berührenden, generationenübergreifenden und bildgewaltigen Familiengeschichte. Mit ihrem Film DIE GESCHICHTE VOM WEINENDEN KAMEL, der in über 60 Länder verkauft wurde, war sie bereits 2005 für einen Oscar nominiert. DIE ADERN DER WELT ist eine BASIS BERLIN Filmproduktion in Ko-Produktion mit Mongol TV und Rundfunk Berlin-Brandenburg in Zusammenarbeit mit Arte. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Filmförderungsanstalt und Deutscher Filmförderfonds. DIE ADERN DER WELT feierte seine Weltpremiere in der Sektion GENERATION Kplus auf der Berlinale 2020.
STARTMELDUNG DIE ADERN DER WELT
(Internationaler Titel: Veins of the World )
Regie: Byambasuren Davaa
Darsteller: Bat-Ireedui Batmunkh, Enerel Tumen, Yalalt Namsrai, Algirchamin Baatarsuren u.a. Deutschland / Mongolei 2019 / 95 Minuten