wem gehSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. August 2021, Teil 9

Claus Wecker

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wenn wir an die Orte unserer Kindheit zurückkehren, sind wir oft bestürzt, weil wir sie kaum wiedererkennen. Denn sie haben sich nicht zu ihrem Besseren verändert. Das liegt manchmal an unserer schönfärberischen Erinnerung, häufig aber auch an mächtigen neuen Gebäuden, die damals noch naturbelassene Plätze brutal verändert haben.

Von so einem Fall berichtet Christoph Eders Dokumentarfilm über das Ostseebad Göhren auf der Insel Rügen. Dort, wo er seine Kindheit verbracht hat, ist das passiert, was nicht nur touristisch interessanten Orten in der ehemaligen DDR widerfahren ist: Die Marktwirtschaft hat Einzug gehalten.

Mit ihr ist ein Investor aus Nordrheinwestfalen gekommen, der Hotels und neue Wohnhäuser für die Einheimischen hat bauen lassen, aus denen dank mangelnder Nachfrage Feriendomizile geworden sind. Natürlich sind mit dem einsetzenden heftigen Tourismus neue Arbeitsplätze entstanden und ist der Ort, wie man so schön sagt, »entwickelt« worden. Aber auf Kosten malerische Ausblicke, die schon Caspar David Friedrich zu Bildern angeregt haben.

Der Dokumentarist Eder hat nun die Stimmung im Ort eingefangen. Viele fühlen sich einfach überfahren und dem Investor Wilfried Horst ausgeliefert, der sich noch als Wohltäter fühlt. Offensichtlich hat er mit seinem großen Geld auch den Gemeinderat fest im Griff, wo seine willfährigen Handlanger die »Vier von der Stange« genannt werden.

Zudem wird Wohnraum immer teurer, die Alteingesessenen, die kein Haus besitzen, müssen das Dorf verlassen. Doch allmählich regt sich Widerstand. Einer berichtet, er sei schon nach der Wende vor Immobilienhaien aus dem Westen gewarnt worden, die sich die Unerfahrenheit der DDRler zu Nutze machen würden. Treuhandanstalt im Kleinen an der Ostsee.

Es stehen aber Gemeindewahlen an, der alte Bürgermeister, der sich nicht hat durchsetzen können, gibt auf, und es besteht die Chance, den Gemeinderat neu zu besetzen. Eine Bürgerinitiative mit dem Namen »Lebenswertes Göhren« hat sich gebildet, als deren Sprecherin gibt die welterfahrene Göhrenerin Nadine Förster den Ton an. Dreißig Jahre nach dem Untergang der DDR lernen die Menschen, dass man in einer Demokratie die Macht des Stärkeren nur durch entschlossenes gemeinsames Handeln brechen kann. Dass sich Göhren wandelt, wenn man nicht mehr vorm Konsum Schlange stehen will, ist klar. Aber die Einheimischen müssen Initiative entwickeln, dürfen nicht einfach ihre Grundstücke an irgendwen verkaufen und nicht immer mehr Naturschutzgebiete zu Bauland umwidmen.

Die Wahl bringt eine erste Veränderung: Die Macht der »Vier von der Stange« ist gebrochen. Es bleibt zu hoffen, dass es dort an der Ostseeküste in Zukunft nicht so aussehen wird wie an der spanischen Mittelmeerküste.

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Info:
WEM GEHÖRT MEIN DORF?
von Christoph Eder, D 2021, 96 Min.
Dokumentarfilm / Start: 12.08.2021