DerHochzeitsschneiderVonAthen Pressefoto 11Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. August 2021, Teil 2

Redaktion

Athen (Weltexpresso) - Warum interessieren Sie sich für Menschen, die in einer Krise stecken?

Als mein Ko-Autor und ich zum ersten Mal über die Geschichte von DER HOCHZEITSSCHNEIDER VON ATHEN nachdachten, befand sich Griechenland mitten in einer finanziellen und humanitären Krise. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, wie sich dies auf Menschen Mitte 40 und 50 auswirkte, die sich nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes oder dem Bankrott in einer Sackgasse befanden. Es schien keine Zukunft für sie zu geben, obwohl sie noch jung und produktiv waren. Außerdem faszinieren mich Berufe und Handwerke, die vom Aussterben bedroht sind. Das Wissen, die Handwerkskunst und die Traditionen der Menschen gehen künftigen Generationen verloren.

Ich bin auch fasziniert von den unmittelbaren Maßnahmen, die Menschen in dem Moment ergreifen, in dem sie sich einer Krise gegenübersehen: erstarren sie, verdrängen, oder finden sie den Mut, wiederaufzustehen und nach vorne zu schauen?Mir scheint, dass es einen schmalen Grat gibt zwischen Kampf und Kapitulation und ich wollte diesen Film auch machen, um zu verstehen, wie jemand die Kraft findet, sich zu wehren und das Schicksal herauszufordern.


Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten hatten Sie bei der Herstellung des Films?

Die größte Chance und Herausforderung besteht zunächst darin, ein Drehbuch in einen Film umzusetzen. Jahre darauf zu warten, dass man die notwendigen Fonds bekommt, ohne das Vertrauen oder die Begeisterung für die Geschichte zu verlieren, ist die größte Schwierigkeit von allen. Lernen, geduldig und beharrlich zu sein. Als wir mit den Vorbereitungen begannen, hatte ich so viel über den Film nachgedacht, über die Bildlichkeit.

Ich hatte so viele Diskussionen mit dem Fotografen und dem Produktionsdesigner, dass es schwierig war, den Film frisch zu halten. Die Schauspieler und Mitarbeiter des Films brachten neue Perspektiven auf die Geschichte ein und halfen mir, neue Ideen zu entwickeln.Budgetbeschränkungen waren natürlich schwierig, aber es hatte auch sein Gutes, es zwang mich, kreativere und alternative Lösungen zu finden.


Surrealistische Filme haben eine lange Tradition. Wie haben Sie die Schwierigkeiten bewältigt, die vor allem junge Frauen in der Filmindustrie zu überwinden haben?

Es ist wirklich frustrierend, dass es in unserer Zeit immer noch Diskriminierung gibt. Es ist frustrierend, dass eine junge Frau in der Filmindustrie diese Frage noch beantworten muss. Ich bin in einer Familie und in einem Freundeskreis starker und unabhängiger Frauen aufgewachsen, in einer Familie, in der sowohl Frauen als auch Männer vor allem Individuen waren. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts war mir also nicht bekannt. Das in einem Land wie Griechenland erleben zu müssen, war für mich ein böses Erwachen. Aber ich hatte Glück, denn als mein erster Kurzfilm auf Festivals lief, wurden die Preise von aufstrebenden Regisseurinnen vergeben. Ich hatte auch das Glück, mit Männern zusammenzuarbeiten, für die Gleichberechtigung selbstverständlich war. Dementsprechend denke ich schon, dass es einige Fortschritte gibt, auch wenn alles sehr langsam voran geht.

Ich gehe mit den Schwierigkeiten des Sexismus und der Frauenfeindlichkeit so um, wie ich mit allen Schwierigkeiten umgehe: Ich nenne sie beim Namen, stelle mich ihnen und fordere Veränderung ein. Ich bin eigentlich stolz darauf, eine junge Filmemacherin zu sein.


Sie haben einen deutsch-griechischen Hintergrund, leben in Griechenland und haben in London studiert. Können Sie von diesem Reichtum an Perspektiven in Ihrem Beruf als Filmemacherin profitieren?

Manchmal sage ich mir, dass die Deutschen die Disziplin haben und die Griechen die Mythen, aber das trifft es nicht ganz. Ich glaube, ich war in meinen beiden Familien einer Vielzahl von Mythen, Geschichten und Charakteren ausgesetzt. Meine beiden Hintergründe sind so gegensätzlich. Die Erfahrungen, die die beiden Familien gemacht haben, und die Geschichten, die an mich weitergegeben wurden, sind vielfältig und reichhaltig. Es ist fast wie bei zwei verschiedenen Erzählungen. Es ist wirklich eine endlose Quelle an Inspirationen und Ideen.

Die Filmschule in London war großartig und aufschlussreich, vor allem die unterschiedlichen Hintergründe meiner KommilitonInnen waren interessant: Was ist Klischee und was nicht, was ist universell und was ist es nicht. Es war eine sehr offene und weniger konservative Gesellschaft. 


Was hat Sie an einer Geschichte über einen Mann in mittleren Jahren interessiert?

Es war interessant für mich, die Frage zu stellen und herauszufinden, was ein 50-jähriger Mann, der im Begriff ist, alles zu verlieren, tun kann. Wie kann er überleben, wenn das einzige Handwerk, das er kennt, ausstirbt? Es ist ein schwieriges Alter, um Risiken einzugehen, weil unsere Gesellschaft Menschen mittleren Alters an den Rand drängt. Wir leben in einer Zeit, in der ältere Menschen diskriminiert werden. Man hat keine Zukunft und keine große Chance auf Veränderung. Ich finde das sehr schwierig und es war mir wichtig, meinem Protagonisten einen Ausweg zu geben. Eine Chance, sich neu zu erfinden, sich selbst zu entdecken und seine Kreativität am Leben zu halten. Es war für mich auch interessant, einen ruhigen Charakter zu schaffen, der eher einem Verlierer ähnelt, weder hip noch cool ist, der aber – wenn alle Chancen gegen ihn stehen – es trotzdem schafft, sich zu verwandeln.


Wie unterscheiden sich die Generationen bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Krise in Griechenland?

Insgesamt ist die Wirtschaftskrise eine Zeit, in der das Gefühl besteht, dass es keine Perspektive in die Zukunft gibt. Keinen Ausweg. Junge Generationen möchten eine Karriere beginnen und sich ihre Träume erfüllen. Aber sie haben eine Schranke vor sich, eine Sackgasse. Dies steht im Gegensatz zu den älteren Generationen, die größtenteils von ganz unten angefangen haben, und durch harte Arbeit etwas erreicht haben. Aber selbst für sie war die Krise in vielerlei Hinsicht verheerend. Sie sehen, wie ihre Welten zusammenbrechen. Sie erleben eine Niederlage. Die Krise, gefolgt von der Coronakrise, hat eine enorme Kluft zwischen Arm und Reich geschaffen, sie führte zu einer Schrumpfung der Mittelschicht und produziert tiefe Gräben in der Gesellschaft. Das ist nicht nur ein Rückschlag, sondern auch ein Rückschritt in die gesellschaftlichen Verhältnisse von vor vielen Jahrzehnten.


Betrachten Sie sich als politische Filmemacherin?

Ich sehe mich nicht als politische Filmemacherin. Costas Gavras, Ken Loach und Mike Leigh sind starke politische Filmemacher. Sie haben politische und soziale Mythen in Frage gestellt. Ihre Art, Geschichten zu erzählen ist mutig und bricht Tabus. Ich versuche kleine Geschichten zu erzählen, die das Leben von echten Menschen widerspiegeln. Menschen, die leiden, vor Dilemmas stehen und ihr Leben ändern müssen, um weiterzumachen. Geschichten, die etwas Wahrhaftiges haben und ehrlich sind. Wenn das Erzählen einer solchen Geschichte Auswirkungen hat, dann verzweigt sich der Mikrokosmos dieser Person möglicherweise nach außen und bezieht sich auf viel mehr Mikrokosmen, die sich wiederum verzweigen, bis sie universell werden: So könnten Filme politisch werden. So könnte das spezifische und konkrete Leben eines Menschen politisch sein.


Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Nikos        Dimitris Imellos
Olga         Tamila Koulieva
Thanasis   Thanasis Papageorgiou
Kostas      Stathis Stamoulakatos
Victoria    Dafni Michopoulou

STAB
Regie        Sonia Liza Kenterman
Drehbuch Sonia Liza Kenterman, Tracy Sunderland
Kamera     George Michelis
Schnitt      Dimitris Peponis