die welt andere0Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. August 2021, Teil 3

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Was hat Sie dazu inspiriert, DIE WELT WIRD EINE ANDERE SEIN zu entwickeln?

Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Familien und Beziehungen durch Ideologie gespalten werden. Die Drehbuchautorin Stefanie Misrahi und ich möchten eine Liebesgeschichte im Spannungsfeld von politischer Polarisierung auf die Leinwand bringen. Wir erzählen von der Zeit vor dem „Urknall“ dieser politischen Polarisierung Ende der 1990er Jahre. Eine Amour Fou vor dem Hintergrund eines furchtbaren historischen Ereignisses, das mit seiner Gewalttätigkeit und Symbolkraft in uns allen eine Leerstelle, ein Rätsel hinterlassen hat.

Ein Film über Macht und Ohnmacht, Leben und Tod, ein Paar, das kämpft, das lügt, um sich zu schützen, sich verletzt und sich liebt. Eine Frau, die in eine Situation gerät, die ihr gesamtes Leben und das der restlichen Welt verändert. Es geht uns um die tragische Figur Asli, in der am Ende dieser Geschichte etwas unwiederbringlich zerstört worden ist, Asli die so nah dran war, Asli die sich fragen muss, ob sie selbst hätte anders handeln können.

Zusammen mit den Produzenten Roman Paul und Gerard Meixner habe ich einen langen Prozess der Materialsammlung begonnen, in dessen Focus terroristische Attentäter und ihre Frauen standen. Diese Recherchematerialien dienten der Drehbuchautorin Stefanie Misrahi und mir als Startpunkt, um das Schicksal zweier Figuren zu adaptieren, die zum Teil aus der Recherche, zum Teil aus unseren Köpfen und Herzen entstanden ist. Den Blick auf das Gefühlsleben einer Frau eines Terroristen zu richten, ist kein faktenbasierter Vorgang. Obwohl wir für DIE WELT WIRD EINE ANDERE SEIN Berge von Quellmaterial gesichtet haben, ist der Film keine einfache Wiedergabe der historischen Fakten, sondern mein eigenes Destillat der Geschichten und Charaktere, die uns dabei begegnet sind.


Canan Kir und Roger Azar, die Schauspieler, die Asli and Saeed darstellen, tragen den Film über einen Zeitraum von über sechs Jahren. Wie haben Sie die beiden gefunden?

Schon während des Drehbuchschreibens fiel mir die Vorstellung schwer, den Film wie üblich mit bekannten Schauspielern zu besetzen. In allen meinen vorangegangen Filmen arbeitete ich mit Laien in Nebenrollen. Bei DIE WELT WIRD EINE ANDERE SEIN wollte ich diesem tragischen Weltereignis, auf das der Film hinläuft, Darsteller entgegensetzen, mit deren Gesichtern und Verhalten der Zuschauer nichts assoziiert. Ich wollte für Haupt- und Nebenfiguren Menschen entdecken, die ein großes Talent mitbringen, deren Stimme und deren Spiel aber nicht für die große Bühne ausgebildet wurden und mit denen ich parallel zur Entwicklung des Drehbuchs die Art und Weise, wie sie vor der Kamera agieren, definieren und einüben konnte. Ich wollte beim Publikum diesen magischen Moment auslösen: Es könnte wirklich so passiert sein. Asli und Saeed könnten sich wirklich so gefühlt, so gehandelt haben.

Die Casterin Susanne Ritter und ich haben einen Castingprozess organisiert, der fast ein Jahr dauerte. Ich habe für alle Rollen mit über 500 Laien und angehenden Schauspielern gearbeitet. Canan Kir hat sich recht schnell für die Rolle der Asli durchgesetzt. Sie hat das, was ich an Schauspielern mag, dieses Talent, sich in Situationen zu werfen, sie für den Moment real werden zu lassen, ohne Korrektiv, ohne sich ihrer bewusst zu sein, ohne Sicht von außen. Und dann hat Canan noch etwas, das nur Canan hat: diese existentielle Dramatik, die sich in ihren Augen spiegelt.

Aber es fiel mir schwer, unsere zweite Hauptfigur zu finden. Unser Film beginnt mit einem jungen Mann, der vor nicht allzu langer Zeit aus dem Libanon nach Deutschland gekommen ist, der in einem Land aufwuchs, dessen Bevölkerung vom jahrelangen Krieg traumatisiert ist – so wie auch seine Eltern. Ich mochte viele der in Deutschland lebenden Libanesen im Casting, aber ich habe ihnen die libanesische Herkunft nie wirklich abgenommen. Es wurde schnell klar, dass wir unseren Darsteller nur im Libanon finden konnten. Zusammen mit Produzent Roman Paul, der Drehbuchautorin Stefanie Misrahi und der in Beirut lebenden Casterin Abla Khoury haben wir in drei Wochen in Beirut 120 Männer auf englisch und französisch gecastet. Als Vorletzter betrat Roger Azar den Raum. Ich werde nie vergessen, mit welcher Wucht, Empathie und Stolz er Saeed dargestellt hat. Roger ist ein Improvisationskünstler, der jede Szene, jeden Moment neu erfindet. Jemand, der sich im Spiel das Recht herausnimmt, alles zu dürfen, jemand, der den Drang hat, sich selbst nie langweilen zu wollen. Mit dieser Wucht hat er Saeed erfunden.

Mir war klar, dass wir ein Talent entdeckt haben, aber um auf Deutsch improvisieren zu können, reicht es eben nicht aus, das Drehbuch auswendig zu lernen. Roger musste lernen, auf Deutsch zu denken, um spontan reagieren zu können. Wir haben ihm in Berlin eine Wohnung gestellt, ihm mit einem Taschengeld ausgestattet und mit Hilfe des Goethe Instituts einen 6-Tage-die-Woche Deutschkurs organisiert, der fast ein Jahr dauerte. Roger hat nicht nur ein Talent für das Schauspiel, er hat auch den Intellekt, Sprachen zu absorbieren.

Foto:
©Verleih

Info:
DIE WELT WIRD EINE ANDERE SEIN
von Anne Zohra Berrached, D/F 2021, 119 Min.
mit Canan Kir, Roger Azar, Jana Julia Roth, Nicolas Chaoui, Ceci Chuh, Özay Fecht
Drama / Start: 12.08.2021
Abdruck aus dem Presseheft