die welt andere1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. August 2021, Teil 4

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Was war Ihnen während des Drehs und am Set besonders wichtig?

Darsteller müssen die Chance erhalten, Schauspiel von innen kommen zu lassen. Das Filmset, seine vielen Leute, seine Technik und die Kamera sind grundsätzlich Gegner des guten Schauspiels. Ich versuche, das zu umgehen und Voraussetzungen zu schaffen, dass Darsteller sich entfalten und wahrhaftig sein können. Um das zu erreichen, habe ich mir zusammen mit meinem kreativen Team (Kamera, Szenenbild, Kostüm, Maske) eine Arbeitsweise erarbeitet, die es ermöglicht, den Darstellern den Vorrang zu geben. In der Vorbereitung und beim Dreh versuchen alle Departments, diesem Grundsatz zuzuarbeiten.

Ein weiterer Gegner des wahrhaftigen Spiels ist der Schauspieler selbst, seine eigene innere Unsicherheit und sein Plan, seine Idee von der Szene, die er abspult, ohne den Moment zu fühlen. Meiner Erfahrung nach sind Schauspieler gut, indem sie paradoxerweise all das, was sie in ihrer Probe vor dem Spiegel erlernt und im Unterbewusstsein abgespeichert haben, vergessen und den Moment „neu“ erleben. Genau das ist es, was wir den Schauspielern in der Probenarbeit mitgegeben haben. Wir haben sie befähigt, den Augenblick, wenn ich sage: „Und Bitte!“, wirklich zu erleben, ihn zu fühlen und dadurch lebendig werden zu lassen. In der ungewöhnlich langen Probenzeit von einem Jahr hatte sich eine Verbindung zwischen Canan, Roger und mir aufgebaut, die uns durch die Hektik, Härte und Länge des Drehs getragen hat. Mit welcher Hingabe Canan und Roger diesen Film gemeistert haben, verdient größten Respekt.


Sie sind in Ost-Deutschland aufgewachsen und haben einen algerischen Vater – wie sehr können Sie sich mit Asli und ihrer Geschichte identifizieren?

Ähnlich wie unsere Hauptfigur Asli und ihr Ehemann Saeed bin ich in zwei Welten groß geworden. Ich kenne den Spagat zwischen westlichem Lebensstil und muslimischer Kultur. Mein Vater war nur Moslem, wenn es ihm gefiel. Wann immer wir Besuch aus Algerien hatten, wurde der Koran aufgeschlagen, gebetet und auf Schweinefleisch verzichtet. DIE WELT WIRD EINE ANDERE SEIN ist auch eine Geschichte über die kulturellen Gegensätze, denen Migranten aus dem islamischen Kulturkreis ausgesetzt sind, über ihren Umgang miteinander und ihren Ausdruck von Gefühlen.

Mir ist es wichtig, verschiedene Muslime in Deutschland zu zeigen. Aslis Mutter ist im traditionellen Sinne konservativ, aber nicht in der Auslebung ihrer Religion. Das ist ein Unterschied, der in Debatten meist zu kurz kommt. Oft ist es nicht die Religion, sondern die Tradition, die konservativ gelebt wird. Saeed stammt aus einem Elternhaus, das sehr frei ist. Als er in Deutschland ankommt, fühlt er sich fremd und findet Vertrautheit in seiner Hinwendung zur Religion. Die Veränderung seiner Ansichten bespricht er nicht mit Asli. Asli spürt es, aber fragt nicht nach oder tut das erst sehr spät. Ihre Art, die Dinge lange nicht zu benennen, Gefühle und Bedürfnisse, die soziale Beziehungen wie Familie oder Partnerschaft belasten könnten, zu unterdrücken, mag sich für Menschen des westlichen Kulturkreises ungewöhnlich anfühlen, wird in der arabischen und türkischen Kultur aber über weite Strecken als höflich betrachtet. Das ist etwas, das ich von zu Hause sehr gut kenne. Oft geht es nicht um die Wahrheit, es ist wichtiger, dass die persönliche Beziehung erhalten bleibt. Verbindungen wie Ehe oder Familie dürfen nicht gefährdet oder verletzt werden und haben einen sehr hohen Stellenwert, manchmal höher als das ehrliche eigene Bedürfnis.

Im Gegensatz dazu werden Gefühle wie Trauer, Freude und Wut laut, unmittelbar und direkt ausgelebt. Wie ich es bei meinen arabischen Verwandten erlebe und auch von mir selbst kenne, habe ich die Szene mit Saeeds Eltern im Libanon geschrieben und inszeniert. Wir erleben ein Paar in einer Ausnahmesituation und sehen sie so impulsiv agieren, wie es in deutschen Familien schwer vorstellbar ist. Auf der anderen Seite sehen wir Asli, wie sie nur mit Schwierigkeiten ihre Probleme mit den Eltern oder mit Saeed teilen kann, aus Scham, eine schlechte Frau, Tochter oder Schwiegertochter zu sein.


Die Zuschauer werden mit der Frage nach der Schuld konfrontiert, die in der Unwissenheit oder in bewusster Verdrängung von Wissen liegt.

Ich bin angetreten, einen Film über das menschliche Drama zu machen, das sich entfaltet, wenn man zusehen muss, wie der Mann, den man liebt, zu einem Fremden wird. Das, was mich besonders interessiert, ist die Art und Weise, wie Asli mit ihren Zweifeln, die sie umtreiben, umgeht. Sie weiß, dass Saeed etwas hinter ihrem Rücken plant, aber ab einem bestimmten Punkt der Konfrontation geht sie nicht weiter. Um ihre Liebe zu erhalten, bleibt Asli stumm. Sie sagt nicht laut, was sie denkt, sondern agiert im Hintergrund, weil sie es so gelernt hat, weil sie so ist. Für mich ist Asli eine starke Figur, die aber in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht stark handelt. Es gibt Szenen zwischen Mutter und Asli, die zeigen, wie sehr die beiden sich lieben, aber ähnlich wie in der Beziehung zu Saeed kann Asli gegen die übermächtige Mutter wenig ausrichten, zumindest nicht direkt. Um die Beziehung zur Mutter nicht zu gefährden, setzt sie ihre Ziele heimlich hinter ihrem Rücken durch. Asli hat nie gelernt, gegen Dominanz anzugehen. Am Ende unseres Films steht Asli an einem Punkt, an dem sie ihr Leben lang zurück denken wird. Ähnliche Momente kennen wir alle. Zurückschauend fragen wir uns, warum wir so gehandelt haben. War es eine unbewusste Handlung, ist es uns einfach so passiert? Oder gab es einen Punkt der Bewusstwerdung? Haben wir etwas verdrängt, mit Absicht weggeschaut? Es ist die Frage der Mitschuld, die für immer in Asli rumoren wird. Ich möchte Filme machen, die nicht mit Antworten enden, sondern den Zuschauer mit Fragen entlassen: Ist man schuldig, wenn man die Wahrheit nicht wahrhaben will, ohne die Konsequenzen gekannt oder sie willentlich ignoriert zu haben? Welche Schuld trifft Asli, wenn sie doch im Namen der Liebe gehandelt hat, wenn sie es nicht anders gelernt hat?


Die Europäer klammern sich verzweifelt an ihrem Komfort, ihrer Sicherheit und Freiheit fest und schließen ihre Augen vor der Gewalt, der Unterdrückung und Zerstörung, mit der unser Lebensstil bezahlt wird. Ist Asli eine Art Kassandra, eine Warnung, die wir begreifen müssen?

Asli steht im Auge des Sturms. Es gibt diesen Funken einer Möglichkeit, dass, wenn Asli sich richtig bemüht hätte, herauszufinden was los ist, sie die Katastrophe vielleicht hätte erahnen und etwas ausrichten können. Es lässt die Frage aufkommen, was ein mündiger Bürger ist. Ist es der, der darauf vertraut, dass die Machtträger wissen, was sie tun oder der, der immer versucht, sich genügend Wissen einzuholen? Vielleicht müssen Bürger der westlichen Staaten genau wie Asli lernen hinzusehen, ob es weh tut oder nicht, sich eingestehen, dass wir eben die Demokratie nicht optimal nutzen und dass manchmal der Rückzug in den toten Winkel, von dem aus man keinen Überblick mehr hat, aber dafür scheinbare Ruhe, uns später immer auf die Füße fallen wird.

Im Buddhismus sagt man, ob man schlechtes Karma erzeugt oder gutes, kommt immer auf die Absichten an, die man hatte, wenn man etwas tut, das mitunter schwere Folgen hat. Man fragt sich, ob Aslis Absichten egoistisch waren oder die einer Liebenden. Wir unterscheiden also zwischen unterbewusstem Handeln und bewusster Verdrängung und bewerten diese unterschiedlich. Wir in Europa können uns aber nicht auf den Begriff des unbewussten Handelns zurückziehen, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken. Wenn BergbauKonzerne in Afrika Kinder ausbeuten, damit wir unser Wachstum aufrecht erhalten können, passiert das, während wir das wissen und stumm akzeptieren. Wir verdrängen und das macht uns eindeutig schuldig. Der Mehrwert, den Asli aus ihrer Verblendung der Tatsachen hat, findet dagegen auf der Gefühlsebene statt. Sie schadet nicht bewusst anderen Menschen. Mein Film lässt offen, ob Asli verdrängt oder unterbewusst handelt.

Foto:
©Verleih

Info:
DIE WELT WIRD EINE ANDERE SEIN
von Anne Zohra Berrached, D/F 2021, 119 Min.
mit Canan Kir, Roger Azar, Jana Julia Roth, Nicolas Chaoui, Ceci Chuh, Özay Fecht
Drama / Start: 12.08.2021
Abdruck aus dem Presseheft